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KOMMENTAREAm Tellerrand

■ Nur manchmal klingelt es beim Thema Aids bei uns/ Ansonsten steht die Gleichgültigkeit der Saturierten dem Massensterben der Armen gegenüber

Zweimal im Jahr erinnert sich Deutschland an Aids. Wenn — im Sommer — die Welt-Aidskonferenz ansteht und — im Winter — der Welt-Aidstag, dann klingelt es bei uns. Auf die Erinnerung an Aids folgt die einstudierte Phrase, daß dieses Problem irgendwie wichtig ist, daß wir uns besser schützen müssen und daß zur Entwarnung kein Anlaß besteht. Doch begriffen haben wir nichts. Am Tellerrand des heterosexuellen saturierten Mittelklasse-Europäers endet unser Ausblick auf die Pandemie.

Aber Aids lauert nicht in den Diskotheken von Castrop-Rauxel. Aids bedroht nicht die Teilnehmer des feucht-fröhlichen Betriebsausflugs der Sparkasse von Niederholzhausen. HIV sitzt nicht auf der Bettkante, wenn der Briefträger zweimal klingelt. Aids ist in der westlichen Welt vor allem das Trauma der Homosexuellen und Drogenabhängigen. Und Aids ist mehr als alles andere die Katastrophe für die Entwicklungsländer. Sie trifft die ganze Wucht dieser Krankheit. Und sie sind damit allein.

Wenn es auf der Welt-Aidskonferenz von Amsterdam einen Satz gab, den man an jede Hausecke schreiben möchte, dann diesen: Aids ist eine Krankheit der Armut. Neun von zehn Infizierten kommen heute schon aus den Entwickungsländern. Dort ist die vernichtende Dynamik dieser Krankheit ungebrochen. Während in Deutschland die Zahlen der Neuinfektionen leicht zurückgehen, melden die Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika durchweg düstere Bilanzen. In Afrika hat die Epidemie bereits ein Ausmaß erreicht, das durch das Wegsterben der mittleren Generation die ökonomische Substanz ganzer Länder gefährdet. 7.500.000 Menschen sind infiziert.

Diese Entwicklung hat bisher kaum Aufmerksamkeit und Mitgefühl, geschweige denn Hilfe provoziert. Sie wird schulterzuckend zur Kenntnis genommen. Es ist unbegreifbar, daß jetzt, wo in den afrikanischen Staaten endlich das Bewußtsein für die Bedrohung durch Aids geschaffen ist und der Abwehrkampf organisiert wird, die finanziellen Mittel für diesen Kampf fehlen. Es fehlt das Geld für Kondome, es fehlt das Geld, um die weit verbreiteten Geschlechtskrankheiten zu behandeln, es fehlt das Geld für die ärztliche Versorgung und Therapiemittel.

Unbegreiflich ist auch, daß Herstellung und Vertrieb von AZT, des wichtigsten Medikaments gegen Aids, noch immer in den Händen eines einzelnen Pharmakonzerns liegt, der sich dumm und dämlich verdient, während kein Afrikaner die 4.000 Dollar für eine Jahresbehandlung jemals aufbringen kann. Ein Deutscher kann mit der HIV-Infektion heute zehn, zwölf, vierzehn, vielleicht sogar zwanzig Jahre leben. Ein Afrikaner stirbt nach längstens acht bis zehn Jahren an der Infektion.

Aids geht alle an, heißt eine der beliebtesten Parolen. Geht Aids in Nairobi, Bangkok und Bombay auch alle an? Oder läßt uns das weiterhin gleichgültig? Die Aids-Hilfe für Entwicklungsländer muß organisiert werden. Jonathan Mann hat dies zurecht zur „großen Herausforderung unserer Menschlichkeit“ erklärt. Auch Deutschland, das den nächsten Welt-Aidskongreß in Berlin ausrichtet, muß den Teilnehmern aus Afrika und Asien mehr bieten als eine sauber geputzte Kongreßhalle.

Die Aids-Krise ist in Amsterdam gleich von mehreren Sprechern mit einem „Atomkrieg“ oder mit dem „Holocaust“ verglichen worden. So unzulässig solche Vergleiche auch sind, so zeigen sie doch die Hilflosigkeit dund die Verzweiflung der Betroffenen. Und tatsächlich fehlt es an Begriffen, um die Tragödie zu beschreiben. Der Bürgermeister von Nairobi, Daniel Kongo, hat es versucht: An die amerikanische Schauspielerin Elizabeth Taylor gewandt, stellte er folgende Frage: „Wie soll mein Volk jemals eine solch große Künstlerin hervorbringen, wenn unsere Mädchen schon mit 15 Jahren sterben?“ Manfred Kriener, z.Zt. Amsterdam

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