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Schwarzer Bremer enttäuscht über Rechtsstaat

■ Die Geschichte einer ausländerfeindlichen Beleidigung in der Bremer Straßenbahn und ihrer Folgen

Jacob-Charles N. fühlte sich beleidigt. Immer lauter machten die Jugendlichen ihre ausländerfeindlichen Witze. Sie lachten auch immer lauter darüber. Der Beleidigte konnte die Situation nicht länger ertragen. Was sonst in Straßenbahnen und Bussen lediglich dazu führt, daß Mitreisende peinlich berührt und wie versteinert zum Fenster hinausschauen, hatte an diesem Tag eine andere Wirkung.

„Was ist rot und sitzt in der Ecke? — Ein geschälter Neger“, so lautete einer der „Witze“, mit denen drei Jugendliche Jacob-Charles N. provozierten. Jacob-Charles N. ist Schwarzer. Er stammt aus Kamerun, lebt seit fünf Jahren in Deutschland und macht hier seinen Elektromeister. Von sehr kräftiger Statur, auffallend zielsicher und vehement in seinem Auftreten, kehrte Jacob- Charles N. die Situation an diesem Abend um: Er erduldete die Erniedrigungen nicht, sondern machte sie zu einem Problem aller Anwesenden.

Jacob-Charles N. ging nämlich zum Busfahrer. Er ließ ihn anhalten, ließ ihn die Polizei rufen, ließ die Namen der jugendlichen Beleidiger aufnehmen, brachte zwei andere Fahrgäste (zwei Frauen) dazu, ihre Beobachtungen zu bezeugen und po

Jacob-Charles N. machte aus alltäglicher Ausländerfeindlichkeit einen aktenkundigen Vorgang Foto: Jörg Oberheide

lizeilich protokollieren zu lassen. Die Fahrgäste der Buslinie 26 werden sich an diesen unfreiwilligen, stundenlangen Aufenthalt vor dem Bahnhofsvorplatz am 11. Januar diesen Jahres sicher erinnern.

Auch Sven T. (20), der sich vor seinen Kumpeln durch lautstarkes Erzählen der „Witze“ hervortat, wird diesen Tag so leicht wohl nicht vergessen. Nicht nur wegen der Schrecksekunde, in der Jacob-Charles N. ihn am Kragen packte — um ihn gleich wieder loszulassen: „Man darf nicht die Kontrolle verlieren“, betonte der Beleidigte dann auch im Gespräch mit der taz, „verbale Gewalt darf man nicht mit körperlicher Gewalt vergelten.“ Jacob- Charles N. erstattete deshalb Strafanzeige wegen Beleidigung:

hier bitte den Schwarzafrikaner

„Ich wollte Bewußtsein schaffen“, schließlich habe sich ihm gegenüber eine ganze Gruppe ausländerfeindlich verhalten.

Doch weder Jacob-Charles N. noch seine beiden Zeuginnen wurden vor Gericht gehört. Stattdessen fand der Beleidigte ein Viertel Jahr später einen Brief des Jugendlichen im Briefkasten: „Mir ist erst nach dem Unfall klargeworden, daß ich mich sehr unfair und ausländerfeindlich verhalten habe. Viele meiner Freunde stammen nicht aus Deutschland, wir verstehen uns sehr gut.... Ich möchte mich nochmals für mein unkluges Verhalten entschuldigen und Ihnen sagen, daß es mir leid tut.“

Weitere vier Wochen später erhielt die Rechtsanwältin von Jacob-Charles N. Post von der

Staatsanwaltschaft: Gemäß § 45 Absatz 3 des Jugendgerichtsgesetzes sei „nach einer erzieherischen Maßnahme“ das Verfahren eingestellt worden. Um welche Maßnahme es sich dabei handelt, ist dem Formbrief nicht zu entnehmen. „Ich vermute, es gab einen Ermahnungstermin beim Jugendrichter“, erläutert der zuständige Staatsanwalt.

Für Jacob-Charles N. ist die Angelegenheit vor allem gefühlsmäßig noch nicht erledigt: Von wem erhielt der Täter seine Adresse, ohne daß er selbst gefragt wurde? Warum wurden die anderen beiden aus der Gruppe nicht ebenfalls vor Gericht zitiert? Der angehende Elektromeister ist jetzt auch noch enttäuscht in seinem Gefühl für den Rechtsstaat. ra

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