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Beim Volk sehr beliebt

■ Justus Frantz-Show im Derby-Park/Mozart, Rossini und Orff mit Mücken und Würstchen

-Show im Derby-Park/Mozart, Rossini und Orff mit Mücken und Würstchen

Justus Frantz' ungebrochener Populismus, die Klassik zum Volk zu bringen, egal in welcher Qualität, funktioniert in bewundernswerter Manier. Programm, Ort, Rahmen, Publikum, alles wird auf das reine Ereignis hin organisiert, auf die Demonstration von Mächtigkeit und Größe. Die Musik ist hier nur der Kleinste Gemeinsame Nenner, mit dem der „Meister“ und das Publikum sich jeweils selbst inszenieren.

Schon die Auswahl des Programms für das Spektakel im Derby-Park, mit dem der Nachwuchsdirigent Frantz in seinem zweiten Berufsjahr vor sein ungeschultes Publikum trat, verriet die Absicht der plumpen Verführung. Natürlich ein Mozart zum Einstieg, dann die Wilhelm-Tell-Ouvertüre von Rossini (aus der ja bekanntlich „ramtatamtatamtatam-Bonanza!“ stammt) und nach einer Pause für die zahlreichen Anbieter von Würstchen, Bier und Eis, die Carmina Burana, deren erste Takte beim Volk ja sehr beliebt sind. Schließlich handelt es sich hier um einen Jingle-Hit diverser Werbespots.

Zum Zuckerbrot der Stücke kam aber die Peitsche der Ausführung. Frantz, ehedem ein anerkannter Pianist, versiebte bei Mozarts Klavier-Konzert Nr. 21 jede schnellere Linie, holperte durch die Takte und bot ansonsten hölzerne Kost zum Abgewöhnen. Unter wehenden Sponsoren-Flaggen mit der Aufschrift „Genießen auf gut deutsch“ dirigierte dann Günther Norris die Bundeswehr-Big-Band, entschuldigung, Justus Frantz das Nationale Sinfonieorchester Litauens zu Höchstleistungen in Marsch und fehlender Dynamik.

Während nach der Pause bei einbrechender Dunkelheit dem Publikum die Mücken unter die Röcke und in die Hosenbeine krochen, verschafften Wind auf den Mikrophonen, Flugzeuge am Himmel und das Anlassen von Mopeds im angrenzenden Park dem Publikum einen bleibenden Eindruck von Neuer Musik. Gleichzeitg jagte der Mann mit der roten Fielmann-Brille Chor und Orchester im Geschwindigkeitsrausch durch das opulente Werk Carl Orffs. Die Sängerhaufen aus diversen baltischen Ländern, die mit ihren jeweiligen Akzenten das Latein der Texte nicht eben verschönerten und einzelne Musiker, die schon einmal einen Abschlag verschliefen, paßten sich stimmig in das Gesamtkonzept ein. Lediglich die drei Sänger Sylvia Greenberg, Ulf Kenklies und Kevin McMillan störten mit relativ fehlerfreien Darbietungen den Konsens.

Natürlich verschonte der Intendant des Schleswig-Holstein-Musik- Festivals sein Publikum auch nicht mit Ansprachen über die neugewonnene Freiheit der baltischen Staaten und mit derselben Zwangsläufigkeit mußte Leonard Bernstein, Justus' Übervater, genannt und verherrlicht werden. Aber das wollten die Tausende hören. So standen sie dann abschließend in seliger Eintracht auf ihren Gartenstühlen und erjubelten fünf Zugaben: Lederschwule neben schnaufenden Kleingärtnern und Prokuristen mit Geliebter im H&M-Kostüm, alle mit diesem Gesichtsausdruck glücklicher Demenz, wie man ihn bisher nur von Monsterrockkonzerten kannte. Till Briegleb

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