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Tod des Asylbewerbers Kwaku Adjei

Koalitionskrach zwischen SPD und Grünen nach dem Selbstmord des Asylbewerbers Kwaku Adjei/ Empörung bei der ghanesischen Gemeinde: „Ein Mensch wurde wie ein Tier weggeschmissen“  ■ Aus München Heide Platen

Die Nelken und Mimosen sind unter einer dünnen Eisschicht erfroren, die Grablichter umgestürzt. Unter dem steinigen Erdhaufen im Grab 163/33 am hinteren Ende des Münchner Westfriedhofs liegt Kwaku Adjei begraben. Ein kleiner Holzpflock mit der Nummer 120 markiert die Stelle. Der 35jährige Ghanese, ein streng gläubiger Methodist, hat sich am Mittag des 4.Januar an der Deckenlampe seines Zimmers im Asylbewerberheim im Stadtteil Moosach erhängt. Seine drei Mitbewohner fanden ihn, als sie am Nachmittag aus dem Sozialamt zurückkamen, wo sie ihre Wochen-Unterstützung abgeholt hatten. Seither wird dem toten Mann, Vater zweier Kinder in Ghana, die Aufmerksamkeit zuteil, die er zu Lebzeiten wohl hätte brauchen können.

Kurz nach seinem Tod begann die makabre Suche nach der Leiche des Kwaku Adjei. Die kleine „Ghana Community München“ wollte ihm ein würdiges Begräbnis mit der traditionellen Totenfeier ausrichten. Tägliche intensive Nachfragen bei der Polizei und beim Städtischen Beerdigungsinstitut, wann die Leiche freigegeben werde, blieben ergebnislos. Albert Osei-Wusu, selbst Ghanese und bei der Inneren Mission tätig, erinnert sich, daß sie immer wieder „auf später“ vertröstet worden seien. Zwei Stunden nach seiner letzten Anfrage beim Bestattungsinstitut am 14.Januar meldete sich eine Rentnerin bei ihm, die den Fall in der Zeitung mitverfolgt und den Namen Adjeis zufällig im Bestattungsregister des Westfriedhofs entdeckt hatte. Die in der Nähe wohnende Frau, die sich „ghanesische Begräbnis-Rituale“ erhofft hatte, wurde Zeugin davon, daß nur vier „Uniformierte“ den „kleinen Sarg“ begleiteten, der in ihr unziemlich erscheinender Eile versenkt und verscharrt wurde.

Osei-Wusu, der auch die ghanesische Gemeinde leitet, schildert die Erschütterung; viele seien in Tränen ausgebrochen, hätten sich hilflos und übergangen gefühlt. „Wir haben nichts mehr tun können.“ In einem Beschwerdebrief klagten sie „dieses ignorante und schlampige Vorgehen“ an, das „so offensichtlich keinerlei Rücksicht auf die menschlichen und religiösen Gefühle von etwaigen Hinterbliebenen genommen“ habe. Sie wandten sich außerdem an die ghanesische Botschaft und das Auswärtige Amt. Immerhin kam vom Bestattungsinstitut eine verspätete Entschuldigung. Direktor Wolfgang Haaser nannte den Vorfall „unglücklich“. Er wolle dafür Sorge tragen, daß so etwas nicht mehr vorkomme.

Die Rechtsanwältin und grüne Stadträtin Angelika Lex nannte dies „die einzige angemessene und korrekte Reaktion“. In einer Presseerklärung gingen die Grünen Mitte Januar auf Konfrontationskurs zum Koalitionspartner SPD: „Ausländerbehörde für Suizid verantwortlich“. Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD) stellte sich vor den zuständigen Leiter des Kreisverwaltungsreferats (KVR), den CSU-Mann Hans-Peter Uhl. In einer turbulenten Sitzung des Kreisverwaltungsausschusses forderte Kronawitter mit „ungewöhnlich lautem Gebrüll“ eine Entschuldigung von Angelika Lex. Seither ist der schon schwelende Streit um Uhl und die Asylpolitik zum offenen Eklat geworden. Schließlich sei in den Koalitionsvereinbarungen, so Angelika Lex, deutlich der „soziale und humane Vollzug des Ausländerrechts“ beschlossen worden. Außerdem sei ausgemacht gewesen, daß Uhl für die kommende Referentenwahl im Februar nicht wieder nominiert werde. Doch Anfang dieser Woche beschloß die SPD-Fraktion Uhls Wiederwahl mit 19 zu 18 Stimmen. Im Gegenzug wollen sich die Grünen heute auf einer Mitgliederversammlung das Votum für den Ausstieg aus der Koalition holen.

