piwik no script img

Mit dem Wind bis in die letzte Ecke

■ Der Autoverkehr ist viel stärker an der Stickstoff-Verschmutzung der Nordsee beteiligt als bisher angenommen

der Nordsee beteiligt als bisher angenommen

Der Nordsee geht es im großen und ganzen nicht besser als vor einigen Jahren. Besorgnis ist weiterhin angesagt, auch wenn in einigen Bereichen Verbesserungen zu beobachten sind — dort, wo durch staatliche Maßnahmen die Einleitungen und Schadstoffkonzentrationen abgenommen haben. Das ist das Fazit von Wissenschaftlern, die gestern auf Einladung der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste in Hamburg die Frage beantworten sollten: Geht es der Nordsee besser? Die Forscher, viele von ihnen Autoren des Buches „Warnsignale aus der Nordsee“, haben zwar in den letzten Jahren einige positive Signale entdeckt. Aber es sind auch neue und bedenkliche Phänomene aufgetaucht.

Der Quecksilbergehalt in Nordseefischen ist deutlich zurückgegangen, eine Folge der massiv reduzierten Quecksilbereinleitungen. Seit nördlich von Helgoland keine Dünnsäure mehr verklappt wird, haben sich dort auch die Fische erholt. Die Hautkrankheiten haben dort deutlich abgenommen, berichtete Thomas Lang von der Bundesforschungsanstalt für Fischerei. Allerdings hat Lang in Teilen der Nordsee eine Zunahme von Lebertumoren festgestellt, möglicherweise durch Erdöl und seine Abbauprodukte hervorgerufen.

Den Bodenlebewesen der Nordsee geht es schlecht. Schwarze Flecken im Wattenmeer sind Zeichen dafür, daß in diesen Zonen kein Sauerstoff mehr vorhanden ist, und der giftige Schwefelwasserstoff alles Leben abgetötet hat.

Die Masse der Planktonalgen nimmt weiterhin zu. Nach Beobachtungen von Wolfgang Hickel von der Biologischen Anstalt Helgoland ist zwar die Konzentration des Algennährstoffs Phosphat in der Nordsee in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen — eine Folge des Umstiegs auf phosphatfreie Waschmittel.

Das hat der Nordsee aber nichts gebracht, denn der Gehalt an Stickstoff, des zweiten wichtigen Algennährstoffs, nimmt weiterhin zu. Dieses Düngemittel stammt aus Flüssen und Abwässern. Ebensoviel kommt aus der Luft mit Abgasen von Landwirtschaft und Industrie. Vor allem der Autoverkehr ist viel stärker beteiligt als bisher angenommen. Fatal am Eintrag von Stickstoff aus der Luft ist, daß auf diesem Wege die Überdüngung auch entlegene Gebiete der Nordsee fern der Küste erreicht, die von Abwässern weitgehend verschont bleiben. Durch die übermäßige Nährstoffzufuhr vermehren sich ei-

1nige Pflanzenarten massenhaft, andere verschwinden. So wuchern seit 1989 in einigen Bereichen der Nordsee Grünalgen, die nicht gefressen werden. Wenn Bakterien zersetzt werden, wird enorm viel Sauerstoff verbraucht. Die Folge

1sind sauerstoffreie tote Zonen am Meeresgrund.

Die Empfehlung der Nordseeforscher lautet: Wir müssen an die Quellen der Verschmutzung. Giftige Chlorverbindungen und Schwermetalle dürfen nur noch in

1geschlossenen Kreisläufen verwendet werden, damit sie gar nicht erst ins Meer gelangen. Die Überdüngung in der Landwirtschaft, Auto- und Industrieabgase müssen drastisch reduziert werden.

Vera Stadie

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen