: Mehr als eine Band
Fugazi spielten im Berliner Tempodrom ■ Von Thomas Winkler
Fugazi sind mehr als eine Band. Sie spielen nicht nur einfach Punkrock, den man nach all den Jahren auch Hardcore nennen darf. Sie repräsentieren wie keine andere Band das, was man unter Hardcore verstehen möchte, wenn man gutmeinend ist. Sie werden irgendwann die letzten sein, die keinen Industrievertrag angenommen haben. Das macht sie so wichtig. Jenseits aller musikalischen Bewertungen garantieren sie den Fans ein Höchstmaß an Ehrlichkeit, an verdientem Vertrauen, an Hoffen auf eine andere, bessere Welt.
Fugazi sind mehr als eine Band. Sie sind ein Symbol für den guten Geist des Punkrock. Sie stehen für das Zerstören alter, überholter Ideale, wenn auch unter anderen Vorzeichen als vor 15 Jahren. Damals ging es allen Punkbands, also auch Minor Threat, bei denen Fugazi-Gitarrist Ian MacKaye mittat und die neben Black Flag und den Dead Kennedys die wichtigste amerikanische Hardcore-Band waren, um die Vernichtung der Werte der rock'n'rollenden Dinosaurier der 70er Jahre. Zwar waren diese Bands schon längst über die „No Future“-Einstellung der ersten Punk-Generation hinausgegangen, aber grundsätzlich eigen war ihnen immer noch eine fundamentale Anti-Einstellung zum Rockgeschäft und seinen verlogenen Idealen.
Fuagzi sind mehr als eine Band. Ian MacKaye gründete 1980 mit Gleichgesinnten das Label Dischord, das seitdem auschließlich lokale Bands aus Washington D.C. zum Selbstkostenpreis herausbringt, auch die Fugazi-Platten. MacKaye 1988 in 'Howl‘: „Wir bringen nur Platten von unseren Freunden in D.C. heraus. Musikalische Kriterien sind hierbei zweitrangig. Wir haben kein Interesse an uns persönlich kaum oder gar nicht bekannten Bands. Wir sind kein Rock'n'Roll- Label. Wir sind kein Schallplattengebärmaschinenlabel. Wir ziehen unser lokales Ding auf kleiner Ebene durch, nicht weil wir an den vielen anderen Bands nicht interessiert sind, sondern weil wir keinen Bock haben, mit Bands am Telefon Ferngespräche über geschäftliche Dinge zu führen. Darum schließen wir mit unseren Gruppen auch nie Verträge ab. Ich träume immer noch davon, daß die Bands und Musiker in ihren Städten das Gleiche machen wie wir. Dies war eine der Anfangsideen, nämlich eine Independentlabel-Koalition zu gründen.“ Keine Verträge bedeutet absolute Kontrolle für die Bands. Genügend Acts sind schon von Dischord zu besser honorierten Futtertöpfen weitergezogen. Fugazi selbst stellen die Kontrolle über alles. Das heißt in letzter Konsequenz eben auch, daß die Karte für ein Fugazi-Konzert in Deutschland für 13DM zu haben ist.
Fugazi sind mehr als eine Band. Ende der 80er Jahre lösten sich Minor Threat auf, und Fugazi entstanden als Konglomerat aus der Washingtoner Szene. Ein Vorgang, der in D.C. mit ständig wechselnden Bandkonstellationen nichts Besonderes darstellte. Von Anfang an standen Fugazi für „straight edge“. Neben Hanry Rollins waren sie die offensivsten, wortgewandtesten und einflußreichsten Propagandisten der absurd dialektischen Idee, den selbstzerstörerischen Zorn des Punk mit dem Abstinenzlertum zu verbinden. Keine Drogen, kein Alkohol, kein Nikotin. Körperliche Fitneß, was durchaus auch Gewichtestemmen beinhaltete, sollte erst den wirklichen Zugang zum eigenen Körper und damit Bewußtsein möglich machen. Inzwischen sind sie selbst zwar noch straight edge, aber weit entfernt davon, predigen zu wollen.
Fugazi sind mehr als eine Band. Was mit den ersten Hardcore-Bands begann, wird von der dritten, vierten Generation nun zu Ende gebracht. Punk begann mit der Entwertung aller Werte, um gegen die schmusige Saturiertheit verlogener und pervertierter Hippie-Ideale zu protestieren. Nun muß der Hardcore sinnstiftend wirken gegen die offensichtliche und dreiste Wertlosigkeit aktueller Musik, die nur noch Verachtung für den Menschen übrig hat.
Fugazi sind auch eine Band. Auch wenn die musikalischen Leistungen der Herren MacKaye, Piccotto, Lally und Canty schier erschlagen werden von ihrer Bedeutung als Symbolfiguren und Hoffnungsträger für einen nicht mehr funktionierenden politischen Underground. Sie sind durch die personelle und musikalische Kontinuität seit Beginn der 80er dafür prädestiniert.
Fugazi stehen auf der Bühne und verbinden das, was man einmal Punk nannte, dessen Sloganartigkeit und Einfachheit des Ausdrucks, mit einer Eleganz, die alle Schwere von der Mühe des Unterfangens nimmt. Dabei merkt man sehr genau, daß sie nicht nur die eigene lokale Hardcore- Szene sehr genau beobachten, sondern ihnen sehr wohl bewußt ist, daß GoGo in Washington eine wesentlich wichtigere Rolle spielt. Die Musik von Fugazi zeichnet eine im Hardcore selten gehörte Tanzbarkeit aus, die Fähigkeit, einen Groove aufzubauen, Spannung zu erzeugen, die nicht sofort entladen wird, sondern weiterwirkt. Ein Groove, zu dem nicht nur Pogo möglich ist, sondern der auch in jeder Disco denkbar ist. Fugazi beherrschen ein ewiglanges Break, das die Spannung ins Unerträgliche steigert, ohne den Groove verlieren zu lassen. Vom GoGo scheinen auch die zwar seltenen, aber nicht undominanten Ausflüge ins Jazzige zu kommen, die wiederum mit hardcoretypischer Atonalität verbunden werden.
Fugazi sind auch nur eine Band. Vier schmächtige Männer mit extrem kurzen Haaren, schlichten Shirts, Skater-Shorts. Keine Lightshow, keine Ansagen, kein Stage- Diving, keine Unnötigkeiten, bestenfalls Körper, die epileptisch zur Musik zucken. Ein Fugazi-Konzert ist kein Fest für's Auge, sondern ein Statement: Seht her, Musik ist Musik — nicht mehr. Kann jeder machen, sollte jeder machen. Die Revolution hat verloren. Nie war sie so wertvoll wie heute. Die Revolution beginnt wieder in den kleinsten Einheiten.
Tourneedaten: 30.6. Dortmund, 1.7. Köln, 2.7. Hamburg, 3.7. Bremen.
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