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Wie in jedem Januar wird sich ab heute in Berlin der deutsche Bauernstand wieder von seiner besten Seite zeigen. Aber auch die üppigsten Auslagen auf der Grünen Woche können nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die Landwirtschaft im vereinigten Deutschland in einer Strukturkrise befindet. Von Niklaus Hablützel

Ost-Bauern sind besser gerüstet für Europa

Die Pferde sind echt, der Mist auch. Seit 1926 will sich der Deutsche Bauernstand in Berlin alle Jahre wieder von seiner besten Seite zeigen – mit Kühen zum Anfassen für die Stadtkinder, mit Würsten, Schinken, Bier und Schnaps für die Erwachsenen. 47 Länder aus aller Welt sind diesmal dabei, aus den Entwicklungsregionen ein paar weniger als im letzten Jahr. Aber um sie geht es nicht, Deutschland will sich im Weltvergleich sonnen und der Bauernverband seine Standespolitik ins rechte Licht rücken. Beide haben Probleme mit Europa und Amerika: Die EG hat 1992 einen bescheidenen Versuch unternommen, die landwirtschaftliche Überschußproduktion zu drosseln, die USA haben in den Gatt-Freihandelsverhandlungen einen Subventions- und Zollabbau durchgesetzt.

Aber Bundesregierung wie Bauernverband haben ein Problem mit Deutschland, das sie weniger lautstark in die Öffentlichkeit tragen. Der Osten ist rot – auf einer Karte zumindest, die der soeben aus dem Amt entlassene Ignaz Kiechle in seinem letzten „Agrarbericht“ veröffentlicht hat. Sie zeigt an, wie hoch der Anteil der sogenannten „stillgelegten Flächen“ am bebauten Land ist. Tiefrot eingefärbt sind diejenigen Landkreise, in denen über 20 Prozent des Arbeiter- und Bauernlandes brach liegen. Und gewiß ohne politische Hinterlist haben die braven Graphiker des Bundesministers mit dieser Methode die DDR auferstehen lassen.

Ignaz Kiechle, der zehn Jahre lang alle Kabinettskrisen überstand, war amtsmüde geworden. Mag sein, daß ihm vor diesem rot eingefärbten Land der Ex-DDR grauste. Es markiert die Grenze zu einem Krisengebiet. Nur ist nicht sicher, ob nicht in diesem Fall die Probleme auf der westlichen Seite liegen; die ehemals sozialistische Landwirtschaft könnte die westdeutschen Bauern erblassen lassen. Seit langem trügt hier das Bild, glückliche Kühe und duftendes Getreide sind höchstens noch im Poesiealbum unbeirrbarer Nostalgiker zu Hause. Die Agroindustrie hat den Bauernhof übernommen, sie liefert heute die Saat, das Viehfutter, den Dünger und die Pestizide, die chemischen Arten-Killer, die immer noch „Pflanzenschutzmittel“ heißen.

Bauern wie Ignaz Kiechle hatten sich anzupassen, und so focht der CSU-Minister in Brüssel denn auch brav für eine Agrarpolitik, die eben diesen Interessen dient. Das Prinzip ist bekannt und teuer genug: Die sogenannte „gemeinsame Agrarpolitik“ der EG sorgt seit 30 Jahren mit hochsubventionierten Garantiepreisen dafür, daß auch in Deutschland immer weniger Bauern auf immer größeren Höfen immer besser überleben. Denn nur so ist der Absatz der chemischen Industrie gesichert – eine Greenpeace-Studie kam im vergangenen Jahr zu dem Schluß, daß von jeder Mark, die im EG-Raum für Lebensmittel ausgegeben wird, 80 Pfennig nicht etwa den Landwirten, sondern der chemischen Industrie zufließen.

Die jährlichen Zahlen des offiziellen Agrarberichts sprechen ebenso für sich: 1991 konnten 16.800 Bauern, die bis zu fünf Hektar Land beackerten, nicht mehr mithalten, sogar etliche Mittelbauern mit Höfen von bis zu 50 Hektar Nutzfläche gaben auf. Ganz anders die Großen: zwischen 1990 und 1991 wuchs die Zahl der Güter mit über 100 Hektar Land noch einmal um 9,8 Prozent. Nur: diese Tendenz betraf bislang nur den Westen – ein Reservat, das nun geradezu idyllisch aussieht neben den Landgütern, die mit der deutschen Vereinigung zum selben Wirtschaftsraum gehören. Denn die sozialistische Planwirtschaft hatte weit radikaler als das westliche Kapital auf schiere Größe gesetzt, zu manchen Gütern gehörten über 5.000 Hektar Ackerfläche.

Die Privatisierung wird daran nicht viel ändern. Zwar traf der Vereinigungsschock zunächst die Genossen der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und Belegschaften der „Volkseigenen Güter“. Viel zu viele – etwa 850.000 Menschen – arbeiteten auf dem Lande, heute sind noch 300.000 beschäftigt, die Hälfte von ihnen in Kurzarbeit. Die Kosten dafür schlagen beim Sozialminister zu Buche, für die stillgelegten Äcker mußte keine EG-Prämie bezahlt werden.

Wer die Wende bis heute überlebt hat, kann auch nach der EG- Reform, die mit Preisbegrenzungen und Prämien für brachgelegte Anbauflächen die Überschußproduktion bremsen will, in der agroindustriellen Oberklasse mitspielen. Der letzte Agrarbericht nennt als jüngste Zahl 12.100 ostdeutsche Einzelbetriebe im August 1991, die Durchschnittsgröße der neu eingerichteten Höfe beträgt 90 Hektar. Aber auch diese Zahl täuscht. Fast 80Prozent der kultivierten Fläche werden von Betrieben mit über 1.000 Hektar bewirtschaftet.

Landwirtschaft dieser Größenordnung braucht Chemie. Schon jetzt gehört die BRD weltweit zu den Spitzenabnehmern an Pestiziden, dieser Markt wird wachsen, Bundesregierung und Bauernverband werden die Entwicklung gemeinsam unterstützen. Noch der bescheidenste Versuch der EG- Bürokratie, die Existenz von Klein- und Mittelbauern zu sichern, wird von der deutschen Regierung scharf bekämpft. Zum Beispiel schlug die EG-Kommission für das Wirtschaftsjahr 1993/94 vor, weitere Preissenkungen mit direkten Einkommenszuschüssen an die Bauern zu kompensieren. Genau das aber darf nicht sein: „Größere und leistungsfähigere Betriebe wären benachteiligt“, schreibt der Minister in seinem Abschiedsbericht, „der notwendige strukturelle Anpassungsprozeß würde damit behindert.“

Nichts Neues also auf dieser Grünen Woche, und falls Kiechles Nachfolger Jochen Borchert doch etwas einfallen sollte, gab ihm Helmut Born, der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, die passende Mahnung auf den Weg: „Er hat die Landwirtschaft von der Pike auf gelernt, und wir hoffen, daß sich das auch in seinen Entscheidungen widerspiegelt.“

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