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Kriegsübungen unter Bürgerkriegsflüchtlingen

■ Bundeswehr übt den Häuserkampf zwischen Asylbewerbern im „Geisterdorf“

Garzweiler (taz) – Unmittelbar vor den Augen von Kriegsflüchtlingen und Asylbewerbern führen deutsche, britische und belgische Soldaten offenbar regelmäßig Militärübungen durch. Schauplatz dieser makabren Szenen ist das sogenannte „Geisterdorf“ Garzweiler, das im kommenden Jahr von den riesigen Braunkohlebaggern verschlungen werden soll, die sich bereits bis auf wenige hundert Meter an die Ortschaft herangefressen haben. Doch obwohl die rund 1.500 Einwohner von Garzweiler wegen des herannahenden Tagebaus schon seit Jahren umgesiedelt sind, ist der kleine Ort am Rande des rheinischen Braunkohlenreviers zwischen Aachen und Düsseldorf keineswegs menschenleer.

Die mitunter arg verfallenen Häuser und Gehöfte, die bislang noch nicht unter die Planierraupe gekommen sind, dienen etwa 230 Flüchtlingen und Asylbewerbern seit Monaten schon als notdürftige Unterkunft. Nach Angaben der Behörden leben in Garzweiler gegenwärtig 180 Sinti aus dem Bürgerkriegsgebiet des ehemaligen Jugoslawien, 30 Aussiedler und 20 Tamilen.

Der von der öffentlichen Infrastruktur längst abgeschnittene Ort wird regelmäßig nurmehr von der Müllabfuhr und den in der Gegend stationierten Militärs aufgesucht, bei denen das Braunkohlendorf offenkundig als Geheimtip für militärische Nahkampfübungen gilt. Vor allem der „Häuserkampf“ ist hier angesagt. Die auf den Dorfstraßen und den Schuttbergen herumtollenden Flüchtlingskinder irritieren die Soldaten offenkundig nicht. Ebenso planmäßig wie ungeniert setzen sie ihre Übungen fort, hin und wieder fallen Schüsse, vermutlich Übungsmunition.

Vertreter der beiden Kirchen schlagen seit Wochen schon Alarm, ohne bei den zuständigen Behörden Gehör zu finden: „Es ist ein Skandal, was sich in Garzweiler abspielt“, empört sich der evangelische Gemeindepfarrer Heinz- Günter Schmitz, der selbst Augenzeuge solcher Übungen geworden ist: „Die Sinti sind dem Krieg in ihrer Heimat entronnen und müssen nun erneut den Anblick von bewaffneten Soldaten ertragen.“ Für Pfarrer Schmitz ist das „einfach menschenverachtend“.

Der katholische Sozialarbeiter im Braunkohlenrevier, Rolf Sevenich, häufig Ohrenzeuge solcher Übungen („Vor allem bei den Engländern wird mächtig geballert“) hält die Vorgänge in dem abgewrackten Braunkohlen-Weiler für „makaber und zynisch hoch zehn“.

Von den offiziellen Stellen waren solche Militärübungen im Geisterdorf Garzweiler bislang strikt bestritten worden. Darstellungen von Augen- und Ohrenzeugen waren als „Phantasiegebilde“ abgetan worden. Offensichtlich lagen weder bei den zuständigen Kreisbehörden noch beim Tagebau- Betreiber Rheinbraun, der das Gelände der Ortschaft fast vollständig aufgekauft hat, entsprechende Anträge für Militärübungen vor. In die Defensive gerieten die Streitkräfte erst, nachdem es dem Bochumer Fotografen Bertold Fernkorn gelang, eine Einheit in Aachen stationierter Bundeswehr- Soldaten beim Häuserkampf in dem legendären Geisterdorf abzulichten.

Konfrontiert mit diesen Fotos und Augenzeugenberichten, ging der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, Oberstleutnant Ulrich Twrsnik, gegenüber der taz in die verbale Offensive: „Gerade Asylanten müssen Verständnis dafür haben, daß sich ein Staat stark hält und ihm nicht selbst das passiert, was ihnen passiert ist.“ Deshalb, so Twrsnik vollmundig, könne der militärische Anschauungsunterricht den in Garzweiler untergebrachten Bürgerkriegsflüchtlingen nicht schaden: „Mit einer gut funktionierenden Verteidigung hätten sie dieses Schicksal nicht gehabt.“

Für den strammen Twrsnik („Wir sind keine Abwiegler“) ist „ein bißchen viel Ideologie in die ganze Sache reingekommen“. Irgendwo müßten die Soldaten schließlich „ihr Handwerk lernen“; das „Einsickern in ein Dorf“ oder der „Häuserkampf“ lasse sich nun einmal nicht auf Kasernengelände üben. Die öffentliche Aufregung über die Militärübungen kann der Sprecher der Bonner Hardthöhe nicht verstehen: „Nun üben wir schon so umweltfreundlich wie möglich, nämlich auf einem Gelände, das bald unter den Bagger kommt. Und jetzt ist das auch wieder nicht richtig.“

Nicht überall regiert bei der Bundeswehr soviel Beton wie im Bonner Verteidigungsministerium. Ein Sprecher des in Düsseldorf ansässigen Wehrbereichskommandos III zeigte sich von den Schilderungen über die Militärübungen unter den Augen der Bürgerkriegsflüchtlinge erkennbar sensibilisiert: „Schöne Scheiße“, kommentierte er zackig- knapp und fügte dann hinzu: „Wissen Sie, die Bunderwehr ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, auch da gibt es Idioten ...“ Johannes Nitschmann

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