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Es ist alles offen

Die Schaubühne im Umbruch. Ein Interview mit Elke Petri  ■ Von Petra Kohse

Im Dezember 1990 verkündete die Schaubühne, sie werde ihren Standort wechseln, falls Berlin nicht Regierungssitz wird. Natürlich durchschauten die Feuilletons damals diesen Versuch einer „gutgemeinten Erpressung“ (FAZ), eine Meldung war es aber eben doch wert.

Die Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin ist das heimliche Staatstheater der Bundesrepublik. Bei Gastspielen im Ausland, zuletzt mit dem „Kirschgarten“ in Moskau, feiert sie Triumphe. Vor 30 Jahren wurde sie am Halleschen Ufer als „zeitgenössisches Theater“ gegründet. 1969 lud das Theater Peter Steins Inszenierung des „Vietnam Diskurs“ zu einem Gastspiel ein. Im Jahr zuvor war Stein wegen dieser Arbeit aus den Münchener Kammerspielen geflogen, weil er während der Aufführung Geld für den Vietcong sammeln ließ. Mittlerweile hatte er sich in Bremen mit der Inszenierung von Goethes „Torquato Tasso“ einen Namen gemacht. Stein und seine SchauspielerInnen Edith Clever, Bruno Ganz, Michael König und Jutta Lampe beschlossen gemeinsam mit den Schaubühnen-Leuten, am Halleschen Ufer ein Theater- Kollektiv aufzubauen. Von Senatsseite wurde dieses Vorhaben unterstützt und die Subvention von 700.000 auf 1,8 Millionen Mark aufgestockt. 1977 waren es dann bereits 6,4 Millionen, und heute erhält dieses Privattheater stolze 23,3 Millionen Mark.1982 ist das Ensemble von Kreuzberg an den Kurfürstendamm übergesiedelt, in den Mendelssohnbau am Lehniner Platz. Neben Stein, Klaus Michael Grüber und Luc Bondy inszenierte auch der Bildermonteur Robert Wilson immer wieder an der Schaubühne – ein Zeichen dafür, daß sich dieses „zeitgenössische Theater“ allmählich in einen überzeitlichen Kunstraum zurückzog. 1985 verließ Stein das Haus, arbeitete aber noch regelmäßig dort. Peter Stein und die Schaubühne – diese Verbindung war weiterhin symbiotisch. Als der Inszenator sich jetzt im Herbst öffentlich von der Schaubühne lossagte, sprach er von „Ehescheidung“. Auslöser für die Krise war, daß das Theater den Vertrag mit ihm für eine Inszenierung von „Faust“ I und II im nächsten Jahr gelöst und jegliche Zahlungen gestoppt hat. Stein glaubt nicht, daß dieser Vertragsbruch aus finanziellen Gründen notwendig war. Er vermutet Andrea Breth, die neue künstlerische Leiterin der Schaubühne, hinter dieser „fristlosen Kündigung“. Schaubühnen-Direktor Schitthelm bestreitet das. Ohnehin sieht er alles nicht so dramatisch und hofft, mit Stein über eine Ersatzinszenierung verhandeln zu können. Andrea Breths dritte Schaubühnen-Inszenierung, Alexander Wampilows „Letzte Nacht in Tschulimsk“, hat morgen abend Premiere. An diesem Wendepunkt in der Geschichtze des Hausessprachen wir mit Elke Petri, einer Stein-Schauspielerin der ersten Schaubühnen- Stunde. Seit 1971 gehört sie zum Ensemble. Derzeit steht sie in Gorkis „Nachtasyl“, im „Schlußchor“ von Botho Strauß und in „Catharina von Siena“ auf der Bühne.

taz: Frau Petri, wenn alles nach Plan gegangen wäre, hätten Sie jetzt in den Proben von Peter Steins „Faust“-Inszenierung gesteckt. Nachdem das Projekt geplatzt ist, hat es viel böses Blut zwischen Stein und der Schaubühne gegeben. Was hat sich in dieser Sache entwickelt?

Elke Petri: Dieses Thema wird nicht mehr besprochen. Das ist von allen Seiten so hysterisiert behandelt worden, daß man aufhören mußte, darüber zu sprechen.

Auch nach seiner Trennung vom Ensemble hat Stein regelmäßig noch inszeniert. Jetzt kündigte er die endgültige Trennung von der Schaubühne an. Können Sie sich eine Arbeit an diesem Haus ganz ohne ihn vorstellen?

Nein! Ein Theater, das die Möglichkeit hat, mit Peter Stein zu arbeiten, sollte meiner Meinung alles tun, um diesen Mann arbeiten zu lassen.

Waren Sie dagegen, das „Faust“-Projekt abzusagen?

Nein, nein, nein. Das ist ein gemeinsamer Beschluß, den man gefaßt hat, nachdem alle technischen und finanziellen Fakten auf dem Tisch lagen. Heute bin ich allerdings der Ansicht, man hätte es versuchen sollen. Es hätte von allen Beteiligten Opfer verlangt. Aber wenn man gemeinsam beschlossen hätte, diese Opfer auf sich zu nehmen, hätte man den „Faust“ machen können. Ich halte es im nachhinein für falsch, daß wir nicht in der Weise darüber gesprochen haben. Auch unsere Entscheidung halte ich heute für falsch. Viele andere halten es nicht für so wichtig, daß Peter Stein an der Schaubühne arbeitet, wie ich. Wir Langjährigen sind ja die absolute Minderheit am Haus. Vielleicht ist es ja auch richtig, endlich mal einen Schnitt zu machen. Ich kann das allerdings nicht nachvollziehen, dazu fühle ich mich mit der alten Arbeit zu stark verbunden. Wenn wir heute den „Faust“ gemacht hätten, dann wäre das für mich nicht irgendeine Inszenierung, sondern die Fortsetzung einer 20jährigen Arbeit gewesen.

Können Sie die Entwicklung beschreiben, die diese Arbeit seit 1970 vollzogen hat? Das begann ja eigentlich beim politischen Theater.

Die Motive, dieses Unternehmen zu gründen, waren politisch. Was die Arbeit betrifft, da assoziiert der Begriff politisches Theater etwas anderes, als Peter Stein jemals wollte. Wir machten kein politisches Theater, sondern ein Theater, das die politischen und gesellschaftlichen Vorgänge in der aktuellen Zeit berücksichtigte. Wir haben aber immer versucht, nicht uns heute in Szene zu setzen, sondern alle Texte in ihrem Entstehungskontext zu erforschen. Also nicht heutige Politbedürfnisse mit einem romantischen Bedürfnis von Herrn Schiller zu koppeln. Wenn schon Goethe oder Shakespeare, wenn schon Gorki, dann wollen wir zeigen, was die Herren damals vorgefunden haben. Wir haben ja damals [1976, d.A.] mit „Shakespeare's Memory“ die ganze Renaissancezeit, soweit das überhaupt möglich ist, versucht zu beleuchten.

Dramen waren für Sie also kein Material, sondern eine Möglichkeit, Geschichte auf die Bühne zu bringen?

Nein, so kann man das nicht nennen. Wir haben schon Texte ausgesucht, von denen wir meinten, daß sie für uns heute wichtig sind. Aber wie wir sie dann auf die Bühne gebracht haben, das war immer eine Reise zu ihrem Ursprung. Das ging ja so weit, daß Peter Stein bei Tschechows „Kirschgarten“ [1989, d.A.] das Bühnenbild der Uraufführung von Stanislawskij versuchte zu rekonstruieren. Aber wir haben ja keinen Historismus betrieben, sondern wir haben die Dinge immer von unserem heutigen Standpunkt aus betrachtet. Und wir haben gefragt, was mit uns auf der Bühne passiert, wenn wir das tun. Und dieses Arbeiten ist von Peter Stein im Grunde erfunden worden.

Sie sprechen von „wir“. Das bringt mich darauf, nach dem Mitbestimmungsansatz in der Schaubühne zu fragen. Was ist daraus in den letzten 22 Jahren geworden?

