: "Die Welt ist schlecht. Aber das hat schon seine Richtigkeit"
■ betr.: "Mit dem Pazifismus siegen lernen" (Richter), taz vom 26.1.93, "Zeitalter –planetarischer Politik'" (Knapp), taz vom 28.1.93
betr.: „Mit dem Pazifismus siegen lernen“ (Richter), taz vom 26.1.93, „Zeitalter ,planetarischer Politik‘“ (Knapp), taz vom 28.1.93
[...] Richter gelang es offensichtlich nicht, dem replizierenden Politiker klarzumachen, daß Krieg eben nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. Der Mensch ist im Kriegsfall als Beteiligter oder Zuschauer gleichsam moralisch umgekrempelt. Der Einsatz militärischer Gewalt ist nicht rational zu begründen, da er moralische Kategorien (Gewissen, Musik von gestern?) außer Kraft setzt. Er beruht allenfalls auf einer Rationalisierung, ein psychischer Abwehrmechanismus, in dessen Folge Aggression, Macht- und Expansionsstreben das moralische und „politische“ Begründen übernehmen. Im Text des Realisten Knapp taucht das Wort „Gewalt“ oder „Tod“ nicht auf, statt dessen „Intervention“, „dem Völkerrecht Geltung verschaffen“ oder gar „planetarische Politik“. Verdrängung, Verleugnung, Rationalisierung: die Liste ist bald komplett.
Wenn Knapp ein Interesse an „Frieden“ hat, empfehle ich die Lektüre von Alexander Mitscherlich oder Hannah Arendt. Es ist unerträglich, wie sich seit dem Golfkrieg scheinbar „linke“ Schmierfinken von menschlichen Minimalpositionen entfernen und sich dabei der gängigen Sprachregelungen bedienen. Sprachregelungen sind der klare Beweis für die kollektiv funktionierenden Rationalisierungsleistungen, in allen öffentlichen Debatten zu beobachten. [...] Michael Dick, Hamburg
[...] Nichts dagegen, wenn jemand den Pazifismus von Horst-Eberhard Richter nicht mittragen kann – aber bei den Argumenten, mit denen Udo Knapp da um sich wirft, frage ich mich, ob der abgedroschen wirkende Pazifismussermon von Richter nicht wesentlich mehr Realitätssinn offenbart als das Geschreibsel des ex-grünen Ober-Realos. Grauenhaft wird es schon da, wo Knapp die derzeitige Realität beschreibt und jegliche Kritik daran wie auch jedweden Ansatz einer Zukunftsvision vermissen läßt. Zusammenfassen läßt sich das wohl in dem Motto: „Die Welt ist schlecht. Aber das hat schon seine Richtigkeit.“
Nach der Hälfte des Textes wird aus dem „Realo“ Knapp nun der fundamentalistische Verteidiger konservativer Politikvorstellungen. Da wird der Nationalstaat plötzlich zum Garanten für Menschenrechte – kein Wort davon, daß in Deutschland gerade Menschenrechte wie das Asylrecht und die Rechtsweggarantie abgeschafft werden; kein Wort von der Verfolgung ethnischer Minderheiten, die in den neugegründeten Nationalstaaten in brutalster Weise um sich greifen. Und nun soll also die EG zum Nationalstaat werden – ein Bollwerk Europa gegen den Rest der Welt. Schließlich das Plädoyer für Nato und ein UN-Gewaltmonopol, und die Deutschen sollen auch wieder kräftig mitmischen. Der größte Hammer ist aber der Satz, in dem Knapp unverhohlen schreibt, die Sache mit dem „bösen Deutschen“ hätte mit der heutigen BRD nichts mehr zu tun. Es braucht wirklich nicht viel Beobachtungsgabe, um zu sehen, wie sich die Naziglatzen in einem Tempo vermehren wie die Nashörner in Ionescos Roman „Rhinocéros“.
Fazit: Udo Knapp hat nicht nur jeglichen Realitätssinn verloren. Er sollte sich auch mal eine neue Brille kaufen. Klaus Huber, Heidelberg
Von einem Ende der Ideologien, wie Udo Knapp es beschreibt, kann doch keine Rede sein. Das beste Beispiel dafür ist die von ihm propagierte „planetarische Politik“, deren Credo im Kern darin besteht, die für einen Wirtschaftserfolg der westlichen Industrienationen notwendigen Millionen von Menschenopfern unter anderem mit der für humanitäre Zwecke benötigten militärischen Überlegenheit des Westens zu rechtfertigen. Schließlich können sich nur die reichen Industrienationen modernste High-Tech-Produkte der Rüstungsindustrie in großem Umfang leisten; darüber hinaus gedeihen humanitäre Prinzipien nur in reichen Zwei-Drittel-Gesellschaften so stark, daß sie Eingang in die Außenpolitik dieser Länder finden können. Die von Knapp geforderte „Kenntnisnahme der historischen Realität“ – besser: Akzeptanz des Bestehenden – als Indiz für eine Gesinnung, die Frieden und Menschenrechten eine Chance geben will, diskreditiert all jene, die keine Opportunisten sind.
Wenn sich für jemanden die demokratische Stabilität Deutschlands ausschließlich an der gleichberechtigten Rolle unter anderen westlichen Staaten und an der Teilnahme an Kampfeinsätzen innerhalb von Militärbündnissen mit anderen Staaten zeigt, so wird man fragen dürfen, wes Geistes Kind dieser Mensch ist. Zumal dann, wenn er außerdem der Meinung ist, Deutschland müsse Europa „nach Osten öffnen“. Anhaltspunkte für das politische Bewußtsein von Knapp sind die ehemalige Mitgliedschaft bei den Grünen und seine Vorliebe für die Metaphern „planetarische Politik“ und „Weltinnenpolitik“. Selbst dann, wenn man von ihm, wie ich, noch nie etwas gehört hat, wird man annehmen dürfen, daß ihm die Abstraktion „Gattung Mensch“ wichtiger ist als die konkreten Individuen aus Fleisch und Blut (schließlich tangieren ihn regionale Kriege vor allem deswegen, weil sie sich zu weltvernichtenden Kriegen auswachsen können). Es ist auch kein Widerspruch, wenn er dabei insgeheim an den Erhalt seiner Privilegien gedacht hat; schließlich ist er ein bürgerlicher Ideologe. Friedemann Schwarz, Mitglied
der Ökologischen Linken,
Bremen
Endlich: Zusammen mit der taz ohne Gewissensbisse auf seiten der Sieger (der Krieger, der Deutschen, der Männer) – alles andere ist „belanglos“, „Musik von gestern“ (wenn überhaupt). Lars Möller, Weyher
[...] Ich wäre viel eher geneigt, Udo Knapps Argumente für einen Nationalstaat Europa auf mich wirken zu lassen, wenn er nicht den Antimilitarismus mit dem Vorschlaghammer angriffe. Wie soll mensch da noch Argumente austauschen? Etwa, daß es „normale“ Nationalstaaten nicht gibt (wie auch in der taz schon voller Ungeduld behauptet), sondern daß jeder Nationalstaat seine Leichen im Keller hat – und deswegen besser das Militär abbaute. Warum bitte sollte die „normale“ Verantwortung Deutschlands nicht darin bestehen, sich phantasievoll Gedanken über nichtmilitärisches Eingreifen in Konfliktherde zu machen? Von gestern scheint es, daran zu erinnern, daß die Armeen des Herrn Knapp uns allenfalls gegen den Ansturm der Unterdrückten und Verhungernden verteidigen sollen, deren Lage durch unsere Wirtschaftspolitik verursacht ist. H.-E.Richters Argument, daß wir den Kriegsherren im Ausland erst die Waffen geliefert haben, mit denen sie uns bedrohen, ist Knapp noch nicht einmal eine Entgegnung wert. [...] Gerd Büntzly, Heiligenroth
Man muß ja nicht unbedingt der Meinung von Richter sein. Immerhin könnte man sich in einer „Replik“ auf seinen Artikel mit seinen Argumenten auseinandersetzen. Genau das lohnt sich für Udo Knapp aber nicht, da Richter sowieso keine „brauchbaren Argumente“ habe. So begnügt er sich damit, Richter insgesamt dreimal „beleidigtes“ Verhalten wegen der Nichtbeachtung seiner „moralischen Maßstäbe“, „eine sauer aufgeplusterte Moral“ und schließlich „schal gewordenen Moralismus“ zu attestieren. Im übrigen bringt er seine eigenen Gedanken zu Papier.
