■ Keine Macht den Doofen: Hanf als Heilmittel: Cannabis – das Aspirin der Antike
Ägyptologen sind auf ihre Mumien neuerdings nicht mehr so gut zu sprechen: Sie sehen sie in schlechter Gesellschaft, seit medizinische Untersuchungen ergeben haben, daß die altehrwürdigen Museumsstücke zu Lebzeiten eifrige Drogenbenutzer waren. Hinweise auf psychoaktive Pilze, Opium, ja sogar deutliche Spuren des erst im 19. Jahrhundert synthetisierten Kokain wurden in den mumifizierten Körpern entdeckt, vor allem aber waren die Pharaonen wohl eines: notorische Kiffer.
Angesichts der aktuellen Drogenhysterie mag man den Schrecken braver Altertumsverwalter über diesen Befund verstehen, eine aktuelle Publikation allerdings signalisiert Entwarnung. In einer ethnomedizinischen Bestandsaufnahme („Hanf als Heilmittel“) belegt der Ethnologe Dr. Christian Rätsch, daß Hanf (Cannabis) seit Jahrtausenden und in nahezu allen Kulturen nicht nur als Faserlieferant, sondern auch als Medizin und Genußmittel genutzt wurde. Bei den Pharaonen im alten Ägypten ebenso wie in China und in Indien, in der tibetischen Medizin wie auch in der römischen, arabischen, assyrischen – sowie in der thüringischen Heilkunst.
Der älteste archäologische Beleg für die Verwendung von Hanf überhaupt stammt aus Eisenberg in Thüringen, wo in einer auf 5.500 v. Chr. datierten Grabungsschicht Cannabis-Samen gefunden wurden. Die psychedelische Graphik der Bandkeramik, die dieser Jungsteinzeitepoche den Namen verlieh, deutet auf einen schamanischen Gebrauch des Hanfs. Wie in Zentralasien nutzten offenbar auch schon die Schamanen und Heiler im archaischen Thüringen die bewußtseinsverändernden Eigenschaften der Pflanze, die erstmals in schamanistischen Texten aus China beschrieben werden. In dem auf das 3. Jahrtausend zurückgehenden ältesten chinesischen Arzneibuch findet Hanf seine erste Erwähnung als medizinisches Heilmittel und wird u. a. gegen Frauenleiden, Gicht, Rheumatismus und „geistige Abwesenheit“ empfohlen.
Die zahlreichen weiteren Indikationen, die dem Hanf in der Folgezeit zugeschrieben werden – er wird u. a. gegen Krämpfe aller Art, Appetitlosigkeit, Asthma, Augenleiden, Herpes, Epilepsie, Migräne, Magenbeschwerden und Schlaflosigkeit verordnet – dieses breite Spektrum der Verwendung läßt den Schluß zu, daß es sich bei Cannabis schlicht um das Aspirin der Antike handelt: das natürliche Universalmittel der Humanmedizin schlechthin. Die kulturelle Bedeutung des Hanfs geht darüber aber noch hinaus. Er stellt, so Christian Rätsch, eine Art „Büffel unter den Pflanzen“ dar. Wie dieses Tier den Indianern alles lieferte, was sie brauchten, versorgte die Totalverwertung der Cannabis- Pflanze die Hanfkulturen mit allem Lebensnotwendigen: die Samen lieferten proteinreiche Nahrung und Öl, aus den Fasern wurden Seile, Textilien und Papier gewonnen, die weiblichen Blüten bildeten das als Heil- und Genußmittel begehrte Harz, Blätter und Wurzeln wurden zu medizinischen Getränken und Salben verarbeitet.
Was heute nur noch in der auf afrikanische und indische Einflüsse zurückgehenden Rastafari- Kultur auf Jamaika anzutreffen ist – die Verehrung des Hanfs als heiliges Kraut und „Baum des Lebens“ –, war einst in nahezu allen Kulturen der Welt verbreitet. Erst das Industriezeitalter machte mit chemischen Fasern und synthetischen Drogen den Hanfkulturen den Garaus – verfrüht, wie sich mittlerweile gezeigt hat.
