: Wespen vom Aussterben bedroht!
■ Sommerliche Plagegeister haben ein Recht auf Leben / Feuerwehr: Aufklären statt Ausräuchern
„Iiiihhh — eine Wespe!!!“ Die Zeit, in der sich sonst mit stoischer Gemütsruhe gesegnete Mitmenschen unvermittelt in panische, wild um sich wedelnde Nervenbündel verwandeln, ist gekommen. Andere wiederum verfallen beim Genuß eines Marmeladenbrötchens unter freiem Himmel plötzlich in mantrische „Sauer, sauer, sauer“-Gesänge.
Zeter und Mordio schreien die meisten, wenn sie das Summen dieser gelb-schwarz geringelten Insekten in ihrer Nähe vernehmen — auch wenn sie nicht zum kleinen Teil derer gehören, die auf einen Wespenstich allergisch reagieren und für die es wirklich gefährlich werden kann. Der Wespenhaß ist groß, und in diesen Tagen werden regelrechte Wespen- Bevölkerungsexplosionen vermutet: Von einer Plage ist die Rede, und natürlich haben diese mordlüsternen Biester nichts anderes im Sinn, als sich beim Anblick eines wehrlosen Homo sapiens mit erhöhtem Aggressionsspiegel und heftig pulsierenden Hämolymphe-Druck (so heißt das Insektenblut) in weißes Fleisch zu bohren und ihr Gift zu verspritzen.
Alles falsch, behaupten jedenfalls die hiesigen Krankenhäuser, der BUND und die Feuerwehr: „Es gibt nicht mehr Wespenstiche als sonst zur Saison auch“, ist einhellige Auskunft. Lediglich die DLRG-Rettungsstation am Silbersee in Stuhr meldet seit zwei Wochen übermäßig viele Wespenopfer: „Besonders kleine Kinder sind betroffen, weil die nach den Viechern schlagen“, berichtet Achim Linke von der DLRG. Aber auch friedliche Badegäste würden unvermutet heimgesucht. Ist eine mutierte Abart in Bremen unterwegs?
Im Grunde ist die Wespe eine friedliche Gesellin, wenn Mensch ihr nur nicht zu nahe ans Nest rückt — oder, wie es der Leitfaden Auch Wespen wollen leben des Naturschutz-Zentrums Hessen e.V. verkündet, sich heftig bewegt, die Wespe drückt oder festhält, ihr die Flugbahn verstellt, im Nest herumstochert oder das Tier anatmet.
In diesem Jahr kommen die Wespen nach ExpertInnenaus
Jede Wespe, die auf sich hält, ißt am liebsten an der KaffeetafelFoto: taz
kunft nicht besonders zahlreich, sondern besonders früh aus ihren Brutstätten gekrochen. Das anhaltend schöne Wetter läßt die Tiere glauben, das Obst sei bereits reif. Denn dann ist die Nahrungsquelle für die erwachsenen Tiere gesichert: Ihre „ökologische Planstelle“ erfüllen die Wespen zwar damit, daß sie Aas vernichten — tote Mäuse, Vögel und vor allem Fliegen. Die mundgerecht zerlegte Fleischkost ist allerdings Kinderkram, damit wird nur die Brut gefüttert — eine Wespe, die was auf sich hält, ernährt sich von Süßem. Da kommt die Kaffeetafel gerade recht.
Aber hier ist die Wespe nicht auf ihrem Territorium und läßt sich — um noch einmal Auch Wespen wollen leben zu Wort kommen zu lassen — mit „wedelnden Handbewegungen verscheuchen“. Sonstige Vorsichtsmaß
hier bitte das Wespenfoto
nahmen: Obst, Kuchen, Säfte und Fleischwaren nicht unabgedeckt stehenlassen und nicht direkt aus Flaschen und Dosen trinken. Sollte es dennoch einmal passiert sein, dann: schnell die Einstichstelle aussaugen und die Haut kühlen oder mit einer Salbe gegen Insektenstiche versorgen, um die Schwellung abzulindern. Andere schwören auf rohe Zwiebeln.
Wer nun ein ganzes Nest in seinem Garten oder unterm Dach sein eigen nennt, hegt meist nur noch Mordgedanken und erhofft sich Hilfe von der Feuerwehr — doch die Zeiten, als die mit der Giftspritze angerückt kam, sind schon lange vorbei: „Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, daß wir die Wespen nicht einfach ausrotten können“, sagt Ernst Hesse, Sprecher der Feuerwehr. Der unkontrollierte Wespenmord hat bereits dazu geführt, daß einige
Wespenarten auf der „Roten Liste“ der aussterbenden Tiere gelandet sind. „Die meisten Leute haben einfach nur Angst und sind nicht richtig bedroht“, berichtet Hesse. Nun wird bei der Feuerwehr aufgeklärt statt ausgeräuchert: Im Herbst verlassen die Wespen das Nest sowieso, und wenn der direkte Nestbereich gemieden wird, steht der Gartenfreude nichts im Wege.
Zudem wurden oftmals Wespennester völlig zu Unrecht vernichtet: Nur zwei der acht in Deutschland Nester bauenden Arten — die Paravespula germanica und die Paravespula vulgaris, also die Deutsche und die Gemeine Wespe — lassen sich überhaupt an Kaffeetafeln, in Konditoreien oder Biergärten blicken. Die anderen ergreifen vor dem Menschen die Flucht. Susanne Kaiser
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