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■ StadtmitteGerechtigkeit... für wen?

Gerechtigkeit... für wen?

Was macht eine nach Freiheit und Reichtum dürstende Bevölkerung, der man die DM-Wurst vor die Nase gehalten hat, die dann in großen Massen mit »Helmut-Helmut«-Rufen dieser DM nachgejagt ist und jetzt ernüchtert feststellen muß, daß sie damit den Ruin ihrer eigenen wirtschaftlichen Grundlage hervorgerufen hat? In ihrem früheren Bewußtsein ist sie heute noch sehr viel mehr als früher die armen Brüder und Schwestern, die von ihren reichen Onkeln und Tanten im Westen zunehmend unwilliger mit Geld ausgestattet werden. Solch eine Bevölkerung ruft nach Gerechtigkeit, aber welcher?

Natürlich hatte der Einheitskanzler und seine Liebediener in der DDR, von de Maizière über Krause bis Diestel, nicht auf die realistischen Gefahren der überstürzten wirtschaftlichen Einheit hingewiesen. Die, welche einen langsameren, vorsichtigeren Weg in die Einheit gehen wollten, wurden an den Rand gedrängt. Die Helmut-Fans waren in der übergroßen Mehrheit. Gerade sie fordern heute Gerechtigkeit ein. Da ist aber nichts einzufordern. Der Ruf nach Gerechtigkeit der Helmut- Fans ist eher der Versuch, weiterhin die leichtfertig geglaubten Lügen ihres Superstars als bare Münze zu nehmen. Jetzt, wo für viele das bittere Ende da ist, was so lieblich als »Erreichen der Talsohle« beschrieben wird, wird die Wut über die eigene Dummheit immer größer. Die Einsicht, daß man wiederum betrogen wurde, ist doppelt bitter.

Die massive Unzufriedenheit in den neuen Ländern wird noch von einer zweiten Gruppe gespeist. Immer lauter rufen die Mitglieder der ehemaligen herrschenden Klasse der DDR nach Gerechtigkeit. Sie zählen zu den politischen Einheitsverlierern, ihre persönlichen Schicksale haben in der Regel einen Karriereknick durchlaufen, sie wurden aus wichtigen gesellschaftlichen Positionen herausgedrängt, sie haben nichts mehr zu sagen. Diese große Gruppe verlangt nun nach 24 Monaten im Namen der Gerechtigkeit ein Ende ihrer Bußzeit.

Es drückt die politische Schwäche der Bürgerbewegung Bündnis 90/Grüne aus, daß sie daraus kein politisches Kapital schlagen kann. In den sozialen Auseinandersetzungen innerhalb der neuen Länder spielen die Bürgerrechtler keine dominierende Rolle mehr. Zu lange sind sie mit inneren organisatorischen Querelen, Bündnisverhandlungen und so weiter beschäftigt gewesen. Jetzt den Komitees hinterherzulaufen, wie es einige aus Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg empfehlen, verwischt die realen Differenzen von Bündnis 90/Grünen und den Komitees. Die frustrierte Bevölkerung in den fünf neuen Ländern braucht zwar eine tatkräftige Unterstützung in ihrem Kampf um mehr Arbeitsplätze, der Sanierung ihrer Wirtschaft, der Rücksichtnahme auf ihren schlechten Start in die Marktwirtschaft etc., aber dieser Kampf um eine gerechtere Gesellschaft darf keinesfalls verknüpft werden mit dem Ruf nach Rehabilitierung der alten Bonzen. In diesem Punkt geht es um die Glaubwürdigkeit — und die ist auf Dauer das höchste Gut, was eine politische Kraft zu verlieren hat.

Dr. Bernd Köppl ist Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Grüne im Abgeordnetenhaus. In der Rubrik Stadtmitte schreiben Persönlichkeiten zu Problemen der zusammenwachsenden Stadt.

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