Portrait: „Ich habe hier viele Freunde“
■ Eine türkische Gemüsehändlerin in Ost-Berlin
Mittwoch mittag. Der Pankower Marktplatz schräg gegenüber dem Rathaus beginnt sich zu füllen. Selbst in dem Gewühl fällt dem Besucher sofort eine große Menschentraube vor einem Obst- und Gemüsestand auf. Hinter den mit Bananen und Weintrauben bis oben gefüllten Tischen rennt eine zierliche Frau herum und dirigiert das Geschehen: Belgin Karaca, die türkische Besitzerin des mit Abstand bestbesuchten Standes scheint mit ihrem Gechäft zufrieden zu sein. „Wir bieten gute Qualität für wenig Geld“, sagt die 25jährige, bevor sie sich zum nächsten Kunden wendet.
Belgin Karaca ist kein Neuling auf diesem Parkett. Die in West- Berlin aufgewachsene Geschäftsfrau hat schon als Kind in ihrer Familie beim Obst- und Gemüseverkauf am Kreuzberger Maybachufer geholfen. Nach ihrer Schulausbildung kehrte sie in die Türkei zurück und arbeitete vier Jahre beim DDR-Handelsattaché in Istanbul. Kurz nach dem Fall der Mauer ließ sich Belgin Karaca in Ost-Berlin nieder und eröffnete ihren ersten Stand auf dem Pankower Markt, wo sie heute etwa zwölf türkische und deutsche Mitarbeiter beschäftigt.
„Am Anfang habe ich nicht an das Geld gedacht“, erinnert sich die sympathische Frau. „Ich wollte einfach eine der ersten Türkinnen sein, die in der DDR Geschäfte machen.“ Ein bißchen Abenteuerlust habe dabei auch eine Rolle gespielt. Doch die Geschäfte liefen besser als erwartet. Zeitweise hat sie über ein Dutzend Stände in allen Ostberliner Bezirken. Im Laufe der Zeit mußte sie jedoch bis auf den Pankower Markt alles wieder aufgeben. „In den ersten sechs Monaten nach dem Fall der Mauer hatten wir Bombengeschäft, weil die Leute viele Früchte nicht kannten“, sagt Belgin Karaca, „aber dann stieg die Konkurrenz, und der Markt war auch gesättigt.“
„Unsere Kleine“, wie Belgin Karaca von vielen Stammkunden liebevoll genannt wird, hat durch ihre offene Art in kurzer Zeit die Herzen der Kunden erobert. Eine kleine Umfrage an jenem Mittwoch macht dies auch deutlich. Eine junge Frau mit Hund kommt zu ihr, weil ihr „das Angebot und die nette Bedienung gefallen“, zwei ältere Damen locken „die günstigen Preise“. Allesamt haben sie nichts dagegen, daß hier Ausländer das Geschäft ausüben. Es gibt sogar Kunden, die Belgin Karaca regelmäßig an ihrem Geburtstag Blumen vorbeibringen. Einmal war sie besonders gerührt, als ihr Kinder eines Pankower Waisenhauses, wo sie früher monatelang Obst und Gemüse spendete, verschiedene selbstgemachte Tiere aus Ton geschenkt haben. Ein Mädchen hätte sogar ihre Puppe nach ihrem Vornamen „Belgin“ genannt. „Das war für mich eines der schönsten Erlebnisse in meinem Leben.“ Noch fühlt sich Belgin Karaca sehr wohl in Ost-Berlin. „Ich habe mich sehr schnell hier eingelebt und habe einen großen Freundeskreis unter den Ostberlinern“, freut sich die dunkelblonde Geschäftsfrau. Belgin Karaca ist ein direkter und ruhiger Mensch. Nur als ich das Thema Ausländerfeindlichkeit und Rassismus anspreche, wird sie etwas impulsiv. Zwar hat sie bis jetzt in Ost-Berlin persönlich keine Ausländerfeindlichkeit erlebt, aber über die neuen Ereignisse ist sie sichtlich beunruhigt. „Wenn sie uns nicht wollen, kehren wir in unsere Heimat zurück“, sagt sie etwas beleidigt. Ayhan Bakirdögen
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