Die hohe Wirksamkeit des Hanfs etwa bei der Behandlung von Glaukomen (Grüner Star) gilt mittlerweile ebenso als wissenschaftlich erwiesen wie zahlreiche andere ethnomedizinische Cannabis-Therapien. So wurde unlängst entdeckt, daß Marihuana das Herpesvirus tötet, was ein altes römisches Rezept bestätigt; daß es die Bronchien erweitert und deshalb, wie die alten Chinesen schon wußten, zur Inhalation bei Asthma geeignet ist. Schweizer Forscher bestätigten die Wirksamkeit gegen zentralnervöse Krämpfe, z. B. bei multipler Sklerose – Hanf wirkt hier besser als Codein und ist zudem verträglicher.
Das Resumee dieser volksmedizinischen Bestandsaufnahme, „daß es keine Pflanze gibt, die auch nur annäherungsweise ein derart weites medizinisches Anwendungsspektrum besitzt“, verdeutlicht gleichzeitig einen grotesken Mißstand: In der modernen medizinischen Fachliteratur gibt es zum Thema Cannabis „zwar tausende von Artikeln, aber nur eine Handvoll echtes empirisches Material“. In gewisser Weise ist das keine Überraschung: wäre die globale volksmedizinische Bedeutung der Pflanze offiziell anerkannt, müßte nicht nur der Mythos von der gefährlichen Droge zusammenbrechen. Der pharmazeutischen Industrie erwüchse mit dem spottbilligen Agrarprodukt Hanf eine Konkurrenz, die auf natürliche Weise Schmerzen lindert, Beruhigung verschafft und Kummer vertreibt – wen wundert es da noch, daß der Pharma-Lobbyist George Bush in seiner Zeit als Vizepräsident und Drogenzar an US-Universitäten sämtliche Forschungen mit natürlichem Marihuana unterbinden lassen wollte. Experimentiert werden sollte nur noch mit einem teuren synthetischen Präparat, das der Konzern Elly Lilly entwickelt hatte, bei dem Bush vor seiner Polit-Karriere im Vorstand saß (siehe taz 1.9.1987).
Warum soll eine Pflanze, die schon den Pharaonen gegen Streß, Kopfschmerz und Verstimmung recht war, dem Patienten von heute nicht billig sein? Handelt es sich bei den Kräuter- und Heilkundigen aller Zeitalter und Kontinente, die den Hanf als milde Universalmedizin verordneten, um einen Haufen Idioten? Wie konnte es dann kommen, daß in USA Cannabis-Tinktur bis 1890 das am zweithäufigsten verordnete Medikament war? Sollte dies etwa damit zu tun haben, daß die Bayer- Werke kurz zuvor die weltweite Vermarktung von Aspirin gestartet und Heroin als mildes Beruhigungsmittel auf den Markt geworfen hatten? Derlei unseriöse Fragen werden in dieser soliden wissenschaftlichen Bestandsaufnahme nicht beantwortet. Um ihnen auf die Spur zu kommen, muß man schon in die umfangreichen Bibliographien einsteigen, die der Autor jedem Kapitel beigegeben hat.
Vor dem Hintergrund des fundamentalistischen Drogenkriegs liest sich diese Hanf-Dokumentation wie eine schaurige Groteske – angesichts thüringischer Samen aus der Jungsteinzeit wird nicht nur das Gerede von der „kulturfremden Droge“ zur Farce. Die Pionierarbeit dieses ethnobotanischen Überblicks stellt für die medizinische Forschung eine Herausforderung ersten Ranges dar, zumal unlängst ein neuronaler Rezeptor im menschlichen Gehirn entdeckt wurde, der einzig und allein auf Cannabis anspricht.
War Mutter Erde bekifft, als sie das humane Betriebssystem auf dieses pflanzliche Highmittel ausrichtete? Wohl kaum. Eine ökologische Gesundheitspolitik, als Alternative zu einem an permanenter Kostenexplosion leidenden Krankheitswesen, kommt an Hanf als Heilmittel nicht länger vorbei. Rolf Achteck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen