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Töten als Schwerstarbeit

■ Ein Anti-Western: Clint Eastwoods „Erbarmungslos“

Genauer betrachtet hat Clint Eastwood in seinem Leben nur eineinhalb verschiedene Rollen gespielt: den einsamen, unnahbaren Wolf und den einsamen, unnahbaren Wolf mit menschlichen Abgründen. Ob nun als Fremder ohne Namen in Sergio Leones „Dollar-Trilogie“, die ihn zum Star machte, oder als „Dirty Harry“ im gleichnamigen, von ihm selbst produzierten Cop-Reißer, Eastwood wechselte nur die Verkleidung, tauschte das Pferd mit dem Auto und die Prärie mit dem Großstadtdschungel.

Manche, die besseren seiner Filme, versuchten die Hintergründe der Gewalt auszuleuchten; die meisten benutzen sie nur für billige Schockeffekte, und das regungslose Gesicht von Eastwood diente zur Verdeutlichung der Abgestumpftheit des Serienmörders. Auch in seinen eigenen Regiearbeiten glänzte Eastwood selten mit einer Erweiterung seines Images, Ausnahme bildet hier natürlich „Bird“, bei dem er selbst aber nicht mitspielte.

„Erbarmungslos“ ist der inzwischen zehnte Western mit Eastwood und konzipiert wie ein Abgesang auf seine neun vorherigen Rollen, ohne sein Image völlig auf den Kopf zu stellen. Eastwood mimt unter Eigenregie und -produktion in gewohnt stoischer Art einen Berufskiller, der sich mit Frau und Kindern zur Ruhe gesetzt hat. Nach dem Tod seiner Frau will er das kärgliche und durch die Schweinefarm kaum noch gesicherte Familieneinkommen durch einen letzten Auftrag aufbessern. Mit seinem alten Partner und einem großmäuligen, kindsköpfigen Möchtegernkiller macht er sich auf den Weg, um zwei Cowboys zu töten, die einer Prostituierten das Gesicht zerschnitten haben, deren Kolleginnen die Kopfprämie ausgesetzt haben.

„Erbarmungslos“ ist nicht nur durch seine Länge von über zwei Stunden ein Leinwandepos. Fast scheint es, als hätte sich Eastwood nicht entscheiden können, ob er einen endgültigen Anti-Western macht — und damit auch mit seiner eigenen Filmhistorie radikal bricht — oder ob er das Genre in seiner mystischen Größe wiederauferstehen lassen soll. Schon die ersten Sequenzen führen diesen Kontrast vor Augen. Im Abendrot sehen wir eine kärgliche Hütte und einen Mann, der ein Grab aushebt. Klischeehafte Schönheit der Landschaft und Arbeit, die ein Mann tun muß. Das war der Westen. Schnitt. Ein Mann beschläft eine Frau, beide sind angezogen. Das Zimmer ist düster und heruntergekommen. Schreie aus dem Nebenzimmer, der Mann stürzt von der Frau, die anschließende Messerstecherei ist in dunklen, hektischen Bildern nur zu erahnen. Diese entlarvende Exposition macht vor allem klar: Wir befinden uns nicht in jenem edlen Wilden Westen Hollywoods, wo Ehre und Moral regieren und Zivilisation und Moderne verteidigt werden.

Auch die Figuren scheinen wie aus einem Spätwestern von Peckinpah entlehnt, keiner hat mehr ein Abonnement auf das Gute. Der um das Kopfgeld konkurrierende und penetrant arrogante Killer (Richard Harris) hat seinen eigenen Biographen dabei, den er mit Lügengeschichten über angebliche Heldentaten füttert, die der zu Schundromanen verarbeitet — Titel: „The Duke of Death“. Selbst Gene Hackman als Sheriff hat obskure Vorstellungen von Gerechtigkeit, setzt diese mit äußerster Brutalität durch und gefällt sich gegenüber dem Biographen ebenfalls in der Rolle vom heldenmutigen Revolvermann. Der legendäre Killer Eastwood ist alt geworden, er kommt kaum noch aufs Pferd, wenn er runterfällt, kriegt er Nasenbluten, und beim Übungsschießen trifft er nicht. Man hat Mitleid mit ihm, und so ist es auch ein Spiel mit dem Zuschauer, das seinen echten harten Clint Eastwood wiederhaben will. Den bekommt es zum Schluß auch wieder.

Alle Anwesenden saufen ständig Whiskey. Der Alkohol ist die unabdingbare Voraussetzung für die Killer, um den Mut aufzubringen, ihrem Geschäft nachkommen zu können. Einzig Eastwood hat damals mit dem Töten auch dem Trinken abgeschworen. „Hattest du Angst damals?“ wird er gefragt. „Ich kann mich nicht erinnern, ich war meistens betrunken“, antwortet er und nimmt die ersten Schlucke nach elf Jahren, um in die Stadt zu reiten und die Mörder seines einzigen Freundes zu töten.

Das Töten ist schwere Arbeit und nichts Heroisches, wenn man es für Geld macht, scheint der Film zu behaupten. Er enttarnt die in klassischen Western zu oft mystifizierten Revolvermänner als geldgeile, gedungene Mörder, aber er legitimiert das Töten aus Rache und wiederbelebt dieses klassische Westernmotiv. So zwiespältig wie die Aussagen des Films sind auch die Gefühle, die er weckt. Der Zuschauer wird dazu gebracht, sich die erneute Kriminalisierung des negativen Helden zu wünschen, aber nicht, weil es mit ihm fühlt, sondern weil es selbst Spaß findet an der verlogenen Rolle des Outlaw, der weder Recht noch Gesetz kennt. Thomas Winkler

„Erbarmungslos“. USA 1992, Regie u. Produktion: Clint Eastwood. Buch: David Webb Peoples. Kamera: Jack N. Green. Mit Clint Eastwood, Gene Hackman, Morgan Freeman, Richard Harris u.a.

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