In der Kunst kann man nicht von Mitbestimmung reden. Das ist etwas vollkommen Solistisches. Andererseits treffen im Theater viele Bedürfnisse aufeinander. Ein künstlerisches Ergebnis ist sehr viel reichhaltiger, wenn sämtliche Theaterabteilungen zusammenarbeiten. Natürlich konnten wir auch nicht alles gemeinsam entscheiden, aber wohl solche Dinge wie etwa, welche Stücke aufgeführt werden sollen. Peter Stein hat die große Qualität gehabt, daß er Notwendigkeiten künstlerisch produktiv gemacht hat. Das macht einen guten Theaterleiter auch aus. In den letzten Jahren vor seinem Weggang hat er viel Energie darauf verwenden müssen, anderen Regisseuren adäquate Arbeitsbedingungen zu schaffen. Das war auch mit ein Grund für ihn, nach 15 Jahren zu gehen. Jetzt wollte er eben auch mal derjenige sein, der gejettet kommt und Ansprüche stellen kann. Das ist aber ja auch verständlich.

Was hat sich verändert, als Peter Stein 1985 die Schaubühne verließ?

Unmittelbar hat sich überhaupt nichts verändert. Der ganze Betrieb ist genauso weitergegangen wie bisher, er hat regelmäßig bei uns inszeniert, nur daß wir Schauspieler immer mehr in Dinge hineingezogen wurden, die vorher Peter Stein mit Jürgen Schitthelm geregelt hatte. Das Ensemble mußte eine leitende Funktion einnehmen, bis wir dann Dieter Sturm, Luc Bondy und Christoph Leimbacher mit der künstlerischen Leitung betrauten. Und während Peter Stein immer eine größtmögliche Offenheit in allen Fragen realisiert haben wollte, war das Bedürfnis dieser Leitung nach Offenheit nicht so groß. Das heißt natürlich nicht, daß das Ensemble sich nicht auch heute noch in alle Fragen einmischen kann.

Warum wurde Bondy 1987 von Jürgen Gosch abgelöst?

Luc Bondy machte die Theaterleitung nicht so viel Spaß, das war nicht seine Sache, wie man nach einigen Jahren feststellte. Dann haben wir uns umgesehen, und Jürgen Gosch rückte uns als Leiter ins Blickfeld. Den fanden wir unglaublich aufregend. Ich bin eine der wenigen im Ensemble, die nach wie vor dieser Meinung ist. Es hat sich aber schnell herausgestellt, daß auch er kein Theaterleiter ist. Seine Stellung im Haus war auch schwierig. Da waren ganz irrationale Momente im Spiel. Bei den Proben zu „Macbeth“, seiner ersten großen Inszenierung, an der er mit aller Leidenschaft gearbeitet hat, ergab sich gleich zu Anfang, daß zwei Drittel des Hauses gegen ihn waren. Es entstand eine regelrechte Hysterie. Und das hatte dann für ihn auch keinen Sinn mehr. Wie soll man sich auch unter Menschen in einem Theater bewegen, wenn man weiß, daß die Mehrheit Pickel kriegt, wenn man nur den Gang runtergeht. Dann waren wir wieder eine Zeitlang auf uns alleine gestellt, bis uns eine Regisseurin ins Blickfeld rückte. Über Andrea Breth hatten wir schon oft gesprochen, wir haben ihre Inszenierungen angesehen und wollten unbedingt, daß sie bei uns etwas arbeitet.

Was bedeutet dieser Leitungswechsel für die Schaubühne und auch speziell für Sie? Soweit ich weiß, ist es nicht sicher, daß Sie am Haus bleiben werden.

Eines ist klar: Dieses Theater ist– perspektivisch gesehen – nicht wild darauf, mich weiterzubeschäftigen. Andrea Breth ist eine Regisseurin, die sich eine Burg bauen will und Menschen um sich scharen will, die zu ihr gehören und sich im Theater stark auf sie bezogen verhalten. Das kann man von all den Alten ja gar nicht so unbedingt voraussetzen. Und sie hat eben das Bedürfnis, ihre alten Kampfgenossen sukzessive ins Haus zu holen. Das ist erst mal ein vollkommen normaler Prozeß.

Ist es notwendig, Schauspieler auszutauschen, oder kann man nicht einfach das Ensemble vergrößern?

Wir sind jetzt ungefähr 20 und haben derzeit einige Leute bei uns beschäftigt, die dann wohl einen festen Vertrag erhalten werden. Vor allem Männer. Wir brauchen auch dringend junge Männer. Da muß sogar noch einiges mehr passieren. Andrea Breth wünscht sich ein größeres Ensemble, damit sie einen sehr viel abwechslungsreicheren Spielplan gestalten kann. Früher spielten wir en suite, danach in kleineren Serien. Auch aufgrund der veränderten Publikumssituation in Berlin, der Kuchen muß ja neu verteilt werden, will man mehrere Stücke abwechselnd spielen, um attraktiv zu bleiben. Um vier Stücke zu besetzen, braucht man mindestens 25 Schauspieler. Das Schillertheater hat über 100.

