: Ozonloch durch Raketen
■ Rosalie Bertell vom International Institute for Concern of Public Health macht militärische Raketentests mitverantwortlich für Ozonloch/ „Das Militär stoppen“
Dr. Rosalie Bertell ist seit Anfang der siebziger Jahre in der Krebsforschung aktiv. Die Ordensschwester hat den Weltkirchenrat beraten und leitet das „International Institute of Concern for Public Health“ in Toronto. 1986 erhielt sie zusammen mit Alice Stewart den Alternativen Nobelpreis für ihre Arbeiten zum Krebsrisiko von Niedrigstrahlung.
taz: In Ihrem Institut im kanadischen Toronto beobachten Sie besonders auch die Machenschaften des Militärs. Was hat das Militär mit dem Ozonloch zu tun?
Rosalie Bertell: Als ich 1985 in Australien war, wurde eine militärische Rakete mit einer geheimen Mission von Cape Canaveral in Florida abgeschossen. Einer der beteiligten Wissenschaftler, Dr. Baumgarten aus Boston, berichtete — Geheimmission hin oder her — in Sydney, daß sie vorhätten, ein Loch in die Ionosphäre über der Ozonschicht zu schießen. Und zwar in Tasmanien, über einem astronomischen Beobachtungsstand. Das würde den Astronomen erlauben, zum ersten Mal ohne die störende Ionosphäre direkt in die Sterne zu schauen. Später berichteten sie, wie wunderbar groß das Loch geworden sei, während wir in Sydney einen außergewöhnlich heftigen Hagelsturm mit scharfzackigen Hagelkörnern erlebten. Diese müssen sehr hoch in der Atmosphäre sehr schnell gefroren sein, sonst wären sie rund gewesen. Im nächsten Sommer waren dann die ersten Berichte über das Ozonloch über der Antarktis zu lesen.
Das beweißt aber noch nichts?
Richtig, ich vermutete einen Zusammenhang, ohne irgendwas beweisen zu können. Schließlich fand ich aber heraus, daß für den Raketentreibstoff dieselbe Chlorverbindung benutzt wird wie in den FCWK. Wenn ein Shuttle hochgeschossen wird, dann emittiert es zwischen 75 und 150 Tonnen Chlorin in die Atmosphäre. Dieses Chlorin ist extrem aggressiv. Beim Ozon zerstört es die vielfache Menge seines eigenen Gewichts. Allerdings ist es schier unmöglich, die genaue chemische Zusammensetzung herauszufinden, denn die fällt unter die nationale Geheimhaltung. Dennoch kann man getrost annehmen, daß das Ozonloch durch die Raketen- und Raumfahrtprogramme mitverursacht wurde. Auch deshalb, weil dieselben Schadstoffe in der Höhe ungleich mehr Schaden verursachen als am Boden. Zu Zeiten des Golfkrieges wurden allein mehr als 1.500 Raketen abgeschossen, die alle heftige Spuren in den so verletzbaren atmosphärischen Schichten hinterließen.
Welchen Anteil trägt das Militär an der globalen Umweltverschmutzung?
Die meisten unserer ernsthaften Umweltprobleme sind durch das Militär verursacht oder haben militärische Wurzeln. Ich erwähne nur die Pestizide und Herbizide, die während des Vietnamkriegs für die Dschungelvernichtung erfunden und später an die Bauern verkauft wurden und nun unsere Nahrungskette, das Wasser und die Erde belasten. Oder der Uranabbau und die gesamte Atomindustrie, die aus der Herstellung von Massenvernichtungswaffen erwuchs. Ein weniger bekanntes Beispiel: Die US-Regierung unternahm in den frühen sechziger Jahren eine Serie von neun Atombombentests in der höheren Atmosphäre bis hinauf in den Weltraum. Dabei wurde nicht nur künstliches Nordlicht erzeugt, sondern auch eine Menge von radioaktivem Material, das rund um den magnetischen Nordpol herunterging und immer noch ein großes Problem für die dort lebenden Menschen darstellt.
Die Massenvernichtungsmittel töten also schon heute, ohne eingesetzt zu werden?
Ja, auch durch ihre tödlichen Spin-off-Effekte. Die Industrie geriet geradezu in Gefangenschaft des Militärs. Die großen Produktionsverträge und das große Geld kamen aus dem Verteidigungsetat. Die Industrievertreter legitimierten das mit den zu erwartenden Spin-off-Effekten für die zivile Produktion. Dieser Pakt zwischen Industrie und Militär hat eine Todeskultur hervorgebracht, innerhalb derer man sich seit dem Zweiten Weltkrieg anstrengt, immer bösartigere Waffen und Superwaffen zu schaffen.
Warum, glauben Sie, tun Menschen so etwas?
Die Militärs zeigen alle klassischen Symptome von Sucht. Sie handeln im verborgenen, verhalten sich wild und exzessiv, lügen, sind selbstzerstörerisch und mißbrauchen Unmengen von Geld, das nun im Gesundheits- oder Erziehungssektor fehlt. Und die zivile Gesellschaft verhält sich so wie die Ehefrau eines Alkoholikers, die diesen aus Furcht und Abhängigkeit unterstützt. Die Umweltschutzbewegung macht den Fehler, daß sie diese Sucht nicht sieht und den Leuten erzählt, sie müßten nur ihren Lebensstil ändern, dann würde alles gut. Wir müssen uns endlich mit dem Militär konfrontieren und es stoppen, sonst zerstört es uns.
Auf wen hoffen Sie hier?
Vor allem auf die Frauen und auf die eingeborenen Völker. Beide Gruppen haben einen stärker entwickelten Sinn für das Überleben und den Lebensreichtum. Frauen wissen sehr viel besser darüber Bescheid, daß die Krebsraten steigen, Mißbildungen bei Babys zunehmen, Allergien und Asthma bei Kindern zunehmen. Und wenn wir einen historischen Rückblick machen, dann können wir sehen: Immer wenn Frauen aktiv wurden, hat sich viel geändert.
Sie glauben also an eine Art feministischer Revolution?
Ja, ich glaube, wir haben die Fähigkeiten dazu, aber ich kann nicht garantieren, daß wir sie auch anwenden. Dennoch: Es gibt nichts, was uns dazu wirklich fehlt, außer dem Willen.
Und wie kommen wir ganz praktisch da hin?
Wir müssen neue Taktiken lernen und neue kooperative Formen der Organisation einer Gesellschaft. Wenn man wie eine Armee regiert und als Kommandeur allen sagt, was zu tun ist, dann werden die Menschen an der Basis irgendwann sagen: Pah, so funktioniert das nicht. Ich werde alles falsch machen, sollen sie damit zurechtkommen. Deswegen brauchen wir neue kooperative Gesellschaften anstelle von Leuten an der Spitze, die alles besser wissen. Das Gespräch führte Ute Scheub
Das Interview entstand am Rande einer Internationalen Frauenkonferenz in Malta, auf der die „Frauenorganisation der Mittelmeerregion“ gegründet wurde.
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