Zwischen den Rillen: Hängemattenmusik
■ „Songs of Freedom“: 18 Jahre Bob Marley, komprimiert in fünf Stunden
Mal ehrlich, kein Mensch hört mehr Jimi Hendrix. Niemand will noch etwas von Janis Joplin oder John Lennon wissen. Und hätte Oliver Stone anstelle eines Films über die Doors, sagen wir, das Leben von Louis Armstrong in bunte Bilder transformiert, dann wüßte auch niemand mehr, wer Jim Morrison war. Statt dessen wäre der „Tiger Rag“ Partyhit der Saison gewesen.
Ausgerechnet die Musik des Robert Nesta Marley, die schon nach den ersten Takten die unwiderstehliche Sehnsucht nach einer Hängematte, einem Glas Rum und einigen tiefen Zügen „Ganja“ aufkommen läßt, überlebte den Tod des Meisters im Jahre 1981 mit geradezu jesusmäßiger Hartnäckigkeit. Bob Marley ist in aller Munde, von der Jerry Garcia Band über die Neville Brothers bis zu den Black Crowes werden seine Stücke gespielt, ein bislang unveröffentlichter Song namens „Iron Lion Zion“ schießt die Charts hinauf, und die Raggamuffins, die die Tradition der Diskjockeys von Kingston Town aus den fünfziger Jahren aufleben lassen, rappen zu Reggae-Rhythmen, daß das Schmalz in den Ohren kocht.
Den Boden für den globalen Erfolg des Reggae hatte zwar Jimmy Cliff mit dem Film „The Harder They Come“ und dem Lied „You Can Get It If You Really Want“ bereitet, doch Bob Marley war es, der aus einer Modeströmung einen unsterblichen Musikstil schuf. Mit seinem Charisma, einer für seine Zwecke optimalen Stimme, revolutionärer Outlaw-Attitüde, Marihuana (Ganja)-Seligkeit und einer bizarren Religiosität, die sich ausgerechnet den dubiosen Despoten Haile Selassie I. aus Äthiopien zum Abgott erkor, wurde der schüchterne Rasta aus St. Ann, Jamaika, zum ersten und bisher einzigen Superstar der Popgeschichte, der nicht aus Europa oder Nordamerika kam.
„Wer bist du, daß du über mich und das Leben, das ich führe, urteilst“, krähte bereits 1962 ein 17jähriger mit aufgeregter Stimme, die nicht immer den angestrebten Ton, dafür aber den Nerv der Jugendlichen Jamaikas traf. Der Ska-Song „Judge Not“ war Bob Marleys erste Plattenaufnahme und ein ansehnlicher Erfolg. Im Ska trafen die Rhythmen und Harmonien, die sich seit Jahrhunderten im Schmelztiegel der Karibik entwickelt hatten, mit den musikalischen Einflüssen zusammen, die in den Fünfzigern über Radio und Schallplatte aus den USA herüberschwappten. Die hektische Energie des Ska mit seinen pumpenden Baßläufen entsprach dem Lebensgefühl der „Rude Boys“ aus den Vorstädten Kingstons, die in Banden auf den Straßen herumlungerten und in der Musik ihre einzige Perspektive sahen.
Bob Marley schaffte es, an die begehrten Plattenverträge zu kommen und landete mit „Simmer Down“ einen Nummer-eins- Hit, dem bald andere wie „Bend Down Low“, „Put It On“ oder „Stir It Up“ folgten. Längst hatten „The Wailers“ mit Marley, Peter Tosh und Bunny Livingston den Ska in ruhigere Gefilde geführt, aus „Rock Steady“ wurde Reggae, eben Hängemattenmusik. Der Rude Boy mutierte zum Rastaman, schließlich – nach dem Attentat 1976, als er in seinem Haus auf Jamaika kurz vor einem Konzert für den sozialistischen Premierminister Michael Manley angeschossen wurde – zur politischen Symbolfigur, obwohl er sich nie als Politiker, sondern als Freiheitskämpfer verstand. Rasta don't work for no CIA war das Credo, Get up, stand up, fight for your rights die Parole, die den Triumphzug um die Welt begleitete.
Dokumentiert wird die musikalische Laufbahn des Reggae- Messias nun in dem gediegen aufgemachten und mit ausführlichem Booklet versehenen 4-CD- Set „Songs Of Freedom“. 18 Jahre Bob Marley, komprimiert in glatten fünf Stunden, 78 Lieder, vom fast noch kindlichen „Judge Not“ bis zur meisterlichen Reife des „Redemption Song“, aufgenommen bei seinem letzten Konzert am 23. September 1980 im Stanley Theatre von Pittsburgh. Eine fast vollständige Sammlung der bekanntesten Melodien, garniert mit Leckerbissen wie einem Medley von Songs zur akustischen Gitarre (den Marley 1971 in Schweden dem Sänger Johnny Nash vorspielte, den er auf einer turbulenten Tournee begleitete) einer bislang unveröffentlichten Live-Version von „No Woman, No Cry“. Matti Lieske
Bob Marley: „Songs Of Freedom“, Island Records 1992
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