Was wird die Ära Breth denn Neues bringen?

Für mich ist fast alles offen. Ich weiß nicht genau, wo unser Haus jetzt hinsteuert. Wenn etwas Neues entstehen wird, dann ist es noch nicht da. Soweit ich das beschreiben kann, will Andrea Breth das Theater wieder näher an die Menschen heranführen. Zwischen dem Publikum und den Schauspielern soll eine intimere Auseinandersetzung stattfinden. Das ist ein ganz hochgestecktes Ziel.

Das wundert mich aber. Im Schlußbild von „Nachtasyl“ geht ein Gitter zwischen Bühne und Zuschauerraum runter. Für mich war das ein Symbol gerade dafür, wie hermetisch diese Inszenierung ist.

Das Gitter ist inzwischen gestrichen. In „Nachtasyl“ stand Andrea Breth unter einem solchen Leistungsdruck, das kann man überhaupt nicht beschreiben. Das kennt ja jeder von uns. Auch Peter Stein kannte das, aber er ist ganz anders damit umgegangen. Viele Sachen von dem, was am Ende auf der Bühne zu sehen war, fand ich wunderbar, andere schienen mir nicht ganz ausgelotet zu sein. Dann haben wir Wiederaufnahmeproben gehabt, und da hat sie Kritik gemacht, in der sie ganz andere Bedürfnisse an uns formulierte. Andrea Breth ist auf der Suche.

In einem Interview hat sie Peter Stein als ihren Lehrmeister angegeben. Merkt man das als Schauspielerin?

Es gibt verwandte Elemente. Man kann nicht sagen, daß er ein Lehrmeister war, dem sie nachstrebt. Im Gegenteil, sie hat das Bedürfnis, alles ganz anders zu machen. Sie gehört zu einer ganz anderen Generation. Eine Verwandtschaft besteht darin, Traditionen aufrechtzuerhalten. Aber wie das gemacht wird, ist völlig unterschiedlich.

Sehen Sie heute jemanden, der oder die seinen oder ihren Weg im Theater vergleichbar innovativ verfolgt wie Peter Stein?

Frank Castorf oder Alexander Lang gehen sicher eigene Wege. Ich glaube, daß es mittlerweile geradezu ein Wahn ist, was Eigenes zu suchen. Das Großartige an Peter Stein ist ja gerade, sich nicht als Person auf die Texte zu legen, sondern genau das zu unterlassen und die Sache sprechen zu lassen.

Sie haben doch auch schon öfter mit Klaus Michael Grüber gearbeitet, auch in seiner neuesten Schaubühnen-Produktion, „Catharina von Siena“ von Lenz, spielen Sie. Grüber ist ja auch ein Regisseur, der einen sehr persönlichen Blick auf die Texte hat.

Das ja, aber er verhindert den Text dadurch nicht. Er steht in einem symbiotischen Verhältnis zum Autor. Dadurch bleibt er es, der letztlich etwas mitteilt, durch die Arbeit der Schauspieler und der Regie hindurch. Das sieht man an diesem kleinen Stück von Lenz. Ein fragwürdiges und unscheinbares Stückchen Text, das zwischen anderen Texten vor sich hin staubte und plötzlich für eine Stunde lang anfängt zu leuchten. Das ist dem Grüber zu verdanken.

Würden Sie, unabhängig von Ihrer ungeklärten Vertragssituation, an der Schaubühne bleiben wollen?

Wenn man über 20 Jahre gerne an einem Haus gearbeitet hat, will man von sich aus erst mal nicht weg. Aber man bleibt nicht um jeden Preis. Mir wäre das liebste, ich könnte meine Arbeit irgendwie weiterführen, aber ich fürchte, daß das nicht geht. Und dann habe ich ja auch angefangen, eigene Produktionen zu machen. Das interessiert mich mehr und mehr. Allerdings denke ich nicht, daß das die Schaubühne interessiert.

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