: Berlin gleicht einer Baustelle in den USA
Seit dem Fall der Mauer plant eine Vielzahl prominenter amerikanischer Architekten in Berlin/ In den USA liegt die Bauwirtschaft am Boden, in Berlin locken gigantische Bauvorhaben ■ Von Mary Pepchinski
Seit dem Fall der Mauer sieht Berlin aus wie eine amerikanische Baustelle. Überall erscheinen kommerzielle Projekte, deren Bauschilder die Namen großer Architekten, vor allem aus New York und Chicago, tragen. Als ehemalige New Yorkerin bekomme ich neuerdings Beklemmungen, weil alles, insbesondere die typische Großstadtentwicklung der Ära Reagan, weswegen ich vor fünf Jahren aus den Staaten geflohen bin, auf einmal hier in Berlin wieder auftaucht.
Warum sind so viele amerikanische Architekten hier? Die Antwort ist vorrangig wirtschaftlicher Natur. Während der gefräßigen spekulationssüchtigen Reagan- Ära gab es eine Überfülle spekulativer Bauvorhaben wie mixed-use complexes, Eigentumswohnhäuser, Wolkenkratzer. Aber nach zehn Jahren voodoo economics, dem astronomisch wachsenden amerikanischen Haushaltsdefizit, der Börsenkrise und den savings und loan-scandals liegt die amerikanische Wirtschaft heute am Boden. Manche Firmen sind entweder bankrott oder entlassen viele Mitarbeiter. Große Bauprojekte sind nur teilweise vermietet oder stehen ganz leer. So haben Architekten wenig Arbeit.
Im Vergleich dazu ist der Aufbau der Hauptstadt Berlin eine sehr attraktive Angelegenheit. Dabei bringen die ausländischen Investoren ihre eigenen Architekten mit: In den Staaten beauftragen sie in der Regel für ihre Bauvorhaben immer das gleiche Architekturbüro, weil spekulatives Bauen auch eine Frage des Vertrauens und des Verständnisses zwischen Bauherr und Architekt ist. Viel Geld ist normalerweise im Spiel, und so müssen Projekte schnell und mit Rücksicht auf einen begrenzten Etat realisiert werden.
Weil ihre Arbeit naturgemäß eng von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängt, planen Architekten vorzugsweise long-term und versuchen, ihre Geschäfte weltweit zu betreiben. Auf jeden Fall haben die public relations funktioniert: das Büro hat gerade eine Bank (Peterborough Court) in London fertiggestellt und ein Bürohaus in der Londoner Canary Warf. Auch Murphy/Jahn ist eines der wenigen amerikanischen Architekturbüros, die einen Überfluß an Aufträgen ihr eigen nennen können, was unter anderem damit zusammenhängt, daß diese Firma die letzten zehn Jahre dazu genutzt hat, connections in Deutschland aufzubauen. Aber wenn man die Berliner Architektur dieser Büros betrachtet, so kann man wenig Unterschiede zwischen ihren US- und ihren europäischen Projekten feststellen. Nur der Maßstab ist in Berlin wesentlich kleiner.
Die amerikanischen Architekten, die im Moment in Berlin tätig sind (vor allem Kohn Pedersen Fox „KPF“, Skidomre Owings and Merril „SOM“, Helmut Jahn, Dirk Lohan, Pei Cobb Freed, Richard Meier, Pillip Johnson, Kevin Roche und Cesar Pelli), sind allerdings mehr als rein kommerzielle Architekten, die schnell bauen und verdienen wollen. Sie sind eher eine Elite. Die Gruppe besteht im wesentlichen aus männlichen Weißen, die in teuren Ivy-League- Schools ausgebildet wurden und zum Teil bei emigrierten europäischen Meistern, wie Mies oder Gropius, studiert haben. Manche haben ebenfalls in der Ivy League gelehrt oder waren als Dekan einer Architekturfakultät tätig. Aber sie sind weder Künstler noch Ideologen. Ihr Geschäft war und ist, Bürogebäude, Institutionen und private Wohnhäuser für die Reichen und Mächtigen in Amerika zu inszenieren. Drei amerikanische Firmen, die zur Zeit in Berlin sind, stammen aus Chicago. S.O.M. (American Business Center am Checkpoint Charlie; mit H.H.P./ Düsseldorf, Hochhaus am Frankfurter Tor) wurde Ende der dreißiger Jahre gegründet. Obwohl der Hauptsitz von S.O.M. in Chicago liegt, hat das Büro in mehreren amerikanischen Städten Zweigbüros und beschäftigt 2.600 Mitarbeiter. Sein bekanntestes Werk ist der höchste Wolkenkratzer der Welt, der 130geschossige Chicagoer Sears-Tower. Dirk Lohan und Helmut Jahn sind ein amerikanisches Phänomen: als deutsch-amerikanische Architekten haben beide Wurzeln in der alten Welt, aber ihren Erfolg fanden sie in der Neuen. Lohan, der Enkelsohn Mies van der Rohes, publizierte ein Gutachten über die Möglichkeit, Mies van der Rohes Entwurf eines gläsernen Wolkenkratzers an der Friedrichstraße von 1922 zu realisieren.
Helmut Jahn (1. Preis Sony- Wettbewerb Potsdamer Platz) machte sein Diplom 1965 in München und ging 1966 nach Chicago, um am Illinois Institute of Technology weiterzustudieren. Innerhalb von 14 Jahren stieg er vom Angestellten bis zum Chef eines der größten Architekturbüros Chicagos, C.F. Murphy, auf (heute Murphy/ Jahn). Sein berühmtestes Gebäude, das State of Illinois Center, 1979-85, fungiert als Regierungsgebäude des Staates Illinois.
Die meisten amerikanischen Architekturbüros, die in Berlin bauen, sind in New York oder der Umgebung dieser Stadt stationiert. Das legendäre Büro I.M. Pei und Partner (heute Pei Cobb Freed; es baut die Friedrichstadt-Passagen) wurde von I.M. Pei, Henry Cobb und James I. Freed kurz nach deren Studium bei Walter Gropius an der Harvard University gegründet. Früher war es bekannt für seinen klassisch ungeschminkten modernen Architekturstil und hat in mehreren amerikanischen Städten Projekte realisiert. So baute das Büro zum Beispiel in den sechziger Jahren das John F. Kennedy Memorial in Boston, in den Siebzigern die National Gallery an der Mall in Washington/D.C. und in den Achtzigern das New York Convention Center. Im selben Jahrzehnt ging I.M. Pei nach China und entwarf einen Luxushotelkomplex in Peking, mit einer Detaillierung, die an klassische chinesische Architektur erinnert. Henry Cobb ist einer Generation junger Architekten ein Begriff als Vorsitz der Graduate School of Design (die Architektur-Abteilung an der Harvarduniversität), wohin er in den achtziger Jahren viele innovative Architekten geholt hat.
Richard Meier, der Unter den Linden eine kleine Lücke bebaut, hat in den siebziger Jahren seine Karriere mit sozialen Projekten, wie dem Bronx Developmental Center (eine Klinik und ein Heim für behinderte Kinder), und gleichzeitig mit teuren Wochenendhäusern in der New Yorker Umgebung gemacht. In Deutschland ist er vor allem bekannt für das Kunsthandwerkmuseum in Frankfurt am Main. Zur Zeit realisiert er den Architekturauftrag der neunziger Jahre, das 360 Millionen Dollar schwere Getty Center for the Visual Arts in Santa Monica, California.
Ein besonders gefragtes Architekturbüro in den achtziger Jahren war Kohn Pederson Fox (Bill Pederson, 2. Preis Sony-Wettbewerb). Zu seinen wichtigen Projekten gehören das Bürohaus 333 S. Wacker Drive in Chicago und die „Procter and Gamble“-Hauptverwaltung in Ohio.
Der Großvater und gleichzeitig der Teufel der amerikanischen Architekten ist Phillip Johnson (American Business Center am Checkpoint Charlie). Geboren 1907 in Cleveland, Ohio, begeisterte sich der steinreiche Johnson für die moderne Architektur bei einem Aufenthalt in Deutschland Ende der zwanziger Jahre, beziehungsweise durch seine Bekanntschaft mit Mies van der Rohe. 1932 gründete er die Architekturabteilung des New Yorker Museum of Modern Art und organisierte die einflußreichste Ausstellung der modernen Architektur, „The International Style“. Unter seinen zahlreichen Bauten sind sein eigenes gläsernes Wohnhaus (1949) und, aus den letzten Jahrzehnten, mehrere postmoderne Wolkenkratzer in Städten wie Boston, New York, San Francisco, Dallas, Pittsburgh hervorzuheben.
Johnson versuchte nicht nur zu bauen, sondern auch die Kultur der Architektur in Amerika zu beherrschen. Er stiftete den privaten New Yorker Architektur-think tank, das Institute for Architecture Studies und co-organisierte (mit Mark Wigley) die „Deconstructivist Architecture“-Ausstellung des Museum of Modern Art von 1988. Mit seinen zahlreichen connections in Corporate America entscheidet er, welche jungen, talentierten Architekten wichtige Aufträge bekommen. Als Architekt in Amerika weiß man, wenn man von ihm in das exklusive New Yorker Four- Season-Restaurant eingeladen wird, daß Erfolg sicher ist.
Johnson hat auch eine dunkle, oft vergessene Seite, wie der New Yorker Architekturkritiker Michael Sorkin 1988 berichtete. Ende der dreißiger Jahre war Johnson in Deutschland, diesmal als Korrespondent für eine antisemitische, faschistische amerikanische Zeitschrift, die den Namen Social Justice trug. Während dieses Jahrzehnts gründete er auch die amerikanische faschistische Partei, die National Union for Social Justice. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges ging er 1940 zurück nach Amerika, wo er Architektur an der Harvarduniversität bei Walter Gropius studierte und eine neue Karriere als Architekt begann.
Cesar Pelli und Kevin Roche haben ihre Büros nördlich von New York im Nachbarstaat Connecticut. (Sie waren Teilnehmer beim Sony-Wettbewerb Potsdamer Platz.) Während der siebziger Jahre leitete Pelli den Fachbereich Architektur an der Yale University, in den Achtzigern baute er das World Financial Center in Manhattan, und in den Neunzigern realisierte er das höchste Bürohaus Europas und einen Bahnhof, beide in der Londoner Canary Warf. Roche (mit John Dinkeloo) hat in den sechziger und siebziger Jahren mehrere innovative Gebäude gebaut, wie zum Beispiel das New Yorker Ford Foundation Building, ein Bürohaus, das um einen gläsernen Wintergarten herum steht. In den Achtzigern realisierte er spektakuläre Hochhäuser in New York und corporate headquarters (für Union Carbide, General Foods) in den Vororten dieser Stadt.
Während die US-Bevölkerung sich vorbereitet, die Ära Reagan/ Bush abzuwählen, ist es nicht ohne Ironie zu sehen, wie schnell amerikanische Architekten, die in dieser spekulationssüchtigen Zeit profitiert haben, in Berlin auftauchen. Wird Berlin von diesen neuen Gastarbeitern gewinnen? Wahrscheinlich nicht.
Trotz ihres Renommees wäre es unwahrscheinlich, wenn die Architektur dieser elitären Gruppe eine Stadt verbessert. Ihre Bauten sind eher zynisch als demokratisch. Dies gilt zum Beispiel für die in New York während der achtziger Jahre entstandenen through block acardes, die hoch in einen Wolkenkratzer öffentliche Observation Decks vorsahen. Wenn der Investor solche Einrichtungen plante, durfte er dafür einige Geschosse zusätzlich aufstocken. Festzustellen ist, daß diese von der Bevölkerung kaum benutzt werden. Diese Public spaces sind versteckt, verborgen und bewacht oder möbliert ohne Stühle oder Bänke, so daß man von einem Aufenthalt dort eher abgehalten wird.
Es ist vielleicht kein Zufall, daß mehrere amerikanische Architekten, die im Moment in Berlin tätig sind (Pelli, Johnson, Roche, Meier), den mit hunderttausend Dollar dotierten Pritzker Preis, eine Art Nobelpreis für Architektur, erhalten haben: Die Jury besteht zum Teil aus den Auftraggebern der Gewinner. Eine wahrlich sehr teure Art und Weise, um des Kaisers neue Kleidung zu honorieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen