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Meer! Flotte! Heimat!

■ Musikalischer Arm der Schwarzmeerflotte tränentreibend in der Glocke

Alle Jahre wieder kommen sie singend, tanzend und musizierend nach Bremen, die Blauen Jungs der Schwarzmeerflotte, und auch am Montag war der Glocke-Saal bis auf den letzten Platz gefüllt. Laut Programm gelten die KünstlerInnen immer noch als mit Gesang kämpfende Einheit des bewaffneten Proletariats der großen Sowjetunion. Sie hatten erst vor einigen Tagen in der volkstümlichen Hitparade der Dirndl-Fee Caroline Reiber den Sieg errungen — für ihr ohrwürmiges Schmalzküchlein „Doswidanja das heißt auf Wiedersehen“. Unweit der Stadtmusikanten begrüßten sie einmal mehr das beste Publikum der Welt.

Business as usual also — aber das immerhin ist einzigartig genug. Die Balalaika zirpt und die Trompete schmettert, die Matrosen, immer noch mit Sowjetstern, brummen und trillern aus allen Höhen und Tiefen ihrer russischen bzw. ukrainischen Seele zum Ruhme des Meeres, der Flotte und der Heimat. Lauter junge Nurejews schweben im Ballett, springen kraftvoll über die Ziehharmonika und brillieren mit atemberaubender Parterre-Akrobatik. Mit fiependen Juchzern begleiten Tanzmädchen im Lore Folk-Look das Geschehen, und beim gravitätischen Solo-Auftritt des Vierzentner-Bassisten Ustinov rinnen die Zähren im Auditorium wie einst der Wodka zum Kampftag der Arbeiterklasse. Diese Inkarnation des russischen Bärs ist bei den Zuhörern eh die Nummer 1, obgleich Kapitän zur See Alexander W.Smetanin als künstlerischer Leiter des gesamten Ensembles einige Ehrenzeichen mehr auf der Ordensspange hat.

Die Uniformen der musikalischen Offiziere blitzen wie eh und je, die Perfektion der Paraden nötig den zahlreichen Weltkriegsveteranen im Saal offenmündige Bewunderung ab: „Bis kurz vor Moskau bin ich gekommen — und wieder zurück. Eine schreckliche Zeit, aber auch eine schöne Zeit“, raunt der etwas tapsig gewordene Inhaber eines ausrasierten Nackens in der Pause verschwörerisch dem Verkäufer am Souvenierstand zu. Der versucht prompt, ihn für ein Fernglas aus Armeebeständen zu interessieren: Schon zwei Wochen vor Winterschlußverkauf wird hier und heute flohmarktmäßig abgerüstet.

Das gut funktionierende militärische Show-Battalljon hat sich längst von der Historie emanzipiert — und das gibt den Uniformen jenen Ausdruck operettenhafter Melancholie, der ein Dreivierteljahrhundert Markenzeichen der exilierten Donkosakenchöre war. Jaja, die Russen, wer wüßte es nicht aus Roman und Film, Liedgut und Vorurteil, sind Weltmeister des sentimentalen Überschwangs: Wer da kein Tränchen hat, dem hilft auch der Rezeptblock von Doktor Schiwago nicht mehr. Und für die Hartgesottenen ist auch noch die Koloratursopranistin M. Stefyuk vom Operhaus Kiew mit ihrem „Ave Maria“ da. Selbst der Schlagzeuger reibt sich da verstohlen die Äuglein, bevor der Chor die „Alten Kameraden“ zum Besten gibt und damit den alten Kameraden hinter mir restlos in Ekstase versetzt.

Das wehende Meer roter Fahnen, die kleinen Friedensbanner mit Täubchen und Ährenkranz früherer Auftritte sind längst eingemottet, verramscht oder zu Konfetti für die Gründungsfeier vieler kleiner neuer Staaten verarbeitet. Aber immer noch klingt eintönig hell das Glöcklein, wogen Ballerinen auf tönenden Wellen, tanzt Iwan den Kasatschok mit Juri oder Alexander. Wie wird's wohl sein beim nächsten Mal? Gibt es ein nächstes? Mit Russen? Mit Ukrainern? Mit roten Sternen an der Mütze? Moskau ist weit, der Zar verkauft Faberge-Eier auf dem schwarzen Markt, und Babuschka kocht Kohlsuppe. Da bleibt kein Tellerchen für Wladimir Iljitsch am Katzentisch übrig. Urdrü

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