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■ Press-SchlagBeethoven schläferte die Borussia ein

Vielleicht war der Verständigungsversuch in der Halbzeit des UEFA-Cup-Spieles Borussia Dortmund – Real Zaragoza schuld. Anstatt der branchenüblichen Mischung aus Werbedurchsagen und schlechter Musik gab es im Westfalenstadion „etwas Besonderes“, wie Stadionsprecher Norbert Dickel verkündete. Und schon wurde ein von „Künstlern aus 16 Ländern bemalter Flügel“ zum Strafraumeck vor der Südtribüne getragen. „Orchester der Kulturen“ blinkte es auf der Anzeigetafel, und ein Sprecher der „Initiative Verständigung“ tat kund: „Vertreter aus allen Bereichen der Wirtschaft beziehen klar Stellung gegen Gewalt!“

Dafür erntete er zunächst einmal kräftigen Applaus. Und als sein Aufruf gegen Ausländerfeindlichkeit und „für Verständigung“ von vereinzelten „Asylanten, Asylanten“- Schmährufen unterbrochen wurde, ernteten die Störer ein donnerndes „Nazis raus!“ von der Südtribüne. Der Beifall vom Rest des Stadions war ihnen dafür gewiß. In den Kernlanden der Sozialdemokratie ist Faschismus in den Fankurven nur mäßig modisch. Nur der in die Verständigungsübung eingebaute Spendenaufruf rief eher entrüstetes Gemurmel hervor.

Doch für den Beweis der Gutwilligkeit sollten nicht nur an der Sammelbüchse Opfer gebracht werden, denn jetzt war Maria Kimura „aus Japan“ an der Reihe und durfte Beethoven spielen. „Opus 111. Ariella“, wie Norbert Dickel ansagte bzw. „Beethovens Arietta“, wie er nachher nochmals zusammenfaßte.

Und wieder bewiesen 35.917 Zuschauer ihre Bereitschaft zu beweisen, daß sie, obwohl Fußballfans, gute Menschen sind, und lauschten irritiert und mit unterdrückter Unruhe dem durch das Geknisper und Geknurpse der Stadionlautsprecher verfremdeten Spiel der Pianistin. Wie dankbar war man den Spielern, und wie tosend war der Beifall, als diese endlich wieder auf den Platz liefen. In der Erlösung wurde der Verständigungsversuch mit „Zugabe“-Rufen verabschiedet.

Es wäre natürlich gehässig und falsch, einen Zusammenhang zwischen der retardierenden Halbzeitdarbietung und dem Spiel von Borussia danach aufzustellen, aber ein Tribünennachbar dichtete schon bald: „Beethoven schläferte Borussia ein.“ Dabei war es das Gegentor zum 3:1 von Franco, das bei den Dortmundern zum Kraftverlust führte, so jedenfalls meinte es Trainer Ottmar Hitzfeld beobachtet zu haben.

Wie dem auch sei, immer dröseliger liefen die Seinen nach jenem Tor über den Platz, und irgendwann ging gar nichts mehr. Im Stadion wurde es so leise, daß man die Zurufe der Spieler verstehen konnte. Und kurz vor Schluß verließen die Zuschauer in Scharen das Stadion.

Ein seltsames Bild ist es, das Borussia Dortmund in dieser Saison abgibt. Seit der um vier Minuten verpaßten Meisterschaft im Vorjahr scheinen Mannschaft und Fans ihrem eigenen Mythos von der schwarz- gelben Begeisterungsmaschine hinterherzulaufen. Im inzwischen zu dreiviertel bestuhlten Westfalenstadion nehmen die Anhänger neuerdings Platz und warten wählerisch darauf, daß etwas Sensationelles passiert: Wenn es gelingt, brandet kurz Jubel auf, der aber genauso schnell wieder in sich zusammenfällt.

So spielte die Mannschaft in der ersten Halbzeit fast durchgehend gut, durchgehende Begeisterung wollte aber kaum aufkommen. Trotz dreier Tore und einiger staunenswerter Einlagen des überragenden Stephane Chapuisat, der ein Tor schoß und die beiden anderen Treffer einleitete, wirkte die Mannschaft wieder erstaunlicherweise ohne besondere Ausstrahlung.

Noch ist es nicht der gepflegte Beamtenfußball à la Werder Bremen, aber der geordnete Vernunftfußball Hitzfeldscher Prägung läßt beim inzwischen verwöhnten Dortmunder Publikum die Emotionen nur noch selten hochschießen. Vielleicht lag es an diesem Abend aber auch daran, daß der leichtfüßige, aber auch etwas leichtgewichtige Gegner aus Zaragoza nicht in der Lage war, mehr aus der Dortmunder Mannschaft herauszukitzeln.

Vielleicht sollte man es aber demnächst in der Halbzeitpause doch einmal mit „Rock gegen Rechts“ versuchen. Christoph Biermann

Borussia Dortmund: Klos - Reuter - Schmidt, Schulz - Lusch, Franck (82. Zelic), Rummenigge (79. Sippel), Zorc, Reinhardt - Povlsen, Chapuisat

Real Zaragoza: Cedrun - Solana, Sergi, Aguado, Esteban - Gay (58. Garcia), Poyet, Franco, Brehme - Higuera (70. Pena), Pardeza

Zuschauer: 35.917; Tore: 1:0 Chapuisat (13.), 2:0 Zorc (23./Foulelfmeter), 3:1 Povlsen (42.), 3:1 Franco (51.)

Gelb-rote Karte: Solana (83.) wegen wiederholten Foulspiels

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