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Der Ball ist entschleiert

Die Türkinnen von Dinarsu Istanbul standen im Blickpunkt des Crailsheimer Frauen-Fußballturniers  ■ Von Peter Unfried

Crailsheim (taz) – Die Türken sind, das ist bekannt, große Freunde des Fußballsports. Oder des Sports schlechthin. „Laß zwei Türken irgendwo Murmeln spielen“, hat einer, der es wissen muß, erklärend gesagt, „und es werden sich sofort andere begeistert um sie scharen.“ Wenn also Galatasaray, Fenerbahce oder Besiktas Istanbul aufs Spielfeld laufen, ist nicht nur das Stadion fast immer ausverkauft, auch die Elfmillionenmetropole verändert sich merklich. Die Straßen, in denen ansonsten von früh morgens bis in die Nacht Trubel und Rush-hour herrschen, sind plötzlich verlassen.

Fußball ist eben Volkssport Nummer1. Damit ist aber selbstredend, wie anderswo auch, der der Männer gemeint. Neuerdings kommen nun auch die Frauen, zwar noch nicht gewaltig, aber sie kommen. Mit dem SK Dinarsu Istanbul hat beim Turnier im hohenlohischen Crailsheim in Württemberg zum erstenmal eine türkische Frauschaft an einem internationalen Vergleich in Mitteleuropa teilgenommen. Und für mittelschweres Aufsehen gesorgt: Türkische Kickerinnen? Da rückten selbst die Jungs vom Südfunkfernsehen eilends an, die sonst gar nicht wissen, daß es Frauenfußball gibt.

Das türkische Massenblatt Hürriyet kam auch gerannt, und unter dem knappen Tausend in der rappelvollen Crailsheimer Halle waren mindestens ein Viertel Türken, die, Halbmondfahnen schwenkend und aufgeregt „Türkiye, Türkiye“ orkanierend, ihre Landsfrauen unterstützten. Es störte auch nicht weiter, daß der SK Dinarsu auf dem Spielfeld wenig zu bestellen hatte bei diesem wohl bestbesetzten deutschen Turnier, gespickt mit Meisterfrauschaften aus sieben europäischen Ländern, vorneweg die deutschen Vorzeigefußballerinnen des TSV Siegen. Gerade beim 0:4 gegen Siegens Nationalspielerinnen Neid, Voss, Nardenbach, Kubta, Unsleber und Fitschen verkauften sich die türkischen Fußballerinnen nämlich recht gut.

Dinarsu ist eigentlich ein Betriebsteam. Ilker Inal, geschäftsführender Gesellschafter dieser großen Istanbuler Teppichfabrik, hat das Team vor drei Jahren gegründet. Frauenfußball gibt es zwar schon länger, doch keinen organisierten. Bisher existiert auch noch keine türkische Liga. „Es ist zwar beschlossen worden“, sagt der Rechtsanwalt Inal, „daß dieses Jahr eine eingeführt wird, aber es sind einfach noch nicht genügend Teams.“ Neben Dinarsu sind in Istanbul nur zwei weitere für den Punktspielbetrieb bereit, eines wird in der Hauptstadt Ankara gerade aufgebaut.

Auch das Interesse von offizieller Seite ist bisher eher bescheiden: der türkische Fußballverband „Türk Futbol Federasion“ scheint dem ganzen eher indifferent gegenüberzustehen, so daß Ilker die Sache selbst in die Hand genommen hat. An der Spitze eines Komitees hat er sich mit der Gründung eines Nationalteams beauftragen lassen. „Wir bemühen uns“, sagt er, „daß das rasch vorangetrieben wird.“ Zunächst eine schleunigste Gründung der Liga, in spätestens fünf Jahren die Teilnahme an internationalen Wettbewerben. Das Interesse der Öffentlichkeit, sobald sie einmal mitgekriegt hat, daß Fußball gespielt wird, ist da. „Wenn das Crailsheimer Turnier in der Türkei stattfände“, ist sich Ilker sicher, „wäre die Halle jeden Tag ausverkauft.“ Und er redet von einer Hallenkapazität von 5.000 Plätzen.

Daß türkische Mädchen Fußball spielen, hält er im übrigen für nichts besonderes, sondern für selbstverständlich. Auch wenn sich den Fundamentalisten im Land die Haare sträuben mögen: „Es ist nicht nur im Sport so, daß Frauen Dinge tun, die sie früher nicht getan haben. Irgendwann hat sich herausgestellt, daß sie es auch können, und heute ist es Gewohnheit.“ Schließlich hat den Schleier bereits Atatürk persönlich abgeschafft. Dennoch haben sich türkische Frauen bis heute in der Regel auf solche Sportarten konzentriert (oder sind konzentriert worden), die als eher weibliche angesehen werden. Volleyball, zum Beispiel, wo man zur europäischen Spitze zählt.

Die Fußballerinnen trainieren regelmäßig dreimal in der Woche. 34 sind es derzeit, darunter Sportstudentinnen, Lehrerinnen, Krankenschwestern und eine Buchhalterin. Zwar ist der Weg der Türkin an den Ball noch längst kein naheliegender, aber Dinarsu soll Vorbildfunktion haben: „Türkische Mädchen“, sagt Ilker Inal, „sind genauso weit wie ihre Geschlechtsgenossinnen in Mitteleuropa.“ Daß sie gegen Siegener oder Lütticher Genossinnen im Moment noch viele Tore bekommen und keine selbst schießen, stört den Pionier da wenig. „Wir wollten einfach zeigen“, sagt er, „daß auch die türkischen Frauen Fußball spielen können.“ Spätestens seit diesem Wochenende weiß man es.

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