: Haus in Rostock brannte — Polizei verhandelte
■ Schweriner Hundertschaftsführer widerlegt Einsatzleiter zu den Rostocker Pogromen
Schwerin (taz) – Der Befehl, seine Leute von der ZASt (Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber) abzuziehen, könne keinesfalls aufrecht erhalten worden sein, weil die Lage ruhig war. „Mit zwei defekten Wasserwerfern und 500 Störern im Rücken, die massiv angriffen, war die Lage nicht ruhig“, sagte der Schweriner Hundertschaftsführer Joachim Wenn-Karamnow gestern vor dem Rostock- Untersuchungsausschuß. Dies habe er an die Einsatzzentrale gefunkt. In einem solchen Moment müsse der Rückzugsbefehl „einen anderen Grund gehabt haben“. Welcher, blieb unklar.
Einen direkten Zusammenhang zwischen den Verhandlungen um einen möglichen Waffenstillstand und dem Rückzugsbefehl wollte Wenn-Karamnow gleichwohl nicht herstellen. Als er in der Rostocker Brandnacht vom 24. August 1992 jedoch wieder in der Polizeiinspektion Lütten-Klein eintraf, sagte ihm Einsatzleiter Jürgen Deckert, man stehe „in Verbindung mit den Störern“. Sie böten eine „45minütige Pause“, während der sie sich davon überzeugen wollten, daß die ZASt geräumt sei. Das war gegen 21.40 Uhr. Deckert wollte wissen, ob Wenn-Karamnow entsprechende Lautsprecherdurchsagen über seine Wasserwerfer veranlassen könne.
Joachim Wenn-Karamnow von der Schweriner Bereitschaftspolizei sollte gestern jene anderthalb Stunden in der Nacht vom 24. August 1992 klären helfen, in denen die Polizei untätig blieb. Am Ende hatten die Gewalttäter die ZASt in Brand gesteckt. Über 100 VietnamesInnen, ein ZDF-Team und einige Deutsche waren in dem ebenfalls brennenden Wohnblock nebenan eingeschlossen. Die Linke Liste/PDS fehlte gestern im Ausschuß – sie hatte das Gremium Mitte der Woche unter Protest verlassen. Die SPD war verschnupft, weil Ministerpräsident Seite nicht „umgehend“ geladen worden war und verließ die Sitzung vorzeitig.
Gegen 20.15 Uhr seien auf Befehl von Deckert alle polizeilichen Maßnahmen zum Schutz der ZASt eingestellt worden, schilderte Wenn-Karamnow gestern die Brandnacht. Deckert habe ihm persönlich befohlen, den Rückzug der Hamburger Hundertschaften zu sichern und sich dann ebenfalls zurückzuziehen. Etwa zur gleichen Zeit gab die Einsatzleitung den Rückzugsbefehl auch über Funk an die Hamburger und die Schweriner Hundertschaft. Dies bestätigte Wenn-Karamnow auf Nachfragen ausdrücklich und widersprach damit Deckert, der vor dem Ausschuß gesagt hatte, Wenn-Karamnow hätte die Hamburger ablösen sollen und mit einem entsprechenden Vermerk auch ein Funkprotokoll der Hamburger handschriftlich „nachgebessert“.
Aktenfund auf der Müllkippe: Ministerium schuld
Der Datenschutzbeauftragte Mecklenburg-Vorpommerns, Werner Kessel, sagte vor der Presse in Schwerin, bei der „Art und Weise, wie im Innenministerium mit Akten umgegangen würde, wäre es verwunderlich, wenn vertrauliche Papiere nicht in unbefugte Hände gelangen würden“. Kessel hatte am Donnerstag die Akten-Entsorgung im Schweriner Innenministerium kontrolliert, nachdem die SPD am Mittwoch der erstaunten Öffentlichkeit Ministeriums-Akten präsentiert hatte, die der Schriftsteller Horst Matthies vor knapp einem Jahr auf einer Müllkippe gefunden hatte (siehe taz von gestern). In allen Abteilungen würden Papierabfälle schlicht in grüne Papierkörbe geworfen, so Kessel.
Kessel sagte, nach dem Müllkippen-Fund habe er im Innenministerium „nach dem Loch im Zaun“ gesucht. Sein Ergebnis laute, „daß es keinen Zaun gibt“. Verantwortlich sei eindeutig der Innenminister. Der „völlig desolate Zustand“ der ministeriellen Papier-Entsorgung hätte bereits die Amtszeit des ersten Innenministers Georg Diederich geprägt, habe aber auch unter Lothar Kupfer weiterbestanden und „dauert an“.
Die SPD im Schweriner Schloß dürfte die Aktenfunde zu weiteren Attacken gegen die Regierung nutzen, denn die Entsorgungslage in den übrigen Ministerien dürfte nicht viel besser sein. Des neuen Innenministers Rudi Geil (CDU) erste Amtshandlung sollte – wie von seinem Schweriner Ministerium bereits angekündigt – in der „Anschaffung eines Aktengroßvernichters“ bestehen. Bettina Markmeyer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen