: Christoph Daum war auch da
Weil Bayern München drei Tore schießt, der VfB aber nur zwei, begibt sich der Stuttgarter Trainer auf die Spuren von Sepp Herberger ■ Aus Stuttgart Peter Unfried
Im Presseraum des Neckarstadions ist es angenehm ruhig geworden, der große Markt der Eitelkeiten ist längst verlaufen, nur in den Gängen draußen irrt noch immer ruhelos das Echo von Lothar Matthäus' Stimme hin und her. An einem Tisch lehnt möglichst lässig, wie man ihn anweist, ein kaum dem Knabenalter entwachsender Harald Cerny. Ein Österreicher, 19 Jahre alt, Vertragsamateur bei Bayern München und der Mensch des Tages. Als solcher wartet er nun darauf, vom Plapperjörgl Wontorra zum Live-Gespräch auf die „ran“-Wand gebeamt zu werden. Andächtig wie eine Firmkerze hält Cerny bereits das Mikrophon in den Händen, während zunächst noch einmal die Bilder seiner Heldentaten vorbeiziehen. Das Foul am raffinierten Walters Fritz, das zu Elfmeter und VfB- Führungstor führte? „Da hab' ich mich a bisserl blöd angestellt.“ Aber dann: Solo übers halbe Spielfeld, Querpaß, Tor von Labbadia. Vorlage Ziege, allein vor Immel, erstes Bundesligator. Genialer Paß auf Ziege, wieder Tor. Und dann: „Ein Riesengefühl“. Aber auch „eine Erleichterung ohne Ende“. Denn nach dem Elfmeter bekommt Cerny für Sekunden Alpdrücke. Droht bereits das Aus, die Zurückstufung zu den Bayern- Amateuren? „Das ist in mir vorgegangen während des Spiels.“ Aber, glaubt Cerny, der Trainer habe gemerkt, daß er dann noch verunsicherter werde und ihn deshalb in den Sturm beordert.
Erich Ribbeck aber hatte eigentlich nichts bemerkt, mußte sogar zugeben, daß er das dem Jungen nicht zugetraut hätte, läßt sich aber „als Trainer gern überraschen“. Besonders positiv. Mit der Idee, den Schmächtigen als Manndecker zunächst gegen Knup, dann gegen Walter zu stellen, lag der gute Erich im Prinzip genauso daneben wie mit seinem Mittelfeld, wo Mehmet Scholl das Kunststück fertigbrachte, noch tiefer abzutauchen als Lothar himself.
Daß die Bayern trotz taktischer Untiefen und erratischen Personals am Ende gewonnen hatten, führte nun wieder beim schwäbischen Meister zu Depressionen. Chancen über Chancen, mehr Spielanteile, mehr Ecken, mehr Torschüsse und am Ende doch den ohnehin vagen Traum von der Titelverteidigung aufgeben zu müssen: Die Stuttgarter gerieten in Erklärungsnotstand. Dieter Hoeneß wollte zwar nicht das fehlende Glück als Grund gelten lassen, bemühte dafür aber das Pech. Eike Immel konnte auch nicht sagen, woran's gelegen hatte, und Thomas Strunz vermutete, daß im Moment eben einfach alles quer laufe. Nur gut, daß auch Christoph Daum noch da war.
Es komme im Prinzip nur auf eines an, vermeldete der kluge Mann, „daß man die Tore erzielt, die man zum Sieg braucht“. Ansonsten sah Daum etwas müde aus. Und wußte zu genau, daß wer verliert, immer Unrecht hat.
Und wer gewinnt, immer recht. Gut sei es gewesen, daß der VfB das 1:0 gemacht hatte, fand zum Beispiel Erich Ribbeck. Und keiner konnte ihm widersprechen. Die Sache mit Cerny als Verteidiger? „Ich dachte, vielleicht kann man den Gegner etwas verwirren.“ Eigentlich verwirrte er nur die eigene Mannschaft. Die kurzfristige Umstellung, Cerny ganz nach vorne zu schicken? „Man hat gesehen, daß er seine Stärken einfach vorne hat.“
Auch irgendwie richtig, denn VfB-Überlegenheit hin, Bayern- Schwäche her, Spiele gewinnt man mit genialen Einzelaktionen, wie sie der ehemalige Jugendkicker von Admira/Wacker bei allen Bayern-Treffern vorführte. Keiner weiß das besser als Lothar Matthäus, der sich im übrigen „für jeden jungen Spieler freut, der den Durchbruch schafft“. Aber Lothar wollte wie stets nicht überheblich werden: „Man kann nicht sagen, der Cerny hat das Spiel gewonnen, sondern wir als Mannschaft haben dieses Spiel gewonnen.“
Naja, der Weltfußballer Lothar mußte dann aber wie jeder einfache Mannschaftsspieler in den Bayernbus einsteigen und davonbrausen. Harald Cerny aber, im richtigen Leben Amateurvorstopper, bleibt allein zurück. Nur leicht zittert seine Hand, als der Kameramann „eine Minute“ schreit. Die Haare sind gut gefönt, auf dem kleinen Monitor grinst Wontorra schon über beide Backen. Sendung! „Daß das so läuft, hätt' ich mir nie erträumt“, sagt Harald Cerny. Der Wagen, der ihn ins Sportstudio fahren wird, steht schon vor der Tür.
FC Bayern München: Aumann - Thon - Kreuzer, Cerny - Jorginho, Matthäus, Wouters, Scholl (60. Reinhard), Ziege (80. Schupp), Helmer - Labbadia
Zuschauer: 56.000 (ausverkauft); Tore: 1:0 Walter (53./Foulelfmeter), 1:1 Labbadia (54.), 1:2 Cerny (61.), 1:3 Ziege (69.), 2:3 Golke (88.)
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