: Freie Fahrt für Viren und Bakterien?
■ Der Bundesminister für Gesundheit warnt leider nicht vor allen Gefahren. Über Arbeitsschutz-Maßnahmen werden die Mitarbeiter in vielen Gentechnik-Laboren gar nicht oder nur ungenügend informiert...
-Maßnahmen werden die Mitarbeiter in vielen Gentechnik-Laboren gar nicht oder nur ungenügend informiert. Hamburger Kneipen werden sorgfältiger kontrolliert als die medizinischen Institute.
Bei vielen Debatten über die Gentechnologie geht es um ihre Folgen für die Umwelt und die Verbraucher. Aber auch Gegner der Genforschung und -manipulation haben sich bisher kaum um die Menschen gekümmert, die heute schon täglich direkt den möglichen Gefahren ausgesetzt sind.
In Hamburg arbeiten etwa 800 Personen in gentechnischen Laboratorien. Die meisten von ihnen in der medizinischen Forschung, wo sie mit einer Vielzahl von Krankheitserregern wie Viren und Bakterien umgehen müssen. Wachsende Bedeutung hat die Krebsforschung. In Hamburg wird unter anderem am Heinrich-Pette-Institut mit onkogenen Viren gearbeitet, die auch die Fähigkeit besitzen, beim Menschen Krebs zu erzeugen.
Beim Umgang mit krankheitserregendem (pathogenem) Material können die Erreger über bestehende Hautwunden oder durch Verletzungen der Haut mit spitzen Laborgegenständen wie Kanülen übertragen werden oder „von der Hand in den Mund“ gelangen. Darauf ist jedoch nur ein geringer Teil der Infektionen in biologischen und medizinischen Laboratorien zurückzuführen, wie eine Studie der Amerikaner Edward Sulkin und Robert Pike ergab. Danach können weniger als 20 Prozent der Krankheiten auf einen Unfall zurückgeführt werden. Die Wissenschaftler schlossen daraus, daß die Hauptquelle für Ansteckungen keimhaltige feinste Flüssigkeitströpfchen oder Staubteilchen in der Luft sind. Diese Aerosole bilden sich immer dann, wenn Viren oder Bakterien im Labor bewegt werden und so in die Atemluft gelangen können.
In den gentechnisch arbeitenden Laboratorien besteht somit eine permanente Infektionsgefahr. Zudem ist die ungewollte Neubildung genetisch veränderter Krankheitserreger nicht ausgeschlossen.
„Kriterien, nach denen Gefährdungen für den Arbeitnehmer in den Laboratorien beurteilt werden könnten, sind bislang erst vereinzelt erarbeitet worden“, bemängelte Gregor Buschhausen-Denker vom Hamburger Amt für Arbeitsschutz auf dem Workshop „Arbeitsplatz Gentechnik“ Anfang Februar in der Uniklinik. Die Aufgabe seines Amtes ist laut Gentechnikgesetz, die in der Genforschung Arbeitenden vor möglichen Gesundheitsgefahren zu schützen. Außerdem soll die Behörde überwachen, ob die Arbeitsschutzvorschriften in den gentechnischen Einrichtungen Hamburgs eingehalten werden. Vor allem beim Umgang mit pathogenen oder potentiell pathogenen Bakterien, Viren und anderen Organismen. Aber eine Überwachung, die sich nur auf die spezifischen Anforderungen der Gentechnik bezieht, hält Buschhausen-Denker für unzureichend: „Gerade im Labor wird mit einer Fülle von täglich wechselnden Gefahrstoffen umgegangen.“
Geregelt wird der Arbeitsschutz im Genlabor durch Verordnung des Gentechnikgesetzes. Das lasse sich nicht ohne Probleme umsetzen, so Buschhausen-Denker: „Es hat sich gezeigt, daß die nicht gerade übersichtlichen und komplexen Regelungen des Gentechnikgesetzes in der Praxis kaum bekannt sind oder oft nicht verstanden werden.“ Noch deutlicher wird Gesundheitssenator Ortwin Runde: „Die Bundesregierung hat für den Bereich Gentechnik ein rechtliches Rege-
1lungsinstrumentarium geschaffen, das den Ansprüchen eines vorsorgenden Gesundheitsschutzes nicht gerecht wird.“ Um so wichtiger sei es daher, daß wenigstens die vorhandenen Sicherheitsanforderungen zum Schutz der in diesem Bereich Beschäftigten eingehalten werden.
Aber das scheint nicht in allen Hamburger Genlaboratorien der Fall zu sein. Arbeitsschützer Buschhausen-Denker beanstandet vor allem die mangelnde Unterweisung der Arbeitnehmer. Alle, die im Labor tätig sind, auch Reinigungs- und Hilfskräfte, müssen laut Gesetz vom Arbeitgeber regelmäßig über Sicherheitsmaßnahmen unterrichtet
1werden. Der überwiegende Teil der Beschäftigten sei aber über Regeln des Arbeitsschutzes unzureichend oder gar nicht informiert, kritisiert Buschhausen-Denker.
Dazu komme der zunehmende Arbeitsdruck. „Nicht zuletzt durch die finanziell eingeschränkte Forschungsförderung wird in den Forschungslaboratorien die Angst um den Arbeitsplatz immer größer. In oftmals sehr kleinen Laboratorien arbeiten immer mehr Menschen, benutzen dieselben technischen Geräte, so daß „...allgemeine Arbeitsschutzmaßnahmen immer weniger beachtet werden“. Buschhausen-Denker berichtet von Arbeit-
1nehmerInnen, die in Kellerlaboren arbeiten müssen oder deren Tätigkeit sich zum Hauptteil auch auf den Gängen und Fluren der Institute abspielt.
Ein weiterer Kritikpunkt Buschhausen-Denkers: Es fehlen im Gentechnik-Gesetz Regelungen bezüglich wiederkehrender Prüfungen. „Während die Schankanlage in jeder Gaststätte regelmäßig kontrolliert werden muß, enthält das Gentechnikgesetz nicht einmal Verordnungsermächtigungen für regelmäßige Laborüberprüfungen.“ Die Überwachung vor Ort, also im Labor, müsse verstärkt werden. Vor allem deshalb, weil die schädlichen Folgen mangelnder Sicherheit kaum begrenzbar seien, anders als beim Umgang mit gefährlichen Chemikalien. Dies gilt für den Umgang mit biologischem Material erst recht dann, wenn es gentechnisch verändert wurde. Neben den direkt Betroffenen könnten beispielsweise durch Ansteckung auch die Familienangehörigen oder Bekannten Schaden nehmen. Im schlimmsten Fall kann es eine Epidemie geben. Denn im Unterschied zu anderen Gefahrenquellen haben Bakterien und Viren die Fähigkeit, sich in Wirtsorganismen, also auch im Menschen, zu vermehren. Eine anfangs kleine Zahl von Krankheitserregern kann sich in kurzer Zeit so weit vermehren, daß der oder die Infizierte sie an andere überträgt.
Ein Labor sei eben kein geschlossenes System, aus dem nichts herauskommt. Auch wenn dies der technokratische Begriff „gentechnische Anlage“ suggeriere, erläutert Buschhausen-Denker. „Ich habe bis zum heutigen Tage in Hamburg noch niemanden kennengelernt, der das Labor, in dem er arbeitet, als gentechnische Anlage bezeichnen würde.“ Über Laborkittel, die neben der sonstigen Kleidung hängen, oder den direkten Hautkontakt können die in Genlaboren Beschäftigten Krankheitskeime aus ihrem Arbeitsbereich nach draußen tragen. Die Schlußfolgerung des Arbeitsschutz-Experten: „Wer den Beschäftigten schützt, schützt auch die Umwelt.“ Vera Stadie
Mit einer Broschüre „Arbeitssicherheit im Genlabor“ liefert das Amt für Arbeitsschutz den in gentechnischen Laboratorien Beschäftigten konkret umsetzbare Handlungsanweisungen. Die Broschüre kann kostenlos bezogen werden: 29188-3134.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen