piwik no script img

Slime muß leben, damit...

■ Die Hamburger Punk-Band Slime in alter Besetzung neu / Eine kleine Band-Chronik

in alter

Besetzung neu/Eine kleine Band-Chronik

Vor über 10 Jahren nahm die Punk-Band Slime ihre erste LP auf. Das Debut der politischen Wachlinge teilte die Welt in Freizeit- (Bier) und Feind-(Bullen)beschreibungen auf. So traten sie zunächst mit dem Recht von Hamburger Burschen an, die seit Kindheit an die speziellen Formen von sozialer Praxis (im Heim) und Kälte (auf der Straße) gewöhnt sind.

Ihre Stücke, wie etwa „Wir wollen keine Bullenschweine“ oder „Deutschland“ mit der vom Hamburger Kriegerdenkmal umgereimten Zeile: „Deutschland muß sterben, damit wir leben können“, erregten nicht nur die Aufmerksamkeit der Zensur, die versuchte, mit Verboten gegen die Band vorzugehen. Insbesondere der Text von „Bullenschweine“ diente all jenen als Argument, die zugespitzten ökonomischen Verhältnissen mit rigoroser Frontbestimmung begegneten. „Music as a weapon“ lautete einer der Slogans, die Konzertbesucher damals als Aufdruck und Ausdruck dieser Haltung auf ihren Käppis trugen.

Slime, die ehemalige Schülerband des Gymnasiums Heidberg in Langenhorn, verband wenig mit der Berliner Idee der „Genialen Dilettanten“, die zur selben Zeit mit exotischsten stilistischen und sprachlichen Mitteln Initialzündungen aus dem Alltag umarbeiteten. Auch Alfred Hilsbergs „Förderung entarteter Kunst“, von der Zeitschrift Sounds mit dem Begriff „Neue Deutsche Welle“ belegt, steht bis heute niemand in der Gruppe nahe.

Trotz des Titels enthielt die folgende Platte Yankees raus die Umsetzung des amerikanischen Diktats, pragmatisch weiterzukommen: Der „Schritt nach vorn“ sollte nicht auf seine Richtung, sondern auch auf seine Effizienzerhöhung untersucht werden. In Deutschland kursierte bei Konzerten eine Übersetzung für dieses Prinzip: „Schneller! Härter! Lauter!“

Slime galten plötzlich als Prototyp. Punk in Hamburg geriet in

1seine selbstbezogene Phase. Die Reaktionen bei Auftritten schwankten zwischen einer Art letztem Hurrah-Pogo und offenen Anfeindungen. Die Auflösung vor Augen nahmen Slime ihre dritte und beste LP Alle gegen alle auf. Nicht nur im Titelsong beschrieben sie die Reste einer Bewegung, in der zu viele alte Feindbilder restauriert worden waren. Grundstimmung von Alle gegen alle: Antifaschistische Grundhaltung stößt sich mit der einsetzenden Sprach- und Ratlosigkeit.

Die Mitglieder beteiligten sich in den kommenden Jahren an verschiedensten Unternehmen für Kopfmusik, Hard Rock und Core- Spielarten. Darunter die Gruppen George&Martha, The Gift, Destination Zero, Abwärts und Brosch. Nur Sänger Dirk Jora enthält sich musikalischer Aktivitäten, tritt der Re-

1daktion des Millerntor-Roar bei und ist seither als Fan und Überzeugungsschreiber tätig. Joras Unabkömmlichkeit verpflichtete ein weiteres Mal Schlagzeuger Mahler und Gitarrist Elf, für das neue Album Viva la muerte! Texte zu schreiben. Weil über alte Kontroversen Filz gewachsen ist, machen Slime aus der Legitimation für eine neue Zusammenarbeit kein Hehl. „Die Zeit war reif“ prangt die Antwort der Band zur Zeit aus mehr als einem der einschlägigen Musik-Magazine heraus. Wer heute von den wiedervereinigten Slime hört, denkt an einen Satz, den ein paar Zeitgenossen der Geisterfahrer, die Gruppe FSK, geprägt haben: „Wir denken uns schon mal neue Ziele aus.“

Kristof Schreuf

Heute abend, 20.00 Uhr, Markthalle, im Rahmen des Nazis-Raus-Festivals

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen