: Mißbrauch des Parlaments - ein Jahr DVU in der Bürgerschaft
■ Zwischenbilanz über die Bremer DVU-Fraktion nach einem Jahr — Drei taz-Seiten Dokumentation aus der Studie von Jochen Grabler
Nach der Bürgerschaftswahl vom 29.September 1991 ist die DVU erstmals in Fraktionsstärke in ein bundesdeutsches Länderparlament eingezogen. In Bremen Stadt erreichte sie fast 5,4 (1987: 3) und in Bremerhaven über 10 (5,4) Prozent der Stimmen, was auf das Land gerechnet nahezu 6,2 (3,4) Prozent ergaben. In diesem ersten Jahr ist sie immer wieder in die Schlagzeilen gekommen: Zum einen mit zerrissenen Senatsantworten und starken Sprüchen im Parlament, zum anderen mit Finanzaffären um die Fraktionsgelder. Die Zwischenbilanz nach einem Jahr ist eindeutig: Die DVU mißbraucht das Parlament und den Auftrag der Wähler. Die Abgeordneten verweigern die Arbeit.
1. Außer in den Plenardebatten beteiligen sie sich nicht an der parlamentarischen Arbeit. Ihr erklärtes Ziel, die „knallharte Oppositionsarbeit“ beschränkt sich ausschließlich auf spektakuläre Fensterreden. Diese Verwigerungshaltung bedeutet nicht allein einen Mißbrauch des Parlaments, sondern auch einen Mißbrauch des Wählerwillens.
2. Ihre Themenliste ist extrem beschränkt, meist kommen die DVU-Abgeordneten nach kürzester Zeit auf das Thema „Ausländer und Asyl“. Dieser Linie folgen sowohl die Reden, als auch die Anträge. Zu Themen wie Umwelt, Finanzen oder Wissenschaftspolitik reden sie überhaupt nie.
3. Weder in den Reden, noch in den Anträgen, schon gar nicht im Auftreten der DVU in den Deputationen und Ausschüssen kann man erkennen, daß sich die DVU um konkrete Problemlösungen auch nur bemüht. Die Leitlinie ihrer Politik läßt sich zusammenfassen: Maximaler Output an Propagandawirkung bei minimalem Input an politischer Phantasie und inhaltlichen Lösungsvorschlägen.
4. Die Vertreter der DVU sind in einigen Deputationen und Ausschüssen überhaupt nicht anwesend, in anderen selten, und wenn sie anwesend sind, schweigen sie. Sie fragen nur in extrem seltenen Fällen einmal nach. Offensichtlich ist, daß über das Propagandainteresse hinaus kein weiteres Interesse an parlamentarischer Arbeit existiert.
5. Die DVU hat im vergangenen Jahr versucht, so viele Mitglieder wie möglich in den Genuß eines Deputationssitzes zu bringen und sie so über die Aufwandsentschädigung zu alimentieren, ganz im Gegensatz zu ihren Tiraden über die alten „Abzockerparteien“.
6. Die DVU-Fraktion pflegte bislang einen höchst problematischen Umgang mit öffentlichen Geldern: Über das Schalten von Anzeigen in den Frey-Zeitungen sollten Fraktionsmittel in die Münchner Parteizentrale umgeleitet werden. Die Fraktion hat sich im ersten Jahr ihres Bestehens beharrlich geweigert, die Fraktionszuschüsse für die Zwecke zu verwenden, für die sie vorgesehen sind: Den Aufbau eines Büros und eines MitarbeiterInnenstabes, um die Arbeit einer Fraktion bewältigen zu können. Erst nachdem Die Grünen die Anzeigenaffäre öffentlich gemacht und das fehlende Büro angemahnt hatten, und nachdem die Bürgerschaftsverwaltung die Fraktionsgelder gesperrt hatte, lenkte die DVU ein.
7. Die Fraktion der DVU ist in jeder Beziehung abhängig von der Münchner Parteizentrale und von Gerhard Frey:
Die Parteiblätter werden als Redemanuskript benutzt,
eine zentrale Figur aus den Frey-Zeitungen ist Fraktionsgeschäftsführer,
die Wahl der Fraktionsvorsitzenden wurde direkt gesteuert,
die Anträge und Anfragen werden in München verfaßt.
8. Nachdem die Einigungsstrategie der NPD mit der DVU der NPD das vorläufige Ende beschert hat, steht die DVU in Bremen auf der Seite der parlamentarischen Rechten ohne Konkurrenz. Gleichwohl existiert kein Parteileben. Die soziale Basis existiert zweifellos, aber es gibt keinen porganisierten Kontakt zwischen Partei und WählerInnen. Versammlungen finden nicht statt, Politik wird im engsten Kreis besprochen. Auch an der geballten Ahnungslosigkeit in den Deputationen kann man sehen: Die DVU hat keinen nennenswerten Zugang zu Verwaltung oder relevanten gesellschaftlichen Gruppen.
9. Auch wenn die politische Verwandtschaft auf der Hand liegt: Organisatorische Verbindungen zu außerparlamentarischen Rechten, zu Kreisen von Alt- und Neonazis sind auf Bremer Ebene nicht nachgewiesen.
Die Propaganda-Masche in den Reden der DVU
Die DVU richtet ihre ganze Energie auf die Propagandawirkung ihrer Plenarreden. Dabei ist der Gestus wichtiger als der Inhalt. Auch die wenigen eigenen Anträge und Anfragen werden dieser Strategie vollkommen untergeordnet: Möglichst hoher propagandistischer Output bei möglichst geringem Input an inhaltlich-fachlicher Problemlösung. Die RednerInnen gefallen sich in der Pose von „Jetzt redet das Volk“, jetzt kommen diejenigen zu Wort, die sonst keine Stimme im Parlament haben: „Wir verstehen uns als Anwalt der sogenannten kleinen Leute“ eine „Volksopposition, die ausschließlich die Interessen der Bürger vertritt, die Sie im Stich gelassen haben, und das werden immer mehr.“ „Die Probleme können Sie nicht unter den Tisch wischen, denn dann müssen Sie 23.000 Wähler unter den Tisch wischen.“ Jede Kritik an der DVU wendet sie in eine Kritik an den Wählern, als Beleidigung, Diffamierung, Verfolgung des gesunden Volksempfindens. Dazu gehört ein klares Bild von Unten gegen Oben.
Deutscher Stammtisch
Dieses Schema, diese Pose durchzieht jeden Redebeitrag. Jede Frage wird zur Unten/ Oben-Frage. Hie die verfolgte Volksmeinung, da die etablierten Politbonzen, Wir und die Ausländer. Und dabei sind die „Oben“, die die Ausländer schützen und von ihnen abhängig sind. Darin zeigen sich die schlichten Traditionen, denen die DVU verbunden ist. Dieses Schema ist bekannt: Die Verknüpfung, Vereinfachung, Verengung und Verarmung der Wahrnehmung und die angebotene scheinbare Lösung ist ein klassisches „national-sozialistisches“ Ideologiemuster. Dieses Muster ist von den Nationalsozialisten zu mörderischer Perfektion getrieben worden. Darin spiegelt sich der deutsche Stammtisch, der sich sonst in der veröffentlichten Meinung offensichtlich nicht mehr wiederfindet. Und er wird nicht nur gespiegelt, er wird gleichzeitig aggressiv verstärkt. Das ist die Funktion dieser Propaganda.
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