piwik no script img

Totalitäre Untote

Ruth Berghaus hat der Deutschen Staatsoper Berlin ihre alte Inszenierung der Verurteilung des Lukullus neu einstudiert  ■ Von Niklaus Hablützel

Wieder spricht das Brechtsche Schöffengericht der Toten in der deutschen Staatsoper sein Urteil. Angeklagt ist Lukull, der römische Feldherr. Die ersten drei Reihen des Parketts sind besetzt von Kindern. Auch sie haben eine Rolle bekommen in dieser Oper Die Verurteilung des Lukullus, allerdings nicht von Paul Dessau, dem Komponisten, sondern von Ruth Berghaus, der Regisseurin. Sie hat die bescheidene Sprechrolle des Gerichtssprechers, zum Chor aufgebläht, diesen Kindern zugemutet. Wie im Jugendlager klettern sie über die Sitze, turnen, klatschen und recken dann ihre Hände empor zur Bühne: Ein wogendes Meer grüßender Arme, ganze Generationen sind nichts weiter als totalitäre Staffage, und es kommt noch schlimmer: Das Fischweib stimmt seine Klage über den Sohn an, den „Faber“, der im Feldzug des Lukullus fiel. Die Sängerin geht zur Rampe vor, greift nach einer Kinderhand, dann nach einer anderen, die Phalanx künftiger Opfer verlogener Zukunftsparolen abschreitend, segnet sie den Chor.

Dies Bild, das einem faschistischen wie sozialistischen System gleichermaßen zur öffentlichen Lüge gedient hätte, diese durch keine Stelle in Brechts Operntext gedeckte Choreographie der Vereinnahmung, wäre zu anderen Zeiten ein glatter Skandal. Doch nicht die öffentliche Korruption eines Kunstwerkes, sondern interne, persönliche Verdächtigungen und kulturpolitische Krämerrivalitäten zwischen den drei Opernhäusern Berlins bestimmen die Atmosphäre. So wurde wohlwollend die Neueinstudierung der ehemaligen Hauptregisseurin an der Lindenoper beklatscht, Intendant Quander, der Import aus dem Sender Freies Berlin, hatte wohl auch nichts gesehen, nach drei Vorhängen für das lustlos schuftende Ensemble war eine Premiere abgetan, die ja keine richtige war, sondern nur der gewollt demonstrative Beweis, daß es da etwas gebe, was — bitteschön — fortzusetzen sei.

Ein gnädiger Schluß solcher Vorstellungen samt mehrjähriger Kunstpause der Verantwortlichen wäre nötiger, ein klares Finale, das Stoff zum Nachdenken gäbe. Aber sie kann nicht sterben, die DDR. Sie kann es nicht, weil sie ja nie gelebt hat. Es gab lediglich ein Leben in ihr, privatisiert an den Rändern, und im Zentrum nur in begrenzten Zirkeln der Intelligenz, die sich als marxistische verstand, sich daher ständig verraten fühlte von eben diesem Staat, der dennoch ihr eigener war. Der Komponist Paul Dessau gehörte dazu, auch Bertolt Brecht und Ruth Berghaus, Dessaus Gattin, die vor wenigen Jahren auch im Westen gefeierte Regisseurin. (Daran möchte man lieber nicht erinnert werden.)

Doch gerade jetzt will die Staatspreisträgerin ernst machen mit jener Kunst, um die es ihr immer ging, für die sie gescholten wurde von den allzu dummen Lakaien des Systems, zugleich aber auch kanonisiert und im Amt gehalten von den Klügeren. Sie möchte weiterleben in der Freiheit nach der Wende und darf es nun schon wieder nicht. Die Szene wird gespenstisch wie immer dann, wenn Totes nicht sterben kann. Nein, es könnte sterben, das Theater der Ruth Berghaus, es will aber nicht, denn wahr ist auch, daß darin das Bessere aufbewahrt war, das, was mit „Sozialismus“ guten Glaubens gemeint sein konnte. Es ist jetzt ein Untotes geworden und macht Angst. Auf dem soeben zu Ende gegangenen Berliner Theatertreffen mußte sich Ruth Berghaus mal wieder den Vorwurf des „Formalismus“ anhören, diesmal aus dem Mund westlicher Kritiker. Sie wehrte sich kaum noch dagegen, zu bekannt war ihr das Schimpfwort der Stalinisten gegen jegliche Moderne. Es gibt denn auch wenig Dümmeres über die Arbeit dieser Frau zu sagen, und vor solchen Richtern sind in der Tat keine Schuldbekenntnisse abzulegen.

Als Antwort eher denn als Rechtfertigungsversuch darf daher verstanden werden, daß die Regisseurin ihre Inszenierung des Lukullus aus der Remise der Deutschen Staatsoper unter den Linden holte, eben jener Oper von Paul Dessau und Bertolt Brecht, die die Frage nach der historischen Gerechtigkeit stellt. Das Totengericht hat zu entscheiden, ob der Name „Lukullus“ würdig ist, im Gedächtnis der Menschheit zu bleiben. Nein, „ins Nichts mit ihm“, singen das Fischweib, die Kurtisane, der Sklave, der Bauer und der Bäcker: Standesrollen, mit denen Brecht nicht nur hier den leeren Begriff der Arbeiterklasse vergeblich zu füllen versuchte. Geschichte wäre dieser Text seit langem und in Ruhe zu lesen, triebe er sich nicht im östlichen Reich der Untoten herum. Und Geschichte wäre erst recht Dessaus Komposition. Bis zur Selbstverleugnung deutlich will sie sein. Koloriert präzise mit Schlagwerk, tiefen Streichern, Flöten und Blech, rekonstruiert sie mit einprägsamen harmonischen Mustern typische Handlungskonstellationen: Ein überaus gediegenes Handwerk dient einer Sache und leistet sich nur ganz selten, etwa in der Arie der von Lukullus besiegten Königin, einen Ausflug in die Zonen autonomer Musik. Auch daran wären Fragen nach dem historischen Recht zu stellen. Unüberhörbar ist ein Marschzwang in dieser einpaukenden Partitur gerade dann, wenn das Gericht im Namen der geschundenen Individuen sprechen will. Lukullus hingegen darf sich schon eher in freieren, spielerischen Floskeln ergehen, die, weil sie dem zeitgenössischen Schnulzenrepertoire entlehnt sind, als Zeichen böser Dekadenz doch nur zum Klischee zweiter Ordnung geraten.

Aber all das ist keine Geschichte, wenn Ruth Berghaus inszeniert, noch keine, sondern trotzige und verhängnisvolle Gegenwart. Gewiß haben schlimme Funktionäre der SED 1951 versucht, die Uraufführung des Werkes zu verhindern. Das Programmheft dokumentiert interne Protokolle aus dieser Zeit, ist deshalb sehr lesenswert und hinterläßt dennoch neue Zweifel. Wieder scheint nur eine halbe Wahrheit gesagt, die Premiere war in ihrer Zeit trotz allem ein Erfolg, und Ruth Berghaus hat danach, 1960, 1965 und 1983, die Verurteilng des Lukullus immer wieder neu für die Deutsche Staatsoper inszeniert. Wer hat da mitgeredet, oder haben wir heute, mit der Neueinstudierung der letzten Fassung ein gültiges Dokument des DDR-Musiktheaters zu würdigen?

Die Fragen bleiben offen, und so besteht Grund zur Annahme, der totalitäre Kinderchor sei Ruth Berghaus höchst eigener Beitrag zur Anpassung des Textes an die Bedürfnisse des Regimes gewesen. Die löchrige DDR-Plattenstraße, die Bühnenbildner Hans-Joachim Schlieker auf die Bühne gebaut hat, und der überlebensgroße Ziegelstein, der die symbolische Ausfahrt in die Zukunft verbaut: sie rechtfertigen beide nichts, weder die damit notdürftig aktualisierte Neueinstudierung, noch gar das Original aus dem Jahr 1983. Es ist Zeit, wenigstens diese Toten zu beerdigen.

Paul Dessau/Bertolt Brecht: Die Verurteilung des Lukullus. Deutsche Staatsoper Berlin. Inszenierung: R. Berghaus, Bühne: H.J. Schlieker. Nächste Aufführungen: 10./13.Juni.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen