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Wundervoll und grauenhaft

■ ZeitzeugInnen besuchten den Film zur Ausstellung „Der Jüdische Kulturbund“

Wir spielten die Meistersinger. Und beim Endchor „Wachet auf“ stand plötzlich die Gestapo unter den Zuschauern auf und machte den Hitlergruß. Plötzlich standen alle auf und machten es, auch die Sänger und Schauspieler auf der Bühne. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich es auch gemacht habe. Das erzählt die Jüdin Ruth Stein, heute New York, in dem Film „Es waren wirklich Sternstunden“ von Henryk M. Broder und Eike Geisel über den Jüdischen Kulturbund 1933-1941, der am Montag abend im Überseemuseum gezeigt wurde. Anwesend: die beiden Zeitzeugen Ruth Anselm (83) aus New York und Ernst Lenart (80) aus München.

Drinnen herrschte die Illusion

Der Kulturbund und die übrige Welt: Das war drinnen und draußen. Draußen gab es für die Juden keine Engagements mehr. Draußen herrschten Verbote, Überwachung, Bedrohung. Drinnen herrschte die Illusion, bis zum schrecklichen Ende. Drinnen

hier bitte

die beiden alten

Menschen

Ruth Anselm, New York, Ernst Lenart, MünchenFoto: T. Vankann

konnte man sich künstlerisch entfalten und vergessen.

Für viele der Künstler war das Engagement im Jüdischen Kulturbund ein echter Aufstieg. Es gab sämtliche Kunstsparten. Man war euphorisch. Ernst Lenart: „Haben Sie gesehen, was die Nazis unter Kunst verstanden? Das war doch grauenhaft. Da drinnen konnten wir alles machen.“

Neben dem Haupthaus in Berlin Kreuzberg gab es den Jüdischen Kulturbund in vielen ande

ren deutschen Großstädten. Es gab politische Mitglieder und unpolitische. „Ich hätte sie am liebsten angespuckt“, so Ruth Anselm. „Sie haben geglaubt, daß es ewig weiterbesteht. Das ist ihre primitive Idee gewesen, sie waren wirklich zu blöd.“

Bis zum Schluß herrschte bei vielen großer Optimismus über die Zukunft des Jüdischen Kulturbundes. Sein Leiter Kurt Singer entließ Ruth Anselm 1938, weil sie versucht hatte, ins Ausland zu gehen (was ihr später auch gelang): „Für Künstler dieser Pflichtauffassung ist kein Platz im Jüdischen Kulturbund.“ Singer wurde im KZ ermordet.

Es war wundervoll, und es war grauenhaft, so Stimmen aus dem Film. Wir waren das einzige Orchester in Deutschland, das Mendelssohn und Mahler spielen durfte. Deutsche Komponisten durften wir hingegen nicht spielen. Und nach dem Anschluß Österreichs gab es bei uns auch keine Mozart-Opern mehr. — Die besten Künstler waren bei uns versammelt. Die Gestapo genoß das Privileg, uns als einzige Deutsche anschauen zu dürfen. Je schlechter die Zeiten, desto feiner war das Publikum gekleidet, desto lauter lachte es und desto eher weinte es. Es war gespenstisch. Der Kulturbund wurde von den Nazis gehegt und gepflegt, um dem Ausland zu zeigen, wie gut es den Juden gehe.

Die Aufgabe, jüdisches Kulturgut zu pflegen, empfanden die Mitglieder des Jüdischen Kulturbundes als schwere Aufgabe. Fühlten sie sich doch zunächst als Deutsche und nicht als Juden, waren mäßig bis gar nicht religiös und hatten zum Teil für Deutschland im 1. Weltkrieg gekämpft und Abzeichen erworben. Ernst Lenart: „Die jüdische Intelligenz war politisch benebelt. Sie wollten so gute Deutsche sein.“ Und über die Deutschen sagt er: „Es gab keine kochende Volksseele. Die Pogrome waren arrangiert.“

Nach der Pogromnacht wurde der Jüdische Kulturbund gezwungen, weiterzumachen. Gespenstische Vorstellungen, aber das Publikum tobte. Bis sich die KünstlerInnen auf einer Bühne im Lager Westerbork wiederfanden, dem Sammellager auf dem Weg nach Bergen-Belsen. Theater, Tanz und Gesang vor einem Publikum in Lumpen. Lachsalven. Die Kapelle spielte Marschmusik, „um die klapperigen Figuren mit dem Rhythmus zusammenzuhalten“, und abends Jazz für die SS, „die waren ganz närrisch danach.“

Die Suche nach den Zeitzeugen des Jüdischen Kulturbundes war ein Wettlauf mit der Zeit. Ruth Anselm: „Wir waren die Jüngsten. Die meisten müßten heute über 100 sein.“ Beate Ramm

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