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Energiegiganten vor Gericht

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über Grundlagen des Stromvertrages/ Stromgiganten und Ostkommunen liegen im Clinch  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) – In Stendal haben die westdeutschen Stromgiganten schon einmal eine Auseinandersetzung verloren. Damals, 1991, wollten sie in der Elbestadt mit Unterstützung der Bundesregierung die noch von der DDR begonnenen Atommeiler fertigstellen. Doch der Widerstand wuchs schneller als erwartet, und die Strombarone verzichteten schließlich. In Stendal entsteht nun ein Kohlekraftwerk. Es wundert also nicht, wenn die Herren der Konzerne Preußen Elektra, RWE und Bayernwerke heute mit gemischten Gefühlen zur Verhandlung über die von ihnen ausgehandelten Stromverträge ins Anhaltinische reisen. Denn nicht ohne Hintersinn hat der 2.Senat des Bundesverfassungsgerichts zur mündlichen Verhandlung über die Klage von 164 Städten gegen den Einigungsvertrag und das Kommunalvermögensgesetz nach Stendhal eingeladen.

Im Kern, so Wolf Gottschalk vom Verband Kommunaler Unternehmen (VKU), geht es darum, ob Städte in den fünf neuen Ländern ein eigenes Stadtwerk gründen und betreiben dürfen. Der Artikel 28, Absatz 2 des Grundgesetzes legt das eindeutig fest: „Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“ Auch die letzte DDR-Volkskammer wollte, daß kommunale Dienstleistungsanlagen ausschließlich von den Städten unterhalten werden. Eben das aber verhindern der Stromvertrag und die von der Bundesregierung im Kommunalvermögensgesetz vorgenommenen Änderungen. „Es ist den Städten derzeit juristisch nicht möglich, an ihre Stromnetze heranzukommen“, faßt Gottschalk die strittige Rechtslage zusammen.

Bei den entscheidenden Verhandlungen zum Einigungsvertrag im Sommer 1990 hatten Bundesregierung und Weststromer dafür gesorgt, daß die Städte maximal 49 Prozent der kommunalen Energieanlagen erhalten, und dies auch nicht „in natura“ sondern nur als Kapitalanteile. Ohne die reale Verfügungsgewalt über die Stromnetze und Heizkraftwerke können die Städte aber keine eigenständige Energiepolitik auch gegen die Stromkonzerne betreiben, die auf dem flachen Land ohnehin das Sagen haben. Dabei bietet das gut ausgebaute Fernwärmenetz den Ostkommunen ideale Voraussetzungen für eine eigenständige Energiepolitik. Die Heizkraftwerke könnten zu stromerzeugenden Blockheizkraftwerken umgebaut werden, dadurch viel Geld abwerfen und dennoch günstig Strom produzieren. „Das Stromerzeugungspotential der Heizwerke ist der Kernpunkt des Streits“ – so bringt Peter Becker, der 140 der Kommunen vor dem Verfassungsgericht vertritt, den Hintergrund des Verfahrens auf den Punkt.

Becker und Gottschalk geben mit ihrer Position indirekt auch die Antwort auf eine der zentralen Fragen, mit denen sich das Verfassungsgericht auseinandersetzen muß. Der 2. Senat hatte in einem Fragebogen an die Prozeßbeteiligten nämlich wissen wollen, „wie sich die Kappung auf 49 Prozent für die einzelnen Städte und Gemeinden auswirkt“.

Teilerfolge hat der Druck der Ostkommunen schon vor der BVG-Verhandlung bewirkt. Entgegen dem Strom-Kolonialismus, der im Sommer 1990 im Einigungsvertrag festgeschrieben wurde, räumten die Konzerne den Städten im Frühjahr 1991 das Recht ein, an Stadtwerken gleichberechtigt – und nicht nur mit 49 Prozent – beteiligt sein zu können. Die Stadt Leipzig, Vorreiterin des neuen Trends, hat es sogar geschafft, in einem Vertrag mit der RWE bei der Bildung eines Stadtwerkes einen 60-Prozent-Anteil auszuhandeln– und wer die Mehrheit besitzt, hat das Sagen.

„In den vergangenen zwei Jahren hat sich viel bewegt“, bilanziert Matthias Stüwe von Greenpeace den Streit zwischen Stromgiganten und Kommunen. Mit „politischem Willen“ könnten die Städte jetzt noch mehr erreichen. „Es ist heute kein Problem, auf dem Kapitalmarkt Hunderte von Millionen für ein Stadtwerk loszueisen. Stadtwerke sind eine sichere Anlage.“ Eben deshalb, so läßt sich ergänzen, wollen die Energiekonzerne das einmal gewonnene Terrain ja auch nicht wieder preisgeben.

Bei der RWE, die im Augenblick am härtesten mit den Kommunen verhandelt, gibt man sich vor dem Verfahren bedeckt. „Kein Kommentar“, heißt es dort. Für die RWE geht es bei dem Streit nämlich auch um das meiste Geld. Ihre Tochter Rheinbraun will in den fünf neuen Ländern Braunkohle abbauen – der Einstieg steht kurz bevor. Gründen viele Städte Stadtwerke und erzeugen ihren Strom per Blockheizkraftwerk, ist der Absatz von Braunkohle für die Verstromung gefährdet, der Abbau nicht mehr lukrativ. Der doppelte Gewinn, einmal an der Braunkohle und einmal am Strom, entfiele für die RWE.

Einen Verbündeten hat die RWE in diesem Fall in der Treuhand, die die Braunkohle lieber heute als morgen loswerden würde. „Es liegt nicht im Interesse der Treuhand, daß übermäßig viele Stadtwerke gegründet werden“, so Treuhand-Strom-Manager Hans Werner Klein. Die 76 schon in Gründung befindlichen und 23 noch geplanten Stadtwerke könnten der Braunkohle, die Klein verkaufen will, „ein bißchen was abgraben“.

Daß der Braunkohletagebau in den neuen Ländern ein Politikum ersten Ranges ist, „wird bei der Entscheidung eine große Bedeutung haben“, vermutet Strüwe. Er hält den Tagebau allerdings ökonomisch für deutlich überbewertet. „Von den einst 135.000 Beschäftigten werden zur Jahrtausendwende noch 13.000 bis 15.000 übriggeblieben sein. Das ist für die Region noch weniger als ein Notprogramm.“ Auch hierbei wären Stadtwerke von Vorteil. Investitionen in eine höhere Energieeffizienz und der Aufbau einer dezentralen Energieversorgung würden auf Dauer jedenfalls mehr Arbeitsplätze sichern.

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