: "Eine Doppelwand bringt nicht viel"
■ Interview mit Walter Abicht, Professor für Schiffsicherheit in Hamburg, zu aufgeschlitzten Tankerbäuchen / Der gestrandete Öltanker "Braer" brach gestern, wie seit Tagen befürchtet, auseinander
Der seit Tagen befürchtete Umwelt-GAU ist eingetreten: der US- Öltanker Braer, der vor acht Tagen an der Südküste der schottischen Shetlandinseln auf einen Felsen aufgelaufen und leckgeschlagen war, ist gestern früh in mindestens vier Teile zerbrochen. Damit sind die Hoffnungen, wenigstens einen Teil der 84.500 Tonnen Rohöl abzupumpen, auf den Nullpunkt gesunken. Der Leiter der Bergungsmannschaften, der Niederländer Geert Koffeman, sagte jedoch: „Wir machen weiter, solange die theoretische Möglichkeit besteht, daß sich noch Öl an Bord des Schiffes befindet.“ Wahrscheinlich wird die Bergungsfirma aber in den nächsten Tagen unverrichteter Dinge abreisen. Genauso wie die internationalen JournalistInnen, die bereits am vergangenen Wochenende abgereist sind. Vorübergehend waren Betten, Mietautos und Taxis Mangelware. Für die Shetland-Bewohner, von denen viele vom Tourismus leben, ist diese Einnahmequelle nun auf unabsehbare Zeit versiegt.
taz: Herr Professor Abicht, was muß unternommen werden, um die Katastrophenserie von Tankerunglücken zu stoppen?
Prof. Walter Abicht: Bei Felsstrandungen wie jetzt bei der Braer nützt auch die beste bauliche Sicherheit nichts. Einzige Möglichkeit ist die Sperrung bestimmter Seegebiete, um solche Katastrophen zu vermeiden.
Also klare Verbote für küstennahe Fahrten?
Wir brauchen Verbote für besonders gefährdete Gebiete, zumindest bei schlechtem Wetter. Wenn ein ausreichender Sicherheitsabstand zur Küste vorhanden ist, bleibt im Ernstfall sehr viel mehr Zeit, um Hilfe zu holen oder um die Maschine wieder in Gang zu bringen.
Könnten kleinere Tanks verhindern, daß solch riesige Ölmengen auslaufen wie bei der Braer?
Sicherlich. Man sollte sich einmal daran erinnern, daß die Tanker früher nur sehr kleine Ladetanks von höchstens zwölf Metern haben durften. So stand es bis 1963 in den Vorschriften des germanischen Lloyds. Bei solch einer Konstruktion werden bei einem Unglück immer einige Tanks unbeschädigt bleiben. Hier waren die Bestimmungen früher strenger. Die Japaner haben dann als erste Großtanks gebaut. Nach 1963 durften die Tanks ein Fünftel der Schiffslänge ausmachen, dadurch konnte der Baupreis der Tanker stark reduziert werden.
Jetzt wird nach doppelwandigen Schiffen gerufen...
Eine Doppelwand von zwei Metern Abstand, die jetzt für neue Schiffe gefordert wird, bringt nicht viel. Bei den meisten Lecks haben wir Eindringtiefen von deutlich über zwei Metern – also wird auch die Innenhaut durchstoßen.
Welcher Sicherheitsabstand wäre notwendig?
Eine doppelt so große Sicherheitsmarge von vier Metern, wie sie jetzt beim Eurotanker E 3 geplant ist, könnte das Risiko senken. Aber selbst bei vier Metern ist die Wahrscheinlichkeit noch recht groß, daß bei einer Strandung die Innenhaut aufgerissen wird.
Sollten kleinere, manövrierfähigere Schiffe gebaut werden?
Die Transportkosten pro Tonne Öl sind bei den größeren Schiffen niedriger, und das ist für die Tankschiffahrt entscheidend. Kleinere Schiffe bedeuten natürlich eine sehr viel geringere Gefährdung. Aber dann brauchen Sie mehr Schiffe, um dieselbe Frachtmenge zu befördern, und damit erhöht sich auch die Zahl der Unfälle. Sie können sich also aussuchen, ob Sie viele kleine Unfälle oder wenige große haben wollen.
In 90 Prozent aller Tankerunfälle wird „menschliches Versagen“ diagnostiziert. Welche Schlüsse sind daraus zu ziehen?
Wir sollten uns nicht nur auf Maßnahmen zur passiven Sicherheit konzentrieren, die im Falle eines Unglücks wirksam werden, sondern vor allem die aktive Sicherheit verbessern, damit es gar nicht erst zu Unfällen kommt. Dazu zählt neben einer sicheren Route zuallererst eine sehr gut ausgebildete Mannschaft. Das ist auf vielen Schiffen ein großes Manko. Aber auch die Technik kann die aktive Sicherheit ganz erheblich verbessern: Zweigeteilte Ruder etwa, bei denen für jeweils eine Hälfte des Ruders eine eigene Maschine vorhanden ist. Wenn eine Rudermaschine ausfällt, bleibt das Schiff manövrierfähig. Bei der Braer ist die Hauptmaschine ausgefallen. In solch einem Fall müßte eine Hilfsmaschine bereitstehen, wie sie beim E3-Tanker angedacht ist.
Warum ist das Personal an Deck oft so schlecht?
Die Reeder versuchen, Personalkosten einzusparen. Deswegen fahren sie auch unter den sogenannten Billigflaggen. Hier wird dann häufig schlecht ausgebildetes Personal unter Tarif beschäftigt, um die Kosten zu senken.
Die Tankerflotte ist mit durchschnittlich 14 Jahren stark überaltert. Wie kann man die alten Rostlauben aus dem Verkehr ziehen.
Die IMO hat ja im vergangenen Jahr neue Vorschriften für Tanker erlassen. Leider gelten sie nur für Neubauten. Für die alten Schiffe gibt es viel zu größzügige Übergangsfristen von bis zu 25 Jahren. Man kann nur hoffen, daß hier einige Mitgliedsländer nach dem Unglück der Braer Widerspruch einlegen. Die Widerspruchsfrist endete am 6. Januar, wenige Tage nach dem Unfall vor den Shetlands. RaSo/Interview: Manfred Kriener
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen