: Das andere Gesicht Israels
Zornig und immer noch voller Hoffnung: Ein Porträt der israelischen Rechtsanwältin Felicia Langer ■ Von Ute Scheub
Zorn? Kann diese Frau zornig werden? Wer einen der zahlreichen Auftritte der 62jährigen Rechtsanwältin erlebt hat, weiß, daß sie dazu fähig ist, wenn sie über ihr Thema spricht: die Rechte der PalästinenserInnen. Dann ist sie, wie bei einem Teach-in 1991 in Berlin, in der Lage, auch ohne Mikrofon eine tausendköpfige Menge zu übertönen. Dann läßt sie sich stolz und selbstbewußt von ihren rhetorischen Fähigkeiten tragen, die sie während ihrer 23jährigen Arbeit als Verteidigerin gelernt hat. „Die schlechteste Anwältin der Welt“ wird sie liebevoll ironisch genannt — sie vertrat Tausende von Menschen und konnte nur in den wenigsten Fällen einen Erfolg erringen. Im Sommer 1990 schloß sie deshalb voller Ingrimm ihre Jerusalemer Kanzlei und zog mit ihrem Mann zu ihrem Sohn Michael nach Tübingen.
Hoffnung? Wenn sie die jemals aufgegeben hätte, wäre sie nicht zu der dickköpfigen Kämpferin geworden, die sie ist. Ihrem Einsatz für die Menschenrechte, der sie international bekannt gemacht und ihr 1990 den Alternativen Nobelpreis eingebracht hat, haftet eben jene Mischung aus Ingrimm und Weitermachen an. Sie habe eine „Mission“, sagt sie selbst — Felicia Langer hat keinerlei Scheu vor emotional starken oder gar pathetischen Worten. Sie wolle „eine Brücke schlagen“ zwischen ihrem und dem palästinensischen Volk.
„Zorn und Hoffnung“ heißt folglich ihre beim Lamuv-Verlag erschienene, 453 Seiten starke Autobiographie, die mit Kindheitsbildern im polnischen Tarnow beginnt. Der von ihr verehrte Vater war ein anerkannter Anwalt mit aristokratischen Manieren, und bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, den sie als Neunjährige erlebte, fehlte es ihr weder an materieller noch an emotionaler Sicherheit. Doch dann mußte die Familie in die Sowjetunion fliehen, und die Deutschen ermordeten all ihre Verwandten in Polen.
„Das Leid einer Flüchtlingsexistenz vergißt man nicht“, notiert die Anwältin palästinensischer Flüchtlinge. Ein zweites Erlebnis scheint jedoch ihren späteren Einsatz mindestens genauso stark geprägt zu haben: Ihr Vater, damals schon sehr krank und geschwächt, weigerte sich, einen sowjetischen Paß anzunehmen, und wurde dafür ins Gefängnis geworfen. Die kleine Felicia bestärkte ihn in seiner Konsequenz, nicht zu Kreuze zu kriechen, und als alle anderen Gefangenen vor ihm entlassen wurden, sagte er: „Wenn meine Tochter, die mir über alles geht, die mich so sehr liebt, zu mir sagt, daß wir durchhalten müssen, dann ist das ein Zeichen dafür, daß es so sein muß und so sein wird.“ Als er danach zu einem Arbeitseinsatz beordert werden sollte und bereits in der Eisenbahn saß, sah er sie mit traurigen Augen an: „Nur du kannst mich retten.“ Die Tochter rannte zum Kommandanten: „Ich möchte Sie für meinen Vater um Gnade bitten. Er ist krank und wird sterben. Arbeiten kann er sicher nicht.“ Der Mann ließ sich tatsächlich von ihr erweichen und ihren Vater zurückholen. „Der Weg von der Kommandantur zum Zug war der erste Siegeszug in meinem Leben“, erzählt sie heute.
