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KOMMENTAREDie Probe aufs Zusammenleben

■ Unbürokratisch helfen die Deutschen bosnischen Kriegsflüchtlingen

Es ist eine menschliche und sehr pragmatische Haltung, mit der viele Deutsche jetzt den Kriegsflüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina ihre Hilfe anbieten. Schockiert von den Fernsehbildern und abgestoßen von den bürokratischen Hürden, die hiesige Gesetze vor den Vertriebenen aufbauen, greifen Privatpersonen zur Selbsthilfe, um helfen zu können. Sie kramen ihre Schränke nach Kleidung und Spielsachen durch, spenden Geld, holen auf eigene Faust bosnische Flüchtlinge aus Österreich nach Bayern, vor allem aber bieten sie Quartiere an, Flüchtlingshilfe mit Familienanschluß. Es handelt sich um eine weibliche Antwort auf einen männlichen Krieg. Zwei Drittel derer, die jetzt in ihren Wohnungen zusammenrücken wollen, sind Familien mit Kindern. Es bedarf keiner Erklärung, wer sich um die Flüchtlinge kümmern wird.

Die Motive der Hilfswilligen scheinen auf den ersten Blick wenig mit Politik zu tun zu haben. Anders als gegen den Golfkrieg, ging gegen das Gemetzel im ehemaligen Jugoslawien niemand auf die Straße. Die Konfrontation wurde lange Zeit gleichgültig unter dem Klischee „nationalistische Hitzköpfe auf dem Balkan“ verbucht. Erst die Trecks der Opfer, die sich zwischen den Fronten zu den Grenzen durchquälten, gaben dem Bürgerkrieg ein Gesicht. Verstörte Kinder, erschöpfte Frauen, kriegsmüde Deserteure. Nahaufnahmen aus einem Urlaubsland der Deutschen. Der Krieg fand nun nicht länger auf dem fernen Balkan statt.

Wer jetzt helfen will, sucht die Nähe zu denen, denen er helfen will. Ohne daß es ausgesprochen würde, birgt das Bestreben, einer bosnischen Familie einen Platz am eigenen Küchentisch anzubieten, mit fremden Kindern den Zoo zu besuchen und mit deren Eltern Behördengänge durchzustehen, eine deutliche Kritik an den Verhältnissen, die Flüchtlingen aus aller Welt hier üblicherweise zugemutet werden. Diese Bürgerkriegsflüchtlinge, diese Fast-NachbarInnen möchten viele Deutsche offenbar nicht in Sammellagern verwaltet sehen, als Nummern unter Nummern. Es ist ein Gefühl dafür entstanden, daß Krieg und Not, Flucht und Vertreibung Opfer anschwemmen und keine Schmarotzer.

Die erfreuliche Offenheit, mit der die fremden Nachbarn aufgenommen werden, ist auch eine zugleich politische und pragmatische Antwort auf die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien. Was dort nicht mehr möglich sein soll, daß Serben, Kroaten und Moslems Tür an Tür leben, wird nun hier geprobt. Keine falschen Hoffnungen: Je länger die Geflohenen hierbleiben, je unwahrscheinlicher ihre Rückkehr in die Heimat wird, um so mehr Schwierigkeiten wird es geben — auch mit denen, die sie heute mit offenen Armen empfangen. Aber die Probe aufs Zusammenleben dürfte nicht ohne Folgen bleiben. In vielen, „ganz normalen“ Familien werden Wörter wie „Fremder“, „Flüchtling“ oder „Ausländer“ nach diesem Experiment mit der eigenen Gastfreundschaft einen anderen Klang bekommen. Und vielleicht wird auch die Sensibilität zunehmen gegenüber nationalistischen Tönen im eigenen Land und Menschenrechtsverletzungen, auch wenn sie fern von Europa begangen werden. Bettina Markmeyer

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