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Ein Freund und Kupferstecher

■ Den Hafenrand entlang: Hamburg-Radierungen von Wolfgang Werkmeister in der Edition Henner Wachholtz

in der Edition Henner Wachholtz

Gestochen scharf. Mein Freund und Kupferstecher, so führt der Volksmund stets Metaphern einer der interessantesten, klassischen Kunstgattungen mit sich im Gerede. Der 1941 in Berlin geborene und in Hamburg lebende Künstler Wolfgang Werkmeister hat sich seit 1966 dieser Technik verschrieben.

Sein Hamburg-Zyklus Das Mappenwerk umfaßt 26 Radierungen aus den Jahren 1988 bis 1991. Die einzelnen Motive im Blattformat 7Ox9O cm geben Architektonisches und Alltags-Szenisches aus Hamburg, hauptsächlich dem Hafen und der Elbe wieder: „Hamburger Hafen“, „Elbverkehr“, „Hafenstraße“, „Fischmarkt“ etcetera sind die einzelnen Blätter benannt. Ausstellung und Edition des Mappenwerkes hat die Edition Henner Wachholtz übernommen.

Die Schwarz-Weiß-Radierung wird von Werkmeister im handwerklich-technischen Sinne virtuos beherrscht. Spannungen zwischen Tiefenraum und Fläche, harten und weichen Strichverbänden, sowie kontrastierende Strich- und Linienbündel charakterisieren seine oszillierenden Blätter. Realistische Graphik würden die meisten Menschen wohl seine Art bezeichnen. Orientiert an starken tektonischen Bildgefügen versucht der Künstler den Alltag – oder was er darunter versteht – innerhalb seiner graphischen Partitur auszutarieren.

Nun stellen sich an diesem Punkt dem geneigten Betrachter aber elementare Fragen. Kann sich am Ende unseres 20. Jahrhunderts die bildende Kunst noch auf die Wahrheit des Gesehenen verlassen? Ist diese Auffassung nicht Kunstbegriffen des 18. und 19. Jahrhunderts verpflichtet, und reicht ein historischer Verweis auf Bonnards und Masareels Hamburg-Zyklen wie bei Ralf Buschs Rede zur Eröffnung der Ausstellung aus?

Verfolgt man die Geschichte der Radierung in den letzten 25 Jahren, so fällt doch auf, daß die allein virtuose Handhabung der technischen Mittel spätestens seit den Radierungen von Tapies, Dieter Roth

1oder KP Brehmer längst nicht mehr ausreicht. Auch und gerade der Realismus bedarf des hinzuerfindenden Momentes, nach seiner Begriffsbestimmung. Von Adrian van Ostade über Claude Lorrain bis hin zu den englischen Meistern des 19. Jahrhunderts waren Landschaft, Stadt und die Probleme des menschlichen Arbeitsalltages dazwischen mit dem Industrialisierungsproblem auch durch formale, und interpretatorische Bruchstellen gekennzeichnet. Besonders die Ruhrgebiets-Radierungen des Amerikaners Joseph R. Pennell kurz vor dem Ersten Weltkrieg sind deutliche Dokumente eines sehr sinnli-

1chen, weniger starren und tektonischen Ausdrucks, der die Bewegtheit des Sujets mit der Lebendigkeit des Mediums verband.

Auch sollte man sich hüten, Masarells Werk Das Gesicht Hamburgs, 1966 erschienen, als letzten Versuch des Stadt-Portaits zu bezeichnen: Hamburg-Zyklen sind allein im letzten Jahr vorgestellt worden – im Dortmunder Museum am Ostwall durch den Kölner Künstler O.R. Jordan, oder in Halle K3 von Kampnagel durch DG Reiß. Nicht zuletzt können auch die „Standort“-Platten von Franz Erhard Walter als so ein stadt-spezifischer Zyklus bezeichnet werden.

1All jene thematisieren ein anderes Hamburg. Letzendlich bleibt Werkmeister thematisch dann doch in einem touristischen Hamburg-Bild gefangen. Auch die Charakterisierung der Individuen gelingt nicht: Die Masse Mensch wird nur als anonymes Ornament behandelt, und wird so hinterrücks eine Aussage von Herrschaftsdenken. Was dennoch Lust macht, ist die Akribie und die Handhabung der Licht- und Schattenreflexe in einem der spannendsten Kunstmedien überhaupt, daß derzeit leider viel zu stark vernachlässigt wird. Und wenn man sich aus Anlaß der Ausstellungen dann genüßlich Ko-

1schatzkys Buch Die Kunst der Graphik zur Hand nimmt, und wieder einmal auf weltmeisterliche Radierer wie Hercules Seghers, Charles Meryon und Rodolphe Bresdin gestoßen wird, dann hat die Ausstellung einen weiteren Sinn erfüllt.

Aufpassen müssen Künstler und Publikum aber stets, die Kunst nicht jenem Typus von Vernunft zu unterstellen, der das nur Handwerkliche oder Technologische hervorbrachte. Gestochen scharf heißt auch die Seele treffen. Gunnar Gerlach

Auktionshaus Henner Wachholtz, Mittelweg 43, Bis 14.2., Mo.-Fr. 10-18.30 Uhr, Sa. 10-14 Uhr

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