Ihre glückliche Kindheit war vorbei, in der Familie herrschte Hunger und nackte Not. „Es kann sein“, glaubt sie selbst, „daß ich in jenen schweren Jahren die pedantische Strenge übernahm, was das ordentliche und saubere Äußere betrifft, und sie wurde ein Teil meiner Persönlichkeit.“
„Er wollte nicht an den Holocaust erinnert werden“
Schließlich starb ihr Vater. Nach dem Ende des Krieges siedelten Mutter und Tochter nach Krakau über. Im Internat lernte sie ihren späteren Ehemann kennen, einen mageren Jungen mit schwarzem Haar, der als einziger seiner ganzen Familie die Konzentrationslager Plaschow, Tschenstochau, Buchenwald, Reimsdorf und Theresienstadt überlebt hatte. Sie heirateten, als sie 17 war — die Ehe ist bis heute glücklich.
Seine traumatischen Erlebnisse in den KZs verschloß er in seinem Inneren — bis vor kurzem, als man ihn zu diesem Thema zu einer Podiumsdiskussion in Tübingen einlud. „In unserer kleinen Familie“, schreibt seine Frau, „war der Holocaust nur ein Thema am Rande. Mein Mann und ich hatten ihn irgendwie verdrängt. Er wollte nicht daran erinnert werden, was er durchgemacht hatte, und mir fiel es schwer, etwas darüber zu hören, Filme zu sehen oder Bücher zu dem Thema zu lesen. Was ich wußte, hatte er mir am Anfang, als wir uns kennenlernten, erzählt, als er 20 und ich 17 war. Er war erst wenige Jahre zuvor dem Tod entkommen, mit seiner Befreiung aus dem Lager Theresienstadt durch die Rote Armee. Wären die Soldaten 24 Stunden später gekommen, hätte es bereits niemanden mehr zu retten gegeben. So wie die anderen war auch er nur noch das Gerippe eines Menschen und konnte nicht mehr aus eigener Kraft auf den Füßen stehen.“
Nach der Heirat wanderte Felicias Mutter nach Israel aus, und 1950 beschloß sie mit ihrem Mann, ihr zu folgen. Er arbeitete in einer Autowerkstatt, sie in einer Textilfabrik. Als das einzige, 1953 geborene Kind sechs Jahre alt war, begann die Mutter mit ihrem Jurastudium. Nach zweijähriger Arbeit als Anwältin erlebte sie den Sechstagekrieg im Jahre 1967 als entscheidenden Einschnitt in ihrem Leben. Zornig auf die Besetzung der Westbank und des Gaza-Streifens, spezialisierte sie sich auf die Verteidigung von PalästinenserInnen und auf das Völkerrecht, das die Achtung der Menschenrechte in besetzten Gebieten regelt. „Ich wollte schon 1967 das andere Gesicht Israels zeigen“, erzählt sie.
