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Ganz allmählich, ganz privat

■ Der Dokumentarfilm „... Viel zu viel verschwiegen“ erzählt von drei Generationen lesbischer Frauen in der DDR. Ulrike Helwerth sprach mit den Dokumentarfilmerinnen Christina Karstädt und Anette von Zitzewitz

taz: Das Verdienst Ihres Filmes liegt für mich vor allem darin, daß Sie so viele und so verschiedene Frauen vor der Kamera zum Erzählen gebracht haben. War das schwierig?

Christina Karstädt: Ja — und zeitaufwendig. Zum ersten Mal überhaupt haben Lesben aus der DDR so in der Öffentlichkeit über ihr Leben gesprochen. Das Problem lag zunächst darin, Frauen zu finden, die dazu bereit waren. Meistens lief der Kontakt über Bekannte, nach dem Schneeballprinzip. Dann haben wir natürlich lange Zeit daran gearbeitet, vertrauensvolle Beziehungen zu diesen Frauen aufzubauen, damit sie auch vor der Kamera ihre Lebendigkeit behalten konnten.

Anette von Zitzewitz: Mit einer haben wir monatelang Gespräche geführt — anhand ihres ganzen Fotomaterials, das vierzig Jahre dokumentiert. Trotzdem war bis in letzter Minute unsicher, ob sie vor der Kamera spricht oder nicht. Denn eine der großen Schwierigkeiten taucht in unserem Film gar nicht auf: Wir hatten es natürlich immer auch mit Paarbeziehungen zu tun und damit, ob die Freundin dazu bereit war. Das war bei den Älteren zum Teil ein Problem.

Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre Gesprächspartnerinnen ausgesucht?

Anette von Zitzewitz: Wir wollten jede Generation für sich sprechen lassen. Bei den Älteren war das schwierig, da haben wir die genommen, die bereit waren, sich vor die Kamera zu setzen. Bei den Jüngeren gab es natürlich mehr; da haben wir die ausgewählt, die unterschiedliche Gruppen oder Projekte repräsentieren — auch um diesen Bruch darzustellen zwischen der Individualisierung bis zu den siebziger Jahren und der öffentlichen Organisierung danach.

Christina Karstädt: Wichtig war auch, welche Geschichten uns die Frauen erzählen konnten, und wie diese Biographien miteinander zu einem Mosaik verflochten werden können. Worüber eigentlich jede Frau gesprochen hat, war die Schwierigkeit, in der DDR ein gesundes Coming-out zu haben — in so einer moralisch rigiden Gesellschaft, in der es keine alternativen Lebensmodelle gab. Die Ausrichtung auf Heterosexualität, Berufstätigkeit, kleinbürgerliche Familie war noch schärfer als im Westen.

Über ihren schmerzhaften und langwierigen Coming-out-Prozeß redet im Film eigentlich nur eine. Auch das sogenannte Private, also die Liebes- und Partnerinnenbeziehungen, kommt kaum zur Sprache.

Anette von Zitzewitz: Wir haben genommen, was die Frauen brachten. Und so stimmt es auch nicht ganz: Tommy und ihre Freundin kommen vor, und da ist die Paardynamik ja drin. Aber wir wollten diesen Aspekt auch nicht überbewerten.

Es fehlen auch die Mütter.

Christina Karstädt: Das ist schwierig (sie lacht). Ich bin ja selbst Mutter und bin bei der Filmarbeit immer wieder auf die Schwierigkeiten einer Alleinerziehenden gestoßen worden. Deswegen habe ich bei der Arbeit versucht, mich von diesem Thema zu befreien, weil ich sonst überhaupt nicht mehr zu mir gekommen wäre. Außerdem ist es auch so komplex, daß ich es nicht so nebenbei abhandeln wollte und es daher lieber ganz rausgelassen habe. Wir haben auch mit keiner explizit über dieses Thema gesprochen. Aber ich denke schon, daß dies ein Defizit ist — auf jeden Fall. Weil viele Frauen im Film ja auch Kinder haben.

Ein Schwerpunkt des Filmes liegt auf den Anfängen der Lesben- beziehungsweise Lesben-und-Schwulen-Gruppen Ende der siebziger Jahre. Gab es denn vorher bereits eine lesbische Subkultur in der DDR? Die 60jährige Tommy erzählt, daß sie und ihre Freundinnen immer nach Kreuzberg gingen, weil dort die einschlägigen Kneipen waren. Der Bau der Mauer 1961 hat dann dieses Beziehungsnetz von einem Tag auf den anderen zerrissen.

Anette von Zitzewitz: Auch im Osten haben sich gleich nach dem Krieg Lesbenkneipen etabliert, zum Beispiel am Spittelmarkt. Doch die Subkulturkneipen wurden dann bald geschlossen, und daraufhin sind etwa die Wirtinnen vom Spittelmarkt rübergezogen in die Oranienstraße und haben „Max und Moritz“ gegründet. Nach dem Mauerbau mußten die Frauen im Osten ihre eigenen Kreise aufbauen.

Christina Karstädt: Die lesbischen Strukturen im Osten bildeten sich nach dem Mauerbau ganz allmählich und privat: kleine Cliquen, manchmal mit Schwulen, die sich in Wohnungen trafen. Ende der sechziger Jahre gab es dann in Ost-Berlin die ersten Schwulenkneipen, die auch von Lesben besucht wurden. Sie fühlten sich dort aber nicht sonderlich wohl. Bis heute gibt es in Ost- Berlin fast ausschließlich Schwulenkneipen, von denen sich inzwischen die Lesben aber ziemlich entfernt haben. Weil es eben auch hin und wieder Gewalt gab von seiten der Schwulen gegenüber den Lesben.

Eine Ihrer Gesprächspartnerinnen wurde 1961, nach dem Mauerbau, „aus politischen Gründen“ verhaftet und saß drei Jahre im Knast. Sie sagt, daß im Mittelpunkt ihres Verhörs der „Tatbestand des Lesbischseins“ gestanden habe. Galt Lesbianismus damals in der DDR als strafrechtliches Delikt?

Christina Karstädt: Nein. Nach 1945 wurde der Paragraph 175 in der der alten Weimarer Form wieder eingeführt und existierte bis 1968. Lesben waren also in dieser Zeit vom Strafrecht nicht betroffen. 1968 wurde der 175er durch den 151er ersetzt, damit waren die Lesben „gleichberechtigt“. Es ging um das Schutzalter Minderjähriger, das bei Heterosexuellen bei 16 und bei Homosexuellen bei 18 Jahren lag. Dieser Paragraph wurde 1989 vom Obersten Gericht der DDR abgeschafft.

Sind Frauen auf Grundlage des Paragraphen 151 verurteilt worden?

Christina Karstädt: Ja, es gab Fälle, und wir haben ja auch eine Frau im Film. Sie war Erzieherin auf einem Jugendwerkhof und hatte ein 16jähriges Mädchen zu betreuen. Zwischen den beiden entwickelte sich eine Beziehung. Als das öffentlich wurde, war das für beide sehr schlimm. Das Mädchen trat im Prozeß als Zeugin auf, die Erzieherin wurde aus der Partei rausgeschmissen, bekam Berufsverbot und ein Jahr Haft auf Bewährung. Daneben liefen Verhöre, Untersuchungen, Psychiatrie, Repressalien. Das war 1983.

Nach der Premiere Ihres Films gab es den Ruf: Wo bleibt die Erotik? Und eine Ihrer ältesten Gesprächspartnerinnen vermißte große Gefühle. Warum sind Ihre Frauen so kopflastig?

Anette von Zitzewitz: Das sind sie doch gar nicht! Die Frauen bringen auf ihre Art sehr viele Gefühle rein. Ich finde, sie waren sehr mutig. Und wir haben respektiert, daß sie nicht mehr sagten, als sie preisgeben wollten.

Christina Karstädt: Das ist meiner Erfahrung nach eine DDR-Spezifik — daß das Politische, das Öffentliche, das Rausgehen und Agieren ganz hoch bewertet wird. Während die meisten Menschen in der DDR mit den eigenen Gefühlen immer Schwierigkeiten hatten. Das Private wurde immer unter dem Tisch gehalten — als Refugium auch.

Anette von Zitzewitz: Aber für mich sind die Gefühle drin, bei jeder einzelnen. Warum löst der Film sonst so viele Emotionen aus?

Weil jede Frau deutlich macht, daß sie — in ihrer Zeit und auf ihre Weise — sich dem Anpassungsdruck letztlich nicht gebeugt, sondern versucht hat, ihre Lebensweise und -wünsche zu realisieren und Netze zu bauen. Jede trägt damit einen Baustein zu dieser bislang ungeschriebenen „Herstory“ bei. Das löst, denke ich, bei den ZuschauerInnen die Emotionen aus.

Anette von Zitzewitz: Jede als Lebenskünstlerin zu zeigen, diese Vielzahl lesbischer Lebensweisen zu dokumentieren, genau das war unser Interesse.

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