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Lymphknoten und Regenbogen

Beobachtungen auf und neben der 9. Welt- Aids-Konferenz in Berlin  ■ Von Manfred Kriener

„Pflege von Aids-Patienten in den Entwicklungsländern“ heißt das Thema. Ein amerikanischer Zuhörer läuft zum Saal-Mikrophon, um eine Frage an die Uganderin Margret Masaka zu stellen. Ob sie denn nicht berichten wolle, welche Nahrungsmittel und welche Medizin sie Ihren Aids-Patienten verabreiche, damit man hier in Berlin Erfahrungen austauschen könne. Margret Masaka lächelt. In dem ugandischen Distrikt, über den sie berichtet, gibt es keine Aids-Spezialkost, die man in Amerika ausprobieren könne. Es gebe nur das zu essen, was gerade da ist. Und an Medikamenten für die Aidskranken stünden nur die „Heilpflanzen der jeweiligen Region“ zur Verfügung. Jetzt lächelt sie nicht mehr.

Es ist selten, daß auf dem 9. Welt-Aids-Kongreß der Norden und Süden, die Armen und Reichen so heftig zusammenstoßen. In den Symposien dominiert die Sichtweise des Nordens. Überall wird über die Forschung nach neuen Therapien und Arzneien berichtet. Und fast beiläufig liest man dann auf einem Faltblatt, daß 80 Prozent aller Menschen, die infiziert oder krank sind, keinen Zugang zu Aids-Medikamenten jeglicher Art haben. Viele werden die neuen Arznei-Kombinationen, die jetzt im Berliner Kongreßzentrum so heftig diskutiert werden, niemals anwenden können, es sei denn, sie wären umsonst.

Mehr als 2.000 Teilnehmer aus Entwicklungsländern nehmen an der 9. Welt-Aids-Konferenz teil, so viele wie noch nie. Daß schon im Jahr 2000 neun von zehn HIV-Infektionen in der Dritten Welt registriert werden, ist in den endlosen und düsteren Zahlenkolonnen der Weltgesundheitsorganisation nachzulesen.

Aber: Egal ob Dritte Welt oder USA, Turban oder grauer Maßanzug, die Teilnehmer stehen im Stau. Mühsam trippeln sie nach jedem Vortrag gequetscht zu den Rolltreppen. 15.000 Teilnehmer aus 166 Nationen. 800 Vorträge, 80 Satellitenkonferenzen, 5.300 wissenschaftliche Präsentationen. Der Mega-Kongreß tanzt. Und doch ist es eine Versammlung, in der abseits von T-Helferzellen und epidemiologischen Trendabschätzungen immer wieder jene „fürchterliche Krankheit“ (Weizsäcker) mit ihrem menschlichen Leid zum Ausdruck kommt. Dafür sorgen zahlreiche Gedenkminuten oder die Erinnerungsteppiche (der sogenannte Guilt), die im Kongreßzentrum von den Decken und Wänden baumeln. Ein halber Quadratmeter Stoff für jeden Toten, liebevoll gestaltet mit Blumen, Palmen, Drachen, Herzchen, mit Namen und Jahreszahlen der Verstorbenen. Und immer wieder mit Regenbogen ausstaffiert: „Thank your for being my friend“, „Forever“. Je schlimmer die Schicksale, desto bunter die Stoffe.

Unter dem „Guilt“ halten einige Aktivisten auf dem Boden ihre Brotzeit. Die Osteuropäer haben ihr Essen selbst mitgebracht. Vier Mark fürs belegte Brötchen sind in Polen mehr als ein Tageslohn. Daneben diskutiert ein Kaffeetischchen voller Virologen über Lympfknoten-Aktivitäten, während kleinere Gruppen zum Symposium „Aids und Militär“ marschieren. In der Ecke sitzt ein schlafender Japaner, und am Verpflegungswagen kann man mit Starforscher Robert Gallo plaudern. Oder war er's doch nicht?

Die Themen sind so breit wie nie zuvor. Vom Spendenwesen bei Aids bis zu hochspezifischen Fragestellungen über „Neue Non- Peptid-Inhibitoren der HIV-Protease“ wird nichts ausgelassen.

Unbestreitbar wichtig sind nur die großen Vorträge, etwa vom Direktor des WHO-Welt-Aidsprogramms, Mike Merson. Und wieder geht es um Nord und Süd. Gerade drei Milliarden Dollar wären pro Jahr notwendig, glaubt Merson, um den Kampf gegen Aids in den Entwicklungsländern zu finanzieren. Eine Summe, so der Weltbanker D. Jamison, die sich die Weltgemeinschaft eigentlich leisten könne. Eigentlich. „Je länger wir warten, desto teurer und schwieriger wird es für uns“, warnt Jameson. Und desto mehr Menschen werden sterben. Doch in den nervösen statistischen Kurven der Weltbank sind die Aidstoten kaum erkennbar: Sie werden aufgesaugt vom rasenden Bevölkerungswachstum. Und dann, sagt Jameson kühl, gebe es immer noch die Malaria-, die Tuberkulose- und die Rauchertoten, die rein zahlenmäßig vor Aids rangieren. Kann man eine Virusepidemie mit dem Tabakgenuß verrechnen? Bei der Weltbank kein Problem.

Die Bundesrepublik, auch dies wird auf dem Kongreß deutlich, steht gut da. Im Weltmaßstab gesehen, zählt Deutschland zu den Ländern mit der niedrigsten Neuinfektionsrate. Selbst im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ist die Zahl der Aidskranken (gegenwärtig 9.697 Fälle) relativ niedrig. „Die Aids-Politik in der Bundesregierung hat sich bewährt“, glaubt Gesundheitsminister Seehofer. Die Restvernunft hat sich durchgesetzt, behaupten andere.

Am Montag abend dann die bislang interessanteste Veranstaltung: Langzeitüberlebende bei Aids. Das sind jene Menschen, die seit zehn, zwölf oder fünfzehn Jahren mit dem Virus in ihrem Körper bei relativ guter Gesundheit leben. In Amsterdam war dies noch ein Randaspekt der Konferenz, diesmal finden gleich vier Meetings zu diesem Phänomen statt. Viele, zum Teil schwer gezeichnete Menschen treffen sich hier, diskutieren leidenschaftlich, wie man ein Langzeitüberlebender werden kann. Spätestens hier ist zu spüren, wie wichtig solch ein Erfahrungsaustausch ist. In vielen Sitzungen kämpfen die Wissenschaftler um ihre Reputation, hier kämpfen Menschen um ihr Leben. Aber muß man dazu immer gleich 15.000 Teilnehmer zusammentrommeln? Ab 1994, sagt der Berliner Konferenz-Präsident Karl-Otto Habermehl, werden die Welt-Aids-Kongresse nur noch im Zweijahresrhythmus stattfinden. Manfred Kriener

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