„Zunächst mußte ich es allen Kleingeistern, männlichen Chauvinisten und anderen beweisen“, heißt es in ihrer Autobiographie. „Sie prophezeiten, daß es schwierig sein würde, die Araber davon zu überzeugen, sich an eine Frau zu wenden, eine Jüdin, eine Israelin.“ Der erste, der kam, war ein Imam mit einem roten Fez, dessen Sohn im Gefängnis saß. Seine Mutter hatte ein blutbeflecktes Hemd zum Waschen erhalten. „Die Mutter brach in Schluchzen aus. Es herrschte Schweigen. In diesem Moment war ich ausschließlich eine Mutter...“
„Ein Mann ist ein Verräter, eine Frau eine Hure“
Die PalästinenserInnen hätten ihr vertraut, sagt sie, „und das war eine Quelle meiner Kraft. Ich war die erste Anwältin, die solche Fälle vertrat. Kein arabischer Mann hat mich deswegen scheel angeguckt. Einer sagte mir sogar einmal: Du machst das wie zehn Männer. Ich fand das kein Kompliment für eine Frau.“ Ihre Gegner auf israelischer Seite und besonders der Geheimdienst Shin Beit hätten jedoch jahrelang ihre Verletzbarkeit als Frau ausgenutzt, sie bedroht und beleidigt. „Ein Mann“, fügt sie hinzu, „ist für diese Leute nur ein Verräter, aber eine Frau ist eine Hure.“ 1978 fühlte sie sich gezwungen, einen Leibwächter zu nehmen, nachdem „womöglich ein Mann des Shin Beit“ ihr schriftlich androhte, angebliche Nacktfotos von ihr zu veröffentlichen, und ihren langsamen qualvollen Tod schilderte. „Felicia Langer ist eine PLO- Hure. Der Tag deines Todes ist nahe“, sprühten später mutmaßliche Anhänger des rechtsradikalen Rabbi Kahane an ihre Kanzlei. Und als sie 1980 Bassam Schaka vertrat, den Bürgermeister von Nablus, dessen drohende Deportation sie verhindern konnte, dem bei einem Attentat danach aber beide Beine abgerissen wurden, bekam sie erneut Drohschreiben: „Mein Ende werde dem von Bassam Schaka gleichen.“ Und „wie schade es sei, daß mich die Deutschen nicht verbrannt und Seife aus mir gemacht hätten“.
Seife. In ihrem Buch nennt sie voller Zorn noch andere Beispiele, wo die Opfer von gestern mehr oder weniger bewußt an die Taten ihrer Henker erinnern. 1982 hatten Soldaten palästinensischen Gefangenen im Militärgefängnis von Jericho Nummern in den Hinterkopf rasiert. Der Major, bei dem sich die Anwältin beschwerte, zeigte sich erschüttert, doch ein Schuldiger wurde nie gefunden. 1985 erstattete sie vergeblich Anzeige gegen einen Untersuchungsbeamten, der einem palästinensischen Studenten Zigaretten auf dem Arm ausgedrückt und dabei gebrüllt hatte: „Ich bin Hitler!“ 1989 warfen Soldaten während einer Ausgangssperre in der Westbank Bücher aus einem Büro auf die Straße und verbrannten sie. Und ebenfalls Ende der achtziger Jahre gaben sich israelische Greiftrupps in den besetzten Gebieten selbst die Namen „Kindermörder“ oder „Mengele“.
Waren es diese Beispiele, die Henryk Broder zur Feder greifen ließen? Im Spiegel-Sonderband „Juden und Deutsche“ schreibt er: „In der letzten Zeit ist die Tel Aviver Rechtsanwältin Felicia Langer zu einer Kultfigur in Deutschland avanciert. Sie dient dem fortschrittlichen Lager als Kronzeugin dafür, daß die Israelis den Palästinensern das antun, was die Nazis den Juden angetan haben, und trägt so zur Entsorgung der deutschen Geschichte bei.“ Der polemische Vorwurf trifft sie schwer. „Ich habe mich immer bemüht“, sagt sie, „keine Vergleiche zu ziehen. Der Holocaust ist nicht vergleichbar. Aber Verhaltensweisen. Mein Mann hat auch Numerierungen erlebt.“ Sie relativiert jedoch selbst: „Einen Gefangenen demütigen, foltern, ins Gesicht spucken, ihn wie eine Nummer oder einen Hund behandeln — das ist leider universal.“ Aber, so fragt sie, „wenn den Opfern von gestern Immunität erteilt wird, um Täter von heute zu sein — werden wir da nicht Komplizen? Die Deutschen haben eine besondere Pflicht, gegen Rassismus und Antisemitismus zu kämpfen, sie müssen aber auch Sensibilität entwickeln, wenn jene gequält werden, die nichts mit dem Holocaust zu tun hatten.“
Ohne Zweifel. Doch Felicia Langers Zorn steht in der Gefahr, von der falschen Seite mißbraucht zu werden. So wie bei jenem Teach-in in Berlin, als die Fäuste für die palästinensischen Opfer allzu schnell gereckt und der Geschichtsfaden allzu schnell vergessen wurde, der in Deutschland seinen Anfang hatte. Im politisch- psychoanalytischen Sinne kann und darf man sich nicht wundern, wenn Opfer zu Tätern werden, wenn Verwundete wieder Wunden schlagen, wenn Mengele-Opfer oder ihre Nachfahren sich „Mengele“ nennen. Ein Zusammenhang, den die Anwältin, die den „Holocaust irgendwie verdrängt hat“, nicht herstellt.
