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Sie waren wie Al Capone und sein Butler

Spannende Zeugenaussagen im Wiederaufnahmeverfahren gegen den unter Mordanklage stehenden  ■ Jürgen Auer

Der Streit um den Mordfall Erhard Walther geht weiter. Gestern traten zwei mit Spannung erwartete Zeugen auf, die den Angeklagten Jürgen Auer sowohl mit einem Alibi versahen, als auch weiter belasteten.

Extra aus Italien angereist war ein junger Polizeibeamter, der 1982 nach der Festnahme Auers in Mailand als V-Mann eingesetzt wurde. Der heute 29jährige gab sich damals gegenüber Auer und dessen ebenfalls festgenommenen italienischen Freund als Mitgefangener aus. Dabei will er gehört haben, wie Auer sagte: „Wir haben den Kerl umgelegt, jetzt sitzen wir in der Scheiße.“

Die Verteidigung des Angeklagten hatte zuvor gefordert, den Spitzel nicht im Prozeß aussagen zu lassen. Die Schwurgerichtskammer entschied anders. Strafverteidigerin Leonore Gottschalk-Solger kritisierte diesen Beschluß: „Ich finde es mehr als traurig, wenn wir, um die Wahrheit zu ermitteln, auf Zeugen zurückgreifen, die derartige Methoden anwenden.“

Der Prozeß gegen Jürgen Auer, der im November 1982 gemeinsam mit einem italienischen Bekannten den Kaufmann Erhard Walther getötet und beraubt haben soll, konnte nur nach einem jahrelangen Wiederaufnahmeverfahren neu aufgerollt werden. Auer war 1984 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden, er hatte die Tat zunächst gestanden, aber später die tötlichen Schüsse seinem Freund Francesco angelastet. Nach erfolglosen Revisionsgesuchen des Angeklagten hatten schließlich im Juli 1990 die Karlsruher Bundesverfassungsrichter das letzte Wort: Sie wiesen das Hamburger Landgericht an, den Fall erneut zu verhandeln. Die Richter rügten unter anderem die nicht ausreichende Würdigung eines Alibizeugen. Auer kam nach acht Jahren Haft gegen 20000 Mark Kaution aus Santa Fu frei.

Der genannte Alibi-Zeuge hatte am Freitag nachmittag seinen Auftritt. Der 58jährige Kaufmann erinnerte sich vor Gericht an den Buß- und Bettag 1982. Zur vermeindlichen Tatzeit habe er in einem Restaurant einen „zappeligen Typen mit langen fettigen Haaren“ gesehen, dessen Beschreibung auf den Angeklagten paßt. Der angetrunkene Mann soll am Tresen drei Portionen Muscheln zum Mitnehmen bestellt haben. Im Wiederaufnahmeverfahren 1988 hatten die Richter diesen Zeugen als glaubwürdig angesehen, dennoch gingen sie davon aus, daß Auer das Opfer auch vor oder nach dem Restaurantbesuch getötet haben könnte.

Nach dem 4. Prozeßtag steht die Kammer des Schwurgerichtes vor einer Fülle von Indizien, die nicht zusammen passen. Unklar ist noch immer, warum Auer die Tat zuerst zugab und dann seinem Freund die Schuld gab. Zeugen haben das ausgesprochen herzliche Verhältnis der beiden Freunde — aber auch die Abhängigkeit Auers von Francesco L. geschildert. „Sie waren wie Al Capone und sein Butler“, so ein Zeuge.

Der Prozeß wird am Montag fortgesetzt — eventuell mit dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft. Lisa Schönemann

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