: „Jetzt müssen die Aktionen kommen“
■ Die Komitees für Gerechtigkeit erzielen nur therapeutische Erfolge
Als der Gründungsaufruf der Komitees für Gerechtigkeit mitten ins Sommerloch platzte, schenkten die Medien der Ost-Bürgerbewegung, spöttisch „Unternehmen Gystel“ genannt, große Beachtung. Komiteegründer in den Bezirken konnten sich vor Fernsehkameras, Mikrophonen und aufdringlichen Reportern kaum retten. Mittlerweile ist der Medienrummel abgeebbt, und vereinzelt sind schon Nachrufe zu lesen.
In Ost-Berlin gibt es in jedem Stadtbezirk ein Gerechtigkeitskomitee, 3.000 Ansprechpartner hat die Koordinierungsstelle in der Krausenstraße in ihrem Adreßbuch. Zuletzt haben Gerechtigkeitsaktivisten im Stadtbezirk Mitte ein Komitee gegründet. Doch ob die Komitees den Winter politisch überleben werden, ist nach wie vor ungewiß. Von den 200 bis 300 GerechtigkeitsaktivistInnen, die sich je Stadtbezirk zu den Gründungsveranstaltungen eingefunden hatten, sind in vielen Bezirken kaum mehr als 50 übriggeblieben. Anfang Oktober sah sich eine Gruppe von 20 ErstunterzeichnerInnen sogar genötigt, den lokalen Komitees Tips zu geben, wie sie politisch aktiv werden könnten. Zwar sei die Erstunterzeichnergruppe kein „Leitungsgremium“, aber schließlich sei sie oft gefragt worden, so die Rechtfertigung in einem internen Papier, wie die Arbeit der Komitees „konkret organisiert“ werden könne.
Offenbar um der Kritik von links vorzubeugen, die Komitees seien bloß „eine nationale Front zur Verteidigung des Volkswillens“, (Thomas Ebermann/ Rainer Trampert), empfahlen die UnterzeichnerInnen des Gründungsaufrufs den Lokalkomitees, mit Flüchtlingen und nicht nur über sie zu reden. Wirtschaftspolitisch regten die Komiteegründer an, sich für die Abschaffung des Prinzips „Rückgabe vor Entschädigung“ und für einen Gewerbemietpreisstopp stark zu machen.
Der programmatische Nachhilfeunterricht von Jürgen Kuczinsky, Heiner Müller und Gregor Gysi, die zu den Mitverfassern des Positionspapieres gehören, kommt nicht von ungefähr. Nach ihrer Gründung im Juli blieben viele Komitees programmatisch im wehleidigen Sumpf der Zukurzgekommenen stecken. Die „sozialen Errungenschaften“ der untergegangenen DDR wurden wieder herbeigesehnt; um Einfluß auf den Diskurs über die Wirtschaftspolitik bemühten sich die Berliner Komitees nur am Rande. Bürgerinitiativen wie die Mieterinitiative „Wir bleiben Alle“ vom Prenzlauer Berg, schüttelten über die Orientierungslosigkeit der Komitees den Kopf.
Gerade in diesem Bezirk ist von der Gründungseuphorie nicht viel übriggeblieben. Nur ein „harter Kern“ von 70 GerechtigkeitsaktivistInnen in sechs Arbeitsgruppen engagiert sich noch gegen Mietwucher und die katastrophale Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Als sich das Komitee Ende Juli gründete, wollten sich noch 250 Prenzelberger für die gerechte Sache einsetzen.
Manfred Behrendt, ehemaliger Politologie-Dozent an der Humboldt-Universität, gehörte im Sommer zu den Motoren des Lokalkomitees. Seine Situationsbeschreibung trifft die Gesamtsituation der Gysi-Diestel-Bewegung: „Es ist etwas ruhiger geworden, und es sind weniger Leute, die sich an der Arbeit beteiligen. Die Aktionen gegen Mietwucher und Neofaschismus müssen jetzt kommen“, so hofft er zwei Monate nach dem Gründungsakt. Die 53jährige Helga Kalo war auch von Anfang an dabei. Trotz ihrer Resignation – „Wir werden doch nicht für vollgenommen“ – sammelt sie Unterschriften für die sofortige Abschaffung des Prinzips „Rückgabe vor Entschädigung“.
In der karg eingerichteten Koordinerungsstelle in der Krausenstraße ist die Zeit, als die Telefone den ganzen Tag unaufhörlich klingelten, vorbei. „Sind die Komitees ein Flop? fragt ein an die Wand gepinnter Flugzettel. Mitarbeiter Thomas Nord kann diese Frage nur verneinen. Die Komiteebewegung sei die einzige politische Alternative, die noch Zulauf habe, antwortet er und zitiert eine gleichlautende Äußerung des Unionspopulisten Peter-Michael Diestel.
Solange die Probleme nicht gelöst seien und die Bundesregierung versuche mit Hilfe des Ostens, die sozialen Errungenschaften der Bundesrepublik zu demontieren, seien die Komitees ein „entscheidender Emanzipationsansatz“. Selbst der unter IM-Verdacht stehende frühere Rektor der Humboldt-Universität, Heiner Fink, der zu den Erstunterzeichnern zählt, will über direkte politische Erfolge der Komiteebewegung nicht sprechen. Entscheidend sei die „therapeutische Wirkung“ der Bewegung: „Die politische Therapie ist, das die Menschen wieder miteinander reden, denn im Moment wird Politik doch ohne das Volk gemacht.“ Rüdiger Soldt
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