Während im Rathaus die Fetzen fliegen, versuchten Juristen, die Polizei und ein eilig einberufener Untersuchungsausschuß die komplizierten Vorgänge um den Freitod von Kwaku Adjei zu klären. Am 9.Dezember erhielt der im Oktober eingereiste Mann seinen Ablehnungsbescheid aus Zirndorf zugestellt. Eine Kopie ging an das Kreisverwaltungsreferat (KVR), am 15. legte Rechtsanwalt Franz Bethäuser beim Verwaltunsgericht Ansbach Widerspruch „mit aufschiebender Wirkung“ für seinen Mandanten ein. Sechs Tage später erreichte Adjei per Zustellungsurkunde ein mit Paragraphen gespicktes ultimatives Schreiben der Münchner Ausländerbehörde. Es forderte ihn in harschem Ton auf, binnen einer Woche auszureisen, da er sonst „festgenommen und abgeschoben“ werde. Seit Erhalt des rüden Schriftstückes sei Adjei, berichteten Mitbewohner, sehr bedrückt gewesen.

Das Schreiben, so die Grünen, sei menschenverachtend und rechtswidrig gewesen. Mit dem seit 1.Juli1992 in Kraft getretenen Asylbeschleunigungsgesetz sei für Abschiebungsbeschlüsse nur das Bundesamt in Zirndorf zuständig. Und nur dem zuständigen Verwaltungsgericht in Ansbach obliege die endgültige Entscheidung. Die Kommune sei nur noch für den Vollzug von Abschiebungen zuständig. Sie hätte sich von sich aus erkundigen müssen, ob Klage eingereicht worden sei. Das Schreiben solle, vermuten Uhls Gegner, verunsichern und Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Er selbst will es als „Information“ und – auf Anweisung des bayerischen Innenministeriums notwendige – „Beschleunigung“ für den hypothetischen Abschiebungsbeschluß verstanden wissen.

Uhl präsentierte außerdem einen im Spind von Adjei gefundenen Brief in englischer Sprache vom 22.Dezember, der nie abgeschickt wurde. Darin teilt der Mann der Ausländerbehörde auf Anweisung seines Anwaltes mit, daß dieser „einen Antrag Ref.AN17K924 5225 gemacht hat“, „voller Vertrauen, Ihr Kwaku Adjei“. So, argumentierte Uhl, schreibe niemand, der sich „von unserem Informationsbrief in den Selbstmord getrieben fühlt“. Ob Adjei – eine Verkettung unglücklicher Umstände – von einer Anwältin, die er kurzfristig konsultierte, eine falsche Auskunft erhalten hat, wie Uhl außerdem behauptet, bleibt vorerst im Dunkeln. Die Briefe mit den „Textbausteinen“, die Panik auslösen können, werden jedenfalls seit Dezember1992 von der KVR verschickt.

Der Ausländerbeauftragte der Evangelischen Kirche in Bayern, Diakon Werner Simon, griff in seiner Trauerrede bei der nachträglichen Gedenkfeier die Unsicherheiten auf. Ob die heimliche Beerdigung Absicht oder „Schlamperei im Zuständigkeitenwirrwarr“ gewesen sei, „wissen wir nicht“. Aber er erinnerte daran, daß Ämter einen Ermessensspielraum haben und „großzügig und menschlich“ handeln könnten. Es gebe, stellte er fest, „kein deutsches und kein ghanesisches, sondern nur menschliches Blut“.

