: Die Stasi – das Patriarchat im Patriarchat
■ Interview mit einer ehemaligen Hauptamtlichen zur Arbeit von Frauen im MfS
Frau A.B., Mutter von drei Kindern, hat 17 Jahre im Rang eines Offiziers beim MfS gearbeitet. Sie war für die Versorgung und Materialbeschaffung für Stasi-Einrichtungen zuständig. Heute ist sie Mitglied im Unabhängigen Frauenverband und in der PDS.
taz: Wie haben Sie im MfS den Frauentag begangen?
Frau A. B.: Der war zum Lachen. Man arbeitete einen halben Tag, dann gab es Blümchen für alle Frauen und eine Rede vom Chef über die Rolle von Clara Zetkin und August Bebel und „wir danken allen Frauen und Müttern“. Dann servierten ein paar Männer den Frauen Kaffee und Kuchen und versuchten sich im Small talk. Mir hat es immer gegraust.
Wie wichtig waren Frauen im MfS?
Na ja, die ganzen Leitungsposten waren nur von Männern besetzt. Ein bestimmter Frauenanteil allerdings mußte überall erbracht werden, genauso wie ein bestimmter Arbeiteranteil überall Pflicht war. Im Politbüro gab es keine einzige Frau. Aber die Funktionen, die mit viel Arbeit und wenig Ehren verbunden waren, wurden immer von Frauen ausgefüllt. Frauen wurden, weil sie ja die Kinder kriegten, in Funktionen eingesetzt, die nicht wirklich wichtig waren. Sie konnten besser sein als die Männer, wurden aber erst befördert, wenn sie aus dem gebärfähigen Alter heraus waren und immer noch Ambitionen hatten.
Hat die Stasi das sozialistische Frauenbild stark geprägt?
Nein, das glaub' ich nicht. Die dort Arbeitenden wurden nicht als Frauen wahrgenommen, sondern als funktionierende Schräubchen. Die Begrüßung der Chefs lautete „Guten Tag, Genossen Offiziere“. Genossinnen gab es nicht, auch die Hauptfrau gab es nur in Witzen. Auch in den anderen bewaffneten Organen und der ganzen Gesellschaft war die Frau als weibliche Person ausgeklammert. Sie war verdächtig, wenn sie nur berufstätig oder nur Mutter war; es mußte beides sein. Das Leitbild war die Mutti mit zwei oder drei Kindern. Als Mutter wurde sie anerkannt. Das MfS spiegelte einfach noch ein bißchen skurriler die ganze Gesellschaft wider. Die Frauen dort haben in einem doppelten Patriarchat gelebt: in dem der Gesellschaft und in dem des Militärs.
War dieses militärische Getue nicht oft lächerlich?
Es schien, als spielten sie Abenteuer, weil sie nichts anderes hatten. Aber sie meinten es schon ernst. Laut Dienstvorschrift mußte man alle sechs Wochen zur militärischen Ausbildung. In der Praxis aber geschah das bei den Frauen des „rückwärtigen Dienstes“ höchstens zwei- bis dreimal im Jahr und mehr pro forma. Wir mußten dann Pistole schießen üben. Die Ergebnisse auf dem Schießplatz waren immer schrecklich schlecht. Ich kann mir vorstellen, daß die Leute vom Personenschutz viel öfter ran mußten. Aber wozu sollten die Köchinnen schießen lernen?
Warum haben Frauen so etwas mitgemacht?
Frauen sind eher bereit, solche Situationen zu ertragen. Ich habe das an mir selbst gemerkt: drei Kinder, Haushalt, volle Berufstätigkeit. Irgendwann kommt jede Frau an den Punkt, wo sie an der Gesellschaft zweifelt – und dann doch wieder an sich. So ist es auch mir immer wieder gegangen. Auch verstehen es die Männer, Frauen davon zu überzeugen, daß es ihr privates Problem ist, wenn sie nicht zurechtkommen.
Wann hat sich das bei Ihnen geändert?
Im Herbst 1989. Ich hatte damals das Empfinden, es ist eine große Befreiung und ein Aufatmen im Land. Ich dachte, jetzt kommt endlich eine Zeit, wo richtiger Sozialismus gemacht wird und nicht mehr dieses doppelmoralische Heucheln. Natürlich war das naiv, aber das waren doch sagenhaft dichte Wochen. Ich dachte, jetzt müßten diese verdammten Männer endlich merken, was sie die ganze Zeit für einen Mist gemacht haben, und endlich auch Frauen das Sagen kriegen.
Fühlen Sie sich schuldig wegen Ihrer Arbeit im MfS?
Ich habe Schuld daran, daß dieses System insgesamt funktionierte. Ich habe allerdings nichts getan, wofür ich mich bei jemandem entschuldigen müßte. Ich habe keine Berichte geschrieben oder Telefone abgehört. Aber ich habe daran mitgewirkt, daß die Staatssicherheit zum inneren Unterdrückungsapparat wurde. Mich bedrückt heute, daß ich dadurch letztlich auch für den Untergang der DDR mitgesorgt habe.
Kennen Sie andere ehemalige Hauptamtliche, die offen über ihre Schuld reden?
Ja, innerhalb der PDS gibt es den Gesprächskreis „Frauen und Staatssicherheit“. Dort sind allerdings mehr IM als Hauptamtliche, insgesamt ein Dutzend Frauen. Einmal war ein Mann dabei – wir hätten ihn besser nicht zugelassen. Wie immer waren wir aber zu weichherzig. Es ging um das Thema Schuld und Mittäterschaft, und dieser ehemalige Hauptamtliche sah das überhaupt nicht ein, das mit der Schuld. Unter Frauen gibt es einen anderen Umgang mit diesem Thema. Sie versuchen nicht, Schuldgefühle abzublocken oder Schuld von sich zu weisen. Es stellt sich Nähe her, und das ist mit Männern nicht so. Die Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind hier oft größer als zwischen Ost und West.
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