Diese gipfeln unter anderem darin, daß Deutschland als „Nationalstaat“ nun seiner Rolle als entscheidende „Mittelmacht“ in Europa gerecht werden müsse. – Mittelmacht? Meines Wissens wurde dieser Ausdruck bisher ausschließlich zur Bezeichnung des Deutschen Reichs und Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg verwendet. Ein Freudscher Versprecher? Bewußt gewählte Formulierung? Jedenfalls wohl ganz aufschlußreich! Andreas Unger, Berlin
[...] Herr Richter hat also eine „sauer aufgeplusterte Moral“, seine Musik „ist von gestern“ und „belanglos“. Da frage ich mich doch erst einmal, warum Sie sich dann so echauffieren müssen. Und vor allem frage ich mich, warum Sie, der Sie doch nie so richtig linksradikal gewesen sind, so tief in die Kiste der ML-Sprachlosigkeit greifen:
–ein fester Werterahmen steht „weniger als je zuvor“ zur Verfügung.
–der Mensch erweist sich „als unberechenbarer denn je zuvor“.
–Regionalkriege haben „immer unmittelbarere Scharniere“.
Wissen Sie, wer zu solchen – nicht nur sprachlich – mißglückten Komparativen greift? Wer verkündet, was er für „wahr“ (Knapp) hält. Vor allem aber der, dem die Begriffe fehlen, um zu beschreiben, was ist bzw. was er für das hält, was ist. Sie dürften sich eigentlich noch erinnern, daß es schon vor zehn oder 20 Jahren agitatorisch immer schlimmer und schlimmer geworden ist, weil der Alltag der real existierenden Gesellschaften die Menschen nicht zur Revolte drängte.
Eins stimmt allerdings hoffnungsfroh: Der „immer skurriler werdende“ Herr Dr.Knapp sitzt in Wolgast weit genug von den Schalthebeln der „immer planetarischer werdenden Politik“ weg. Richard Kelber, Mitglied des Rates der Stadt Dortmund
[...] Gegen Richters sozialpsychologischen Ansatz der Entschleierung militaristischer Handlungsmanie setzt Knapp seine „planetarische Realität“. Kein Wort wird darüber verloren, aus welchem Grund denn „die Realität“ jede Moralität und Vernünftigkeit verloren hat und der Krieg aller gegen alle die Prämisse einer allein noch denkbaren nationalstaatlichen Machtpolitik sein soll.
Knapps Artikel scheint mir ein Musterbeispiel dafür zu sein, in welcher Weise heute mit tönenden Worten vernünftige Argumente zugedeckt und dann zum Verstummen gebracht werden sollen. Richter dagegen macht konkret, mit welchen nichtmilitärischen Mitteln der globalen Zerstörung Einhalt geboten werden kann und wie derzeitige politische Strategien zu entmilitarisieren sind. Allerdings scheint mir die Hoffnung, auf eine demokratisierende UNO zu setzen und auf die Umlenkung ihrer finanziellen und Umorientierung ihrer politisch-geistigen Mittel zu warten, nur auf längere Sicht erfüllbar zu sein. Eine Demokratisierung würde das Recht und die Fähigkeit für die Entscheidung einer Mehrheit souveräner, das heißt selbst demokratisch verfaßter und politisch-ökonomisch unabhängiger Staaten bedeuten.
