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Prometheus bringt Menschengewürm Eis statt Feuer

■ Erste große Choreographie des Kresnik-Tänzers Joachim Siska hatte im Concordia Premiere und wurde glücklichst umjubelt

Welch jämmerlich Gewürm sind doch die Menschen. Sie vernichten sich im Kampf jeder gegen jeden, rennen gegeneinander an — und erreichen doch nichts. Die Stelle, wo ihr Herz sitzen müßte, markiert nur ein leerer Kreis auf uniformen Trikots. In gleißend blaues Licht getaucht läßt Joachim Siska einen nach dem anderen sterben, schichtet sie auf im Hintergrund seiner Bühne: eine durcheinanderwimmelnde Masse. Prometheus ist dabei Siskas Werkzeug — er kümmert sich um die Menschlein, streift sich die schwarzen Gummihandschuhe über, schleift die Liegengebliebenen aus dem Blickfeld.

Doch er bringt nicht das Feuer, die Erlösung und Wärme, wie man sie vom Prometheus der Mythologie erwartet. Dieser Prometheus bringt weitere Kälte ins Land. Seine absonderliche Gabe istMilch, und zwar zu Eis erstarrt. Trotzdem lecken sich die Menschen die Finger danach. Gierig und lüstern saugen sie an dem milchigen Eisblock, den Prometheus ihnen erst lockend anbietet, dann aber gnadenlos auf die Zunge zwingt. Nun in durchsichtig-schwarze Gesellschaftskleider geschlüpft, umtanzen sie den götzengleichen Saft, geilen sich an ihm auf — er ist das einzig Verbindende zwischen ihnen.

Kälte und Eis, Aggression und Gewalt sind die ersten Irritationen, die Joachim Siska, sonst Tänzer in der Kresnik-Truppe, mit seinem „Prometheus“ den ZuschauerInnen bringt. Ohrenbetäubend dazu die brachiale Musik von George Crumb, Heiner Goebbels und Urban Sax. Johann Sebastian Bachs schöne Klänge bricht Siska mit der Kraft einer Windmaschine.

Gemeinsam ist den Menschen und Prometheus der Zweifel an sich selbst. Sie häufen Wissen an, das sie nicht weiterbringt, verschlingen die Bücher seitenweise, rennen gegen Mauern an — dabei haben sie die Geschichte bleischwer an den Füßen mitzuschleppen.

Die Atmosphäre ist beklemmend im „Concordia“, die Eindrücke sind massiv, man kann sich nicht entziehen. Ein gewohntes Gefühl für BesucherInnen des Bremer Tanztheaters. Doch Siska, der mit „Prometheus“ seine erste große Choreographie vorstellt, zeigt nicht nur, was er bei Kresnik gelernt hat — er setzt auch deutlich eigene Akzente: Nicht nur in der Wahl des mythologischen Themas. Auch in der Realisierung.

Er erlaubt seinen KollegInnen ruhige Sequenzen, poetische Szenen, die auch Raum lassen für Interpretationen des Betrachters. Nicht alles ist zu verstehen, zumal Siska drei Prometheuse (einen herrischen Christian Camus, eine anmutig-zweifelnde Amy Coleman und eine straight-neugierige Christina Comtesse) tanzen läßt.

„Manchmal hatte ich nur eine Idee, wußte aber nicht, wie man sie darstellen könnte“, sagte Joachim Siska nach der Generalprobe. Doch die KollegInnen, erfahren im In-Szene-Setzen, halfen, entwickelten mit Siska in nur vier Wochen das Stück, dessen Konzept er dank Kresnik „durch die oberen Abteilungen“ brachte. Nur 1.500 Mark Etat (die Einnahmen eines Abends) beanspruchte der Künstler. Das Ergebnis ist beeindruckend. Dem vielfachen und ehrlichen Bravo der Premierengäste muß man sich einfach anschließen.

Birgitt Rambalski

Weitere Vorstellungen: 5., 7., 8. und 12. Mai um 20 Uhr im Concordia

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