Totgeschlagen, „weil er einen dicken Bauch hatte“
„Menschenrechte sind unteilbar“— mit dieser einfachen Formel versucht sie ihre KritikerInnen immer wieder in die Schranken zu weisen. Sie war die erste israelische Rechtsanwältin, die Folteropfer und die Familien Verstorbener vertreten hat, lange bevor die Presse über dieses tabuisierte Thema berichtete. Und sie hat entsetzliche Fälle zu berichten. Da war der Familienvater Hani El- Shami, der während der Intifada unter dem Vorwurf angeblichen Steinewerfens von Soldaten in seinem Haus so malträtiert wurde, daß er starb. Felicia Langer konnte vier Soldaten vor Gericht bringen; einer sagte aus, „er habe El-Shami geschlagen, weil der einen dicken Bauch hatte und weil er ein Albino war und ihnen das so lächerlich vorkam; und auch, um sich etwas die Langeweile zu vertreiben.“ Sie wurden nur wegen Mißhandlung verurteilt und bald amnestiert. Da war der 19jährige Hader Tarazi aus Gaza, der 1988 zum Einkaufen geradelt war und in eine Konfrontation mit Soldaten geriet. Sie verprügelten ihn und „schoben ihn auf ein Militärfahrzeug: die Arme ausgestreckt auf der Motorhaube, den Kopf in Fahrtrichtung, die Beine über der Windschutzscheibe. Die Soldaten fuhren fort, ihn zu schlagen, und einige Zeugen gaben an, daß sie sahen, wie Blut aus seiner Nase und seinem Mund spritzte.“ Diese „Kreuzigung von Gaza“ überlebte er nur um wenige Stunden. Alle, die vor Gericht kamen, wurden freigesprochen.
Für Felicia Langer war die Verzweiflung an der Justiz der Anlaß, ihr Büro zu schließen. Seit Beginn der Intifada und der Massenverhaftungen, sagte sie der Zeitschrift Semit Times, sei es „nutzlos, sich in den Fluren des Obersten Gerichtshofs aufzuhalten, in den Militärgerichten zu warten und lange Reisen in entfernte Gefängnisse zu unternehmen“, weil man „fünf- oder sechsmal bei Gericht erscheinen“ müsse, „bis man vielleicht das Glück hat, daß der Klient gebracht wird.“ Und: Sie habe das Gefühl gehabt, in eine „Fabrik für juristischen Kuhhandel geraten zu sein“.
So viel Zorn, und wo bleibt die Hoffnung? Auch wenn sie die Politik des Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin von der „Arbeiterpartei“ mit großer Skepsis verfolgt — „er war und ist ein Falke“ —, setzt sie auf die Tauben in dem linken „Meretz“-Bündnis, mit dem Rabin eine Koalition einging: „Die Wahlen waren eine wirkliche Wende. Die Parteien der Siedler haben nicht mehr einen so starken Einfluß auf unsere Gesellschaft, das mildert die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung, wenn den Palästinensern eine echte Autonomie gewährt wird.“ Rabins bisherige Vorschläge liefen jedoch eher auf eine „Müllabfuhrautonomie“ als auf eine wirkliche Selbstbestimmung hinaus. „Rabin hat die Autonomie in neun Monaten versprochen, doch das Ausland muß weiter Druck ausüben, damit es eine glückliche Schwangerschaft wird.“ Zornig und guter Hoffnung.
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