In der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber in der Untersbergerstraße drängen sich die Menschen schon am frühen, kalten Morgen. Albert Osei-Wusu kümmert sich von seinem kleinen Arbeitszimmer aus um Flüchtlinge aus Afrika. Der Ghanese lebt seit 16 Jahren in Deutschland und sieht die Fluchtgründe aus seiner Heimat differenziert. Die Verfolgung politischer Gegner durch den seit 1981 ununterbrochen herrschenden und Anfang dieses Jahres mit umstrittener Mehrheit gewählten Präsidenten, den Ex-General John Rawlings, halte sich in Grenzen, sei eher subtil. Auch die wirtschaftliche Situation verbessere sich langsam. Aber es gebe noch immer viel Armut. Die jungen ghanesischen Männer, überhaupt die Westafrikaner, seien traditionell „abenteuerlustig“. Es gehöre zum Erwachsenwerden, in andere Länder zu reisen. Europa aber sei, der britischen Sozialisation und dem von den Kolonisatoren übernommenen Schulsystem geschuldet, das „Traumziel“, ein Statussymbol: „Jeder mit Schulbildung möchte wissen, wie diese geistige Heimat aussieht.“ Sie kämen „mit großen Hoffnungen, wollen lernen und sich bewähren“. Dies seien „immaterielle Werte“, aber: „Die machen sich auch ein falsches Bild von Europa.“

Ob Adjei sich, wie vermutet, bei Schleppern verschuldet habe, weiß Osei-Wusu nicht. „Wir hören viel“, sagt er bedächtig. Aber bekannt sei eine speziell ghanesische Schlepperbande bisher nicht. Es könne auch sein, daß der Tote sich für das Flugticket „einfach so Geld geliehen“ habe. Auch er kann sich den Selbstmord nicht erklären. Er ist sicher, daß in Ghana auch arme Rückkehrer wieder aufgenommen werden: „Wenn ich kein Bett mehr habe, schlafe ich bei meinem Bruder.“ Selbstmorde seien sehr selten. Offensichtlich aber habe Adjei „unter sehr hohem Druck“ gestanden: „Niemand verläßt seine Heimat freiwillig. Fluchtgründe müssen immer individuell, niemals pauschal gesehen werden.“

Eine würdige Trauerfeier, so Osei-Wusu, sei, ebenso wie das Fest zur Geburt, ein „wichtiger Bestandteil unserer Kultur“. Diese Willkommens- und Abschiedszeremonien können, je nach Einkommen, mehrere Tage dauern. Empört habe ihn, daß hier „ein Mensch einfach weggeschmissen wurde wie ein totes Tier“. Die Feiern für Kwaku Adjei fanden zwei Wochen nach seinem Tod statt. Am Vorabend des 17.Januar traf sich die ghanesische Gemeinde zum traditionellen Fest, das, so Osei-Wusu, „Europäern vielleicht etwas ungewohnt vorkommt“. Diakon Simon fand das nicht. „Ein Trankopfer“, vermutet der barocke bayerische Kirchenmann, „war das wohl auch.“ Er jedenfalls habe sich dort „sehr wohl, menschlich geborgen und gut aufgehoben gefühlt“. Am Grab standen dann über 500 Menschen und nahmen Abschied von dem ihnen unbekannten Toten.

Zur Trauerfeier in die Moosacher Heilig-Geist-Kirche kam auch Prominenz, darunter der SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Glotz. Nur ein karges, schmales Lattenkreuz, ein schwarzes Tuch und ein Foto des Toten schmückten den Altar.

Diakon Simon warnt eindringlich vor dem immer kälter werdenden „administrativen Klima“: „Ganze Familien haben uns gegenüber erklärt, vor einer Abschiebung würden sie eher gemeinsam in den Freitod gehen.“ Inzwischen ist ein zweiter ungeklärter Tod eines Asylbewerbers zu verzeichnen. Ein 39jähriger Kenianer sprang am 19.Januar um Mitternacht vor eine S-Bahn. Auch er hatte einen Ablehnungsbescheid erhalten, auch er hinterließ keinen Abschiedsbrief, auch ihm war vorher „nichts anzumerken“ gewesen.

Eve Koller arbeitet in einer Bürgerinitiative, die sich um Flüchtlinge kümmert und seine Beerdigung ausrichtet. Eine Überführung sei, sagt sie mit Bedauern, „zu teuer“ gewesen. Auch sie vermutet: „Das geht jetzt erst richtig los und wird immer schlimmer.“ Früher hätten die Abgeschobenen durch die Dauer des Asylverfahrens „wenigstens manchmal eine Starthilfe“ in ihre Heimat mitnehmen und eventuelle Schulden bei Schleppern bezahlen können: „Jetzt müssen wir sehen, wie wir das – auch seelisch – auffangen.“ Diakon Simon geht einen Schritt weiter. Er schlägt vor, den Flüchtlingen zum neuen Anfang in ihrer Heimat – zum Beispiel durch günstige Existenzgründungskredite – zu helfen.

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