■ Kommentar: Märchenstunden
Geht es eigentlich noch um die Frage, ob der Rektor der Humboldt-Universität, Heinrich Fink, zu Unrecht entlassen wurde? Längst sitzen unsichtbar im schmucklosen Saal des Tiergartener Arbeitsgerichts der brandenburgische Ministerpräsident Stolpe und auch die Gauck-Behörde. Denn die Stasi-Zeugen, die in den letzten zwei Wochen in eindrucksvoller Weise den ehemaligen Rektor Fink von jeder wissentlichen Mitarbeit bei der Stasi entlasten, sind die gleichen, auf die auch Stolpe seine Verteidigung gründet.
An einem erfolgreichen Urteil für Fink gibt es derzeit keinerlei Zweifel. Zu eindeutig ist das, was der ehemalige Stasi-Oberst und Abteilungsleiter Roßberg dem Gericht präsentierte – mit dem Fake, der nie verpflichtete Fink sei IM, habe man nur Geldprämien für einen nie übergebenen Vaterländischen Verdienstorden abgezockt oder Zahlungen für die Einrichtung konspirativer Wohnungen beantragt. Aber darf man Stasi-Mitarbeitern glauben und hauptberufliche Konspirateure nun zu Lichtgestalten der Lauterkeit machen? Als selbst eingestandener Aktenvernichter hat es Roßberg leicht, jetzt seine Version als unumstößliche Wahrheit auszugeben – auch wenn manches nach Grimmscher Märchenstunde riecht. Bei soviel attestierter Unschuld muß selbst Fink sich langsam fragen, ob er mit derartigen Entlastungen nicht ebenso beschädigt wird wie mit einem nichtbelegten IM-Vorwurf. Für die Gauck-Behörde aber geht es um mehr: Wird aktenkundig, was die Stasi-Oberen vor dem Arbeitsgericht zu Protokoll geben, dann kann Gauck seine Behörde dichtmachen und Stolpe endgültig aufatmen. Wenn bei der Staatssicherheit tatsächlich nicht stures, pflichterfülltes Preußentum herrschte, sondern es dort wie bei Hempels unterm Sofa aussah, dann ist alles, was die Gauck-Behörde seit dem Mauerfall über Arbeitsweise und Organisation der Stasi zusammengetragen hat, hinfällig. Dann ist auch die rechtliche Aussagekraft ihrer Urteile gleich null. Doch den Aktenverwaltern sind die Hände gebunden. Öffentlich dürfen sie sich im Fall Fink nicht zu ihren Erkenntnissen äußern; also auch nicht zum Wahrheitsgehalt der Aussagen von Roßberg, der sich zumindest im Fall Stolpe seine Erinnerungen von einem Fernsehsender hat bezahlen lassen. Für das Arbeitsgericht mag es nicht notwendig sein, nun auch die Gauck-Behörde vorzuladen; für die öffentliche Aufklärung aber ist das längst überfällig. Gerd Nowakowski
Siehe auch Seite 18
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