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Zum Fest eine Massenverhaftung

Der Krieg des ägyptischen Staates gegen „terroristische“ Islamisten nimmt immer bizarrere Formen an  ■ Aus Kairo Ivesa Lübben

Wenn es um Ägypten geht, sind derzeit vor allem Attentate militanter Islamisten auf ausländische Besucher Thema der Schlagzeilen, seltener Attentate auf Ägypter und noch seltener das gnadenlose Vorgehen der ägyptischen Regierung gegen große Teile der islamistischen Opposition – vorrangig die „Islamischen Vereinigungen“ („Gamaat Islamia“). Wenn es Armee und Polizei einmal gelungen ist, in Städten oder Regionen, in denen die „Gamaat“ eine starke Infrastruktur errichtet hatten, die Macht zurückzuerobern, dann ist der Regierung jedes Mittel recht, um die Wiederherstellung des staatlichen Gewaltmonopols zu demonstrieren.

Während des diesjährigen islamischen Opferfestes, des „Eid Al- Adha“, mag vielen Ägyptern der Festschmaus im Halse steckengeblieben sein. Während sie Ende Mai dieses hohe Fest feierten, veranstaltete die Polizei in der Deltaprovinz Kafr Scheich eine Großrazzia und nahm 42.722 Menschen fest. Verhaftet wurden dabei nicht nur Anhänger der Gamaat, die durch ihre Mordanschläge auf Kopten und Touristen, Politiker und Intellektuelle von sich reden machen. Unter den Verhafteten befanden sich entflohene Gewaltverbrecher und Fälscher, die gescheiterten Studenten doch noch zu einem Abschlußzeugnis verhalfen, eine Tänzerin, die einen Prostituiertenring anführte, und zehn ihrer Kunden, Zehntausende von Bußgeldsündern, die meinten, ihrer Strafe durch Ignorieren der Zahlungsaufforderung entgehen zu können. Die Polizei beschlagnahmte mehr als 6.000 Autos, die ohne öffentliche Zulassung den Verkehr unsicher machten, und Boote von Fischern, die ohne Lizenz ihrem Gewerbe nachgingen. Kurz gesagt – die staatliche Autorität wurde in allen Facetten manifestiert.

Die meisten Verhafteten wurden nach der Entrichtung eines Bußgeldes wieder auf freien Fuß gesetzt. Ähnliche Rundumschläge fanden in den letzten Wochen auch in Kairos Armenvierteln und in mehreren Provinzen Oberägyptens statt. Dabei wurden illegale Waffenfabriken ausgehoben, Wegelagerern das Handwerk gelegt und, wie in der oberägyptischen Ortschaft Abanob, jahrzehntealte Blutfehden zwischen Familienclans mittels staatlicher Gewalt beendet.Der nun schon seit mehr als einem Jahr währende Abnutzungskrieg zwischen den Gamaat und den staatlichen Machtorganen hat eines deutlich gemacht. Obwohl Ägypten einen der umfangreichsten Sicherheitsapparate unterhält – mit Polizei und Armee stehen zirka zwei Millionen Männer unter Waffen –, war der Staat in vielen Gegenden des Landes faktisch nicht existent. Das Sagen hatten bis unter die Zähne bewaffnete Familienclans oder die lokale Mafia. Vor allem im unterentwickelten Oberägypten konnten die Gamaat dieses staatliche Machtvakuum für sich nutzen und in vielen Orten ihren eigenen islamischen Staat im Staate errichten. Unterstützung fanden sie vor allem bei arbeitslosen Jugendlichen, landlosen Bauern und Hochschulabgängern, denen alle Türen für eine Karriere verschlossen waren.

Erst als die Gamaat mit ihren Angriffen auf ausländische Besucher den Lebensnerv der ägyptischen Wirtschaft, den Tourismus, zu treffen drohten, begann der Staat mit „eiserner Faust“ zurückzuschlagen. Monatelange Ausgangssperren wurden verhängt, die das ganze Wirtschaftsleben lahmlegten. Zuckerrohrfelder, die den radikalen Islamisten als Versteck dienten, wurden abgebrannt, Familienangehörige von Gamaat- Führern als Geiseln genommen und Gamaat-Mitglieder in regelrechten Massakern liquidiert, wie in der Rahma-Moschee in Assuan, in der vor zwei Monaten 35 Menschen im Kugelhagel der Sicherheitsorgane starben.

Die Wurzeln der Gamaat hat das nicht ausrotten können. Wo immer ihre „Emire“ verhaftet wurden, tauchten wie der Phönix aus der Asche neue lokale Führer auf. Und die staatlichen Antiterrorkampagnen brachten den Gamaat die stillschweigende Unterstützung vieler Leute gerade aus den Unterschichten ein, die bis dahin nur eine verunsicherte Statistenrolle gespielt hatten. Der Versuch des vor knapp drei Monaten abgesetzten Innenministers Abdel Halim Musa, über die Vermittlung von „moderaten“ Islamisten vor allem aus den Reihen der Moslembrüder eine Art Waffenstillstand mit den Gamaat zu erreichen, war nichts anderes als das indirekte Eingeständnis seines Scheiterns. Musa kostete das seinen Posten.

Der neue Innenminister Hassan Elfi, nun seit knapp acht Wochen im Amt, hatte bereits in der Gamaat-Hochburg Assiut Erfahrungen sammeln können. Über die Wiederherstellung eines Mindestmaßes von rechtsstaatlichen Verhältnissen gedenkt er das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen, die in den letzten Monaten dem Staat den Rücken kehrten. Elfi verurteilte offen die Politik der staatlichen Geiselnahme, verbot die willkürliche Beschlagnahmung von Privatautos durch die Polizei, hob die Ausgangssperre in Deirut und Tih auf und erklärte, daß die Folter von politischen Gefangenen die Wurzeln des Terrorismus nur noch verstärken würde. Jeder Polizist, der sich an den Rechten von Bürgern vergreife, solle vor Gericht gestellt werden, versprach Elfi und winkte allen Bürgern, die bei der Suche nach untergetauchten Terroristen behilflich seien, mit großzügigen Prämien. Vor allem will Elfi die Autorität des Staates in den Dörfern wiederherstellen. 16.000 Posten von Dorfschulten und Scheichs, die seit Jahren wegen lokaler Familienzwistigkeiten unbesetzt sind, sollen wieder besetzt werden.

Nach Informationen der liberalen Tageszeitung Wafd sollen diese aber gleichzeitig als Offiziere direkt in die Hierarchie der staatlichen „Sicherheitsorgane“ integriert werden. So zeigt sich, daß parallel zu politischen Maßnahmen Elfi gegen den Kern des islamischen Untergrunds weiterhin mit aller Härte vorgehen will.

Unmittelbar vor dem Opferfest hätte man eine neue terroristische Organisation ausgehoben, erklärte Elfi letzten Monat gegenüber der halbamtlichen Tageszeitung Al- Ahram. Sie habe geplant, während der Festtage zehn Spitzenpolitiker zu ermorden. Die Rede ist vom „Dschihad Islami“ („Heiliger Islamischer Krieg“), die Organisation, deren Kämpfer im Jahre 1981 Mubaraks Vorgänger Anwar el-Sadat ermordeten. Sie versucht sich derzeit mit Hilfe heimgekehrter Afghanistankämpfer neu aufzubauen: Die Dschihad-Kämpfer wollen den Gamaat das Feld nicht alleine überlassen. In einem Mammutprozeß sollen jetzt 734 Dschihad-Mitglieder vor Gericht gestellt werden.

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