Es gibt gegenwärtig leider kein universelles Heilmittel, um die globalen Probleme und die weltweite politisch-moralische Verwirrung zu beheben. Wir können immer wieder nur bei uns selbst im eigenen Land mit einer Besserung der Zustände beginnen. Und das heißt, die realistischen Forderungen von Horst-Eberhard Richter zu unterstützen und darüber hinaus zu fordern: Ächtung des Waffenhandels und aller Rüstungsexporte, das bedeutet, im Vorfeld schon, die Schaffung sinnvoller und sinngebender Arbeitsplätze; wirkliche Verständigung mit den Staaten Osteuropas; Integration ausländischer Mitbürger; keine weltweiten Einsätze deutscher Kampftruppen, am besten überhaupt keine Truppen, sondern Einsatz der BRD zur Sicherung des durch weltweite Rüstung, Unterentwicklung und Umweltzerstörung bedrohten Friedens. Dr.Volker Bialas, München
In einem Beitrag gelang es Udo Knapp, einen völlig neuen Lehrsatz der politischen Mathematik zu postulieren: zwei minus eins gleich null. Denn wenn er einerseits Horst-Eberhard Richter Befangenheit „in den einfachen Verhältnissen der weltumspannenden Blockkonfrontation“ vorwirft und andererseits die heutige Zeit als eine beschreibt, in der „keine Ideologien mehr Herzen und Hirne vernebeln“, so ist ihm offenbar selbst der Nebel in das Hirn gedrungen, mit der Auflösung des sich sozialistisch nennenden Machtblocks sei auch sein kapitalistisches Gegenstück verschwunden.
Die Meinung eines Udo Knapp, von dem Gremliza bemerkte, daß dort, wo dieser hingedacht hätte, sich kein Gras mehr zum Wachsen mehr überreden ließe, wäre für sich genommen nicht einmal tragisch. Doch leider repräsentiert er eine immer größer werdende Gruppe postlinker IdeologInnen, die, bei Bündnis90, den Grünen und auf den Meinungsseiten der taz, verbissen um die erste Reihe in der Trommlerkompanie der weltweiten freisozialen Marktwirtschaft kämpfen. Diese ist, wie auch Demokratie und, laut Vollmer, die gründlich durchzivilisierte Gesellschaft, in der Groß-BRD am besten entwickelt und muß darum, wenn es gar nicht anders geht, eben auch mit deutschen Soldaten in alle Welt getragen werden, auf daß letztere am Wesen der FriedensDemokratieMarktwirtschaftsBotschafter – in Panzern und Flugzeugen – genese. Olaf Bartz, Köln
[...] Was Knapp in seinem Artikel losläßt, ist genau jenes Gemisch aus vermeintlicher „Realpolitik“ und Arroganz gegenüber all denen, die diesen Kreislauf aus wirtschaftlicher/politischer Macht und militärischer Logik durchbrechen wollen, das ohne jede politische Phantasie bestehende Denk- und Machtstrukturen real konserviert.
Nur dann, wenn immer wieder Leute – scheinbar gegen die Realität – darauf hinweisen, daß die Menschheit im Beharren auf den derzeit salonfähigen „Konfliktlösungsstrategien“ nicht nur keine Konflikte lösen wird, sondern die eigene Lebensgrundlagen und sich selbst zerstört, nur dann wird es möglich sein, aus diesem Teufelskreis auszubrechen.
Knapp diffamiert all jene, die zuviel Verantwortungsgefühl haben, um sich abzufinden. Er beschimpft Richter in einer Weise, die vermuten läßt, Knapp habe sich sehr getroffen gefühlt. Richter hat, zwei Tage vorher, genau das als gefährliche Sackgasse beschrieben, was Knapp inzwischen propagiert.
Gewiß, Richter hat auch gestern schon beschworen, was die Vision von übermorgen ist; aber Knapps Argumentation ist von vorgestern. Friedemann John, Stendal
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