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FIS-Urteile: Keine Milde, sondern Realismus

Mit den vorgestern gefällten Urteilen gegen die Führer der größten algerischen Islamisten-Organisation gab die Junta ein politisches Signal an die Opposition: Den „Gemäßigten“ wird damit bedingte Bereitschaft zur Kooperation signalisiert  ■ Von Oliver Fahrni

Paris (taz) — Das Urteil gegen die führenden Köpfe der Islamischen Heilsfront (FIS) wurde nicht im Richterzimmer abgewogen, sondern in einer langen Sitzung der Militärjunta unter General Khaled Nezzar ausgekungelt. Entsprechend fiel es aus: 12 Jahre Gefängnis für FIS- Gründer Abbassi Madani und Chefdenker Ali Benhadj; sechs Jahre für den Bürgermeister von Groß-Algier, Kemal Guemazzi; vier Jahre für Ali Djeddi, Abdelkader Omar, Abdelkader Boukhamkham und Nourredine Chigaru, alle Mitglieder des obersten FIS-Rates.

Das Militärgericht von Blida war in der Sache „Junta gegen FIS“ ohnehin nur Staffage. Der Vorgang — halb Schauprozeß, halb Prozeßparodie — wurde im Sturmschritt absolviert, als ginge es darum, eine schmutzige Arbeit möglichst schnell hinter sich zu bringen. Die Verteidigung, 19 Anwälte unter der Leitung des Ex-Ministers und Gründers der Algerischen Menschenrechtsliga, Abdenour Ali Yahja, war monatelang an ihrer Arbeit gehindert worden. Die meisten der über 100 Entlastungszeugen wurden während des Prozesses nicht gehört, und die internationale Presse, ausländische Beobachter, amnesty international und eine Gruppe marokkanischer Anwälte waren ausgeschlossen.

Als daraufhin die Angeklagten und die Anwälte die Sitzungen in der Kaserne blockierten, griff der Präsident zu einer juristischen Fiktion: Man tat so, als seien die Angeklagten im Saal. Der Prozeß wurde „kontradiktorisch“ geführt, was jede Revision unmöglich macht. Dennoch will die Verteidigung den Fall vors Oberste Gericht bringen. Verweigert sich diese Instanz, planen die Anwälte ein Weißbuch, in dem sie alle Unregelmäßigkeiten offenlegen wollen.

Beweise gegen die FIS-Chefs lagen keine vor. Sie waren angeklagt, im Juni 1991 den Versuch eines bewaffneten Umsturzes unternommen zu haben. In Wahrheit suchte die FIS damals mit einem Generalstreik schnelle und faire Parlamentswahlen durchzusetzen (siehe Kasten). Als Abbassi Madani auf Zusagen der Premierminister Hamrouche und Ghozali vertraute und seine Basis demobilisierte, setzte General Nezzar die blutige Repression der Islamisten in Gang.

Hamrouche und Ghozali, als Zeugen zugelassen, bestätigten die geheimen Absprachen mit der FIS. Sie sagten aus, der Befehl der Repression sei von „ganz oben“ gekommen, ohne ihr Wissen und Zutun. Ob sie damit den damaligen Staatspräsidenten Chadli Bendjedid meinten oder die Generalität, mochten die Richter so genau nicht ergründen. Nach Premier Ghozalis Einvernahme sagte ein Verteidiger: „Heute hat dieser Prozeß seinen Charakter geändert. Jetzt geht es nicht mehr um eine angebliche Schuld unserer Mandanten, sondern um die Frage, wer den Schießbefehl gegeben hat.“

Das freilich war zuviel verlangt von Armeejuristen in hohem Offiziersrang. Das befohlene Urteil spricht denn auch nicht mehr von „bewaffnetem Umsturz“, sondern nur noch von „Gefährdung der Staatssicherheit, der nationalen Ökonomie und Verteilung von aufrührerischen Flugblättern“. Es bleibt weit hinter den Anträgen des Militärstaatsanwaltes zurück, der diese Woche seine Forderungen bereits abgemildert hatte — erst drohte den Angeklagten Madani und Benhadj die Todesstrafe.

Aus dem Verdikt spricht nicht Milde — eine Juntachef Nezzar unbekannte Kategorie —, sondern politischer Realismus. Zum einen spiegelt es die wirklichen Kräfteverhältnisse in der algerischen Gesellschaft: die Islamisten, zweimal blutig unterdrückt, verboten und aufgelöst, sind immer noch die stärkste politische Kraft der Opposition. Ein hartes Urteil hätte die immer mehr in Armut absinkenden Volksquartiere aufgebracht und die arbeitslose Jugend in die Arme der bewaffneten Widerstandsgruppen getrieben. Abassi und Benhadj bleiben auch so von der Politik und den Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren ausgeschlossen.

Die Armee ihrerseits wäre an einem harten Urteil wohl zerbrochen: Eine stattliche Fraktion — vor allem mittlere Offiziere mit technisch-wissenschaftlicher Ausbildung — will mit den Islamisten ins Gespräch kommen oder ist gar auf einen Flirt aus. Diese „Junge Garde“ setzt General Nezzar und der alten Militärbourgeoisie, die sich am Nationalismus bereichert hat, sichtlich zu. Nezzar weiß nicht, wieweit er seinem Fußvolk trauen kann. Polizei und Armee sind ein getreuer Spiegel der Gesellschaft — viele Gendarmen und Soldaten sind mit Waffe und Pack übergelaufen oder könnten dies tun.

Zum anderen ist der Ausgang des als „schlimmster politischer Prozeß seit der Unabhängigkeit“ bezeichneten Verfahrens ein starkes Signal an die Opposition. Die Junta weiß, daß sie die Probleme des Landes nicht mehr alleine bewältigen kann. Die ausländischen Gläubiger machen Druck, das politische Klima zu befrieden. Nezzar möchte nun Ait-Ahmeds „Front der Demokratischen Kräfte“ (FFS), die alte FLN und die „Gruppe der 7“ zu einer Anti-FIS- Koalition zusammenbinden. Die Ermordung des Staatspräsidenten Boudief hat den politischen Raum dafür geöffnet. In den letzten Wochen mehrten sich die Zeichen, daß die Gespräche hinter den Kulissen vorankommen. Ait-Ahmed verurteilte zum ersten Mal ostentativ den „Terrorismus“, lies: Die Kommandoaktionen abgetauchter Islamisten. Der FFS-Chef geht damit ein Risiko ein — ein Teil seiner Basis hat sich in den letzten Wochen mit FIS-Gewerkschaftern zu Fabrikkomitees zusammengetan. Die alte Einheitspartei FLN bekam von Nezzar einige Streicheleinheiten und mußte nicht, wie angekündigt, ihr ganzes Privatvermögen und viele tausend Liegenschaften im Land an den Staat zurückführen. Besondere Aufmerksamkeit verdienten aber die jüngsten „Füßeleien“ zwischen Nezzar und der „Gruppe der 7“. In dieser Parteienkoalition finden sich, grob eingeschätzt, die islamisch-demokratischen Parteien wie Hamas, Ennahda oder MAJD zusammen. Hamas- Chef Mahfoud Nahnah aber ist ein alter Bündnispartner Madanis: Einst diskutierten sie einmal wöchentlich die Strategie der islamistischen Bewegung.

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