: "Türkenschule" Kornstraße
■ Wie klappt das Zusammenleben? "Gegen die Ausländer, die sie kennen, haben sie nichts"
„Türkenschule“ Kornstraße
Wie klappt das Zusammenleben? „Gegen die Ausländer, die sie kennen, haben sie nichts“
Jens und Kemal sitzen nebeneinander in der 7a und sind befreundet Foto: Chr. Holzapfel
Halb acht morgens, dunkel noch und regennaß: Unterrichtsbeginn im Schulzentrum an der Kornstraße. Ich komme für die Lehrer unangemeldet, darf aber trotzdem und gerne mit in die Klassen, also in die Karten gucke, wo immer ich will. Also zuerst die 7a: 16 Deutsche, 8 AusländerInnen. Doppelstunde Kunst: Wir mischen Grautöne. Mädchen sitzen neben Mädchen, Jungs neben Jungs, Deutsche neben Deutschen, Ausländer neben Ausländern, fast ohne Ausnahme. Jessica ärgert gerade aus Spaß die Jungs in der Reihe hinter sich. Die revanchieren sich mit Pinselklau. Hinten raufen zwei vergnügt miteinander: Kräftemessen, harmlos. Die Stimmung ist munter, Rempeleien und Anmache eher freundlich. Um halb neun fliegt ein „Jäger 90“, bildschön aus Papier gefaltet, durch den Raum. Die meisten SchülerInnen arbeiten, rufen nach dem Lehrer (“Herr von Bonin!!!“), beratschlagen mit
2 Jungs
am
Schultisch
ihm Mischtechniken und Motive. Er kriegt auch die Flugzeugfalter wieder ans Arbeiten. Gülkan und Nuray vor mir plaudern leise, mal auf deutsch, mal auf türkisch. Erster Eindruck: friedliche Koexistenz.
Große Pause, im Nichtraucher-Lehrerzimmer. Probleme mit Ausländerkindern? Die meisten LehrerInnen schütteln den Kopf. „Die reden oft völllig bremisch! Im Schriftlichen wird es dann schon deutlicher, Chemie ist schwierig, auch Geschichte. Naja, mit Fachwörtern oder Abstakta haben ja auch die Deutschen Probleme.“
3. Stunde: Deutsch in der 7a bei Herrn Peil. Dritter Stock. Die Fensterbänke in der ehemaligen Kaserne sind unangenehm über Kopfhöhe. Der Raum ist kahl und verschlissen. Herr Peil, höre ich, gilt als streng. Die 7a, Hauptschule, sitzt mucksmäuschenstill. Persönliche Fürwörter, Konjugation. Fünf Sätze Diktat: „Ich spiele Klavier, und meine Schwester spielt Violine.“ Oder: „Der Vatikan ist der Sitz des Papstes.“ Der watt? Also, wer ist der Papst? Rätsel auf den Gesichtern, auf türkischen und deutschen. Der Papst: das ist einer, der an Gott glaubt und in der Kirche arbeitet. — Dem sie immer die Hände küssen im Fernsehn? Was die 2. Person Einzahl ist von spielen, das ist für manche deutsche wie ausländische SchülerInnen schwierig. Jens, sommersprossig, sitzt neben Kemal, und der erklärt: „Er ist mein
Freund. Er hat einen guten Eindruck auf mich gemacht, ich auf ihn auch.“ Nachher verraten die Kids: Ja, weil Sie hier sind, war er nicht soo streng! Und der Lehrer: Natürlich sind die sonst nicht soo artig!“ Ahmed, 18, kam vor 3 Jahren als Asylbewerber. Der spricht wenig, aber der ist in Ordnung. Zweiter Eindruck: Es gibt einige freundliche Verbindungen.
Der Schulflur: Donald-Duck- Figuren auf den angegrauten Wänden. Dazwischen Graffiti, auch: Türken raus. Auf dem Boden gelbe Spuren: Reste der neuen Mode, sich gegenseitig mit rohen Eiern zu bewerfen. Auf der WC- Tür steht „Fuck you“ und „Lehrerzimmer“.
2. große Pause: Raucher-Lehrerzimmer. Probleme, finden die KollegInnen, gibt es eher mit der allgemeinen Gewaltbereitschaft, nicht mit oder gegen Ausländer. Eine Lehrerin: Gegen die Ausländer, die sie kennen, haben sie ja nichts.“ Was bedeutet Unterricht mit so hohem Ausländer-Anteil? Naja, der Level sinkt natürlich.
5. Stunde. Deutsch-Förder- Unterricht. Für Linh aus Vietnam, Natalia aus Rußland, Giuliana aus Brasilien aus der 9. Gy-Klasse, deren Deutsch-Lehrerin den Level aber hochhalten will. Die Biografien der drei Mädchen wären einen eigenen Roman wert. Sie haben heute 45 Minuten pro Woche, um sich von Frau Wittschen bei Nathan dem Weisen helfen zu lassen. Ein auch für Deutsche hochkompliziertes Arbeitsblatt steckt voller Fremdwörter: was ist ein „retardierendes Moment“, was bedeutet „Interpolation“? Wie klappt der Unterricht? Ich überlege im Kopf noch, wie sag ich es, und dann sagen es schon andere. — Unser Bio-Lehrer schreibt nichts an die Tafel, er spricht nur, und wir finden es nicht im Buch, und nachher sollen wir alles wissen. — Gute Lehrer, das finden die drei, erklären mal was und sind nicht beim ersten Mal schon ungeduldig. Die Schule, die Fördergruppen finden sie toll: Man kann schnell lernen. Damit man später guten Beruf hat.
In der 9. Gy-Klasse sitzen in der 6. Stunde mehr ausländische als deutsche SchülerInnen vor Frau Wittschen: 9 von 16. Die meisten von ihnen sind aber weder an der Sprache noch am Äußeren zu erkennen. Probleme? Ja, Opis und Omis machen manchmal voll die dummen Sprüche. Aber in der Schule nicht. Und die Lehrer? Naja, manche bevorzugen Jungs, manche Mädchen. Ausländer sind hier kein Problem. Gehen Sie nach Huchting! Höchstens dies: „Also, es hört sich blöd an, aber die türkischen Jungs labern die Mädchen oft an, stimmt doch“, sagt Lena nach einigem Zögern, „aber das ist das einzige.“ Sechs der Deutschen sind mit Jugendlichen anderer Nationen auch privat befreundet. 4 oder 6 „Nazi-Mädchen“ gibt es auf dieser Schule, mit Sprüchen und Deutschland-Fahnen auf den Lederjacken. Tja, die kriegen besonders gern schonmal rohe Eier ab. Aber andere auch! Die Klasse kann über die Frage Asylstopp richtig heftig diskutieren. Aber wenn ein Lehrer hier was gegen Ausländer sagen würde, das könnte der sich nicht leisten, ist Alexandra sich sicher. Da wären wir alle gegen. Sie wollte zuerst nicht in die Kornstraße, auf diese „Türkenschule“. Aber jetzt kommt sie gern: „Es gibt Krach manchmal, klar, aber nicht wegen Ausländern.“ Dritter Eindruck: Die sind sogar ein bißchen stolz drauf. Susanne Paas
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