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„Gott vergibt! Wir aber nie!“

Borussia Mönchengladbach – Bayern München 2:2 / Der alljährliche Nostalgie-Jahrmarkt der Unversöhnlichkeiten  ■ Vom Bökelberg Holger Jenrich

Gott zu lästern, steht in unserem Lande noch immer unter Strafe. Wer sich in unanständiger Weise an Religionsgemeinschaften vergreift, sie übel beschimpft oder in den Schmutz zieht, muß mit Exkommunikation oder pekuniären Liebesentzug rechnen.

Die Bayern-Fans stört der Paragraph 166 des Strafgesetzbuches offensichtlich wenig. Der Herbert- Wimmer-Skulptur im Mönchengladbacher Stadtteil Eicken schmierten sie mit blasphemischer Brastigkeit einen dicken „Rummenigge“-Schriftzug auf die Heldenbrust. Ob die dortigen Staatsanwälte, die als gläubige Katholiken Katechismus und Gesetzestext gleichermaßen gut kennen dürften, derartigen Unflat ungestraft lassen werden?

Diese schändliche Herabsetzung eines verdienten Niederrhein-Idols war offenkundigster Ausdruck bajuwarischer Niedergeschlagenheit. Mit einer selbstironischen Interpretation des Gassenhauers vom Lederhosen-Striptease hatten die Kuttenträger von der Isar zuvor eine 2:0-Führung und eine atemberaubend gute Vorstellung ihres Teams gefeiert, mit einer Blindenfahne die vermeintlich geschlagenen Jungs vom Bökelberg verhöhnt. Doch hatten sie, wie ihre Idole auf dem seifigen Rasen, nicht bedacht, daß die Borussia, wenn's gegen den Klassenfeind aus München geht, Helden zu gebären pflegt. Im September- Hinspiel avancierte ein bis dato im Westen nahezu unbekannter Torwart-Hüne namens Heyne, am Samstag ein lange umstrittener Strafraum-Draufgänger namens Dahlin zum Robin Hood vom flachen Land.

Zuerst wuchtete der venezolanische Schwede eine Neun-Ecke, danach eine Salou-Bananenflanke mit seinem Schädel ins vordem wenig gefährdete Bayern-Gehäuse. Und hätte der dunkelhäutige Kopfball-Akrobat kurz vor Schluß die Kugel zum dritten Male hinter Aumann versenkt – all die Demütigungen, die der FC Bayern der Borussia in den letzten Jahren angetan hatte, wären vergessen gewesen. Del'Haye weggeschnappt, Matthäus weggekauft, Effenberg abgeworben – vergessen. Der Gladbacher Heynckes Jupp Trainer der bajuwarischen Erzrivalen – abgehakt. Der Matthäus-Elfmeterfehlschuß in die Wolken beim 84er-Pokalfinale – verziehen.

Aber nichts da. Der Ball ging drüber und nicht rein. Und die alten Feindbilder hatten weiterhin Bestand. „Gott verzeiht. Wir aber nie, Judas!“ ließen hartnäckige Matthäus-Hasser den Lothar wissen. Dem opportunistischen Vielschwätzer schlugen die verweigerten Streicheleinheiten seiner ehemaligen Claquere derart aufs Gemüt, daß er am Ende des 2:2-Remis nicht nur den Bayern wohlgefällig die Meisterschaft, sondern auch der Borussia großzügig die Teilnahme am UEFA-Pokal prophezeite.

Soll die erste Weissagung Wirklichkeit werden, muß Labbadia zukünftig den Ball mit Hintern und Haupthaar, nicht aber mit der Hand ins Tor befördern und die Schönspielerriege im Mittelfeld mehr ans Toreschießen denn an die Demütigung des Gegners denken. Und soll die zweite Vorhersage eintreffen, müssen sich Hochstätter, Neun und Schneider, bei Nässe demnächst Fußball- statt Schlittschuhe unterschnallen; und muß Peter Wynhoff lernen, daß die Fußballregel niemandem untersagt, auch mit rechts aufs Tor zu schießen.

Eine Prophezeiung der freudetrunkenen Borussen-Anhänger indes übertraf die Kunde aus dem Matthäus-Munde bei weitem. „Deutschland ohne Bayern“ skandierten sie zur Melodie von „Vamos a la playa“. Würde ihr Wunsch wahr, wäre die Liga um einen alljährlichen Nostalgie-Jahrmarkt der Eitelkeiten und Verletztheiten ärmer, eins aber gewiß: der Herbert Wimmer in der Eickener Straße hieße in unserem Lande der umgestürzten Denkmäler weiter Wimmer und nicht Rummenigge.

Bayern München: Aumann - Thon - Münch, Helmer - Jorginho, Matthäus, Wouters, Schupp, Ziege (72. Cerny) - Scholl (86. Sternkopf), Labbadia

Zuschauer: 34.500; Tore: 0:1 Ziege (12.), 0:2 Scholl (25.), 1:2 Dahlin (47.), 2:2 Dahlin (71.)

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