: „Wir Molukker sind nicht einfach“
Die einstigen Bewohner der Molukken-Inseln im Pazifik kamen nicht freiwillig in die Niederlande ■ Aus Assen Jeanette Goddar
Der Junge in Jeans und T-Shirt, der sich nicht weit vom einzigen Einkaufszentrum der Stadt an diesem langen Nachmittag die Zeit vertreibt, reagiert verärgert auf die Störung. Mit dem Gekritzel an der Hauswand habe er nichts zu tun und was mich das überhaupt anginge. Über das Thema sei ja wohl genug geredet worden. Ob ich etwa immer noch Zugentführer suchen würde. Die seien schließlich damals alle auf Regierungsbefehl in die Luft gesprengt worden. „Sowieso möchte ich nicht wissen, was los wäre, wenn wir die Regierung hochgehen lassen würden.“ Er guckt mich gespannt an, um herauszufinden, wie ich auf diese Andeutung von Militanz reagiere.
„Kein Vertrauen in die Niederländer“ und „25. April!“ steht an der Wand des Mietshauses geschrieben, vor dem der 18jährige hockt. Das Haus steht in Assen, der Hauptstadt der niederländischen Provinz Drenthe südlich von Friesland. Dort lebt noch heute eine der größten und aktivsten Molukkergemeinschaften der Niederlande. Die wilden Siebziger hat hier niemand vergessen: Nach einer aus Assen gesteuerten Zugentführung, die von der niederländischen Regierung gewaltsam beendet wurde, hatten es die Molukker hier und anderswo noch schwerer als vorher: ihre Kinder wurden von Lehrern und Mitschülern offen diskriminiert – ein für die Niederlande eher untypisches Phänomen, molukkische Jugendliche bekamen keine Lehrstellen mehr. Die vielgerühmte Toleranz der Niederländer gegenüber dieser Einwanderergemeinde hatte offensichtlich einen Knacks bekommen: Proteste der in Den Haag ansässigen molukkischen Exilregierung gegen „die brutale und unmenschliche Behandlung durch die niederländische Regierung“ stießen bei den Niederländern auf Skepsis. Mit militanten Minderheiten wollte man hier nichts zu tun haben; Leute, die nicht arbeiten, keine Miete zahlen und statt dessen Züge entführen, sollten doch bitte hingehen, wo sie herkommen. Bis heute versuchen die Molukker zu vermitteln, daß die Angelegenheit komplizierter liegt.
Seit 42 Jahren kämpfen die ehemaligen BewohnerInnen der Molukken, einer Pazifikinselgruppe zwischen den Philippinen und Australien, in den Niederlanden um die Unabhängigkeit dieses Gebietes, das sie 1951 auf Druck der niederländischen Regierung verlassen mußten. Tausende von Molukkern hatten damals, nach Beendigung des Kriegs im Pazifik, auf niederländischer Seite gegen ein unabhängiges Indonesien gekämpft. Kurz nachdem die Kolonialmacht Niederlande die Republik Indonesien 1949 in die Unabhängigkeit entlassen hatte und als immer mehr föderale Staaten mehr oder minder freiwillig ihren Beitritt erklärten, riefen die Führer der Molukken am 25. April 1950 in Ambon die Unabhängigkeit ihrer „Republik der Südmolukken“ (RMS) aus. Statt sich der indonesischen Regierung zu unterwerfen, verlangten die molukkischen Soldaten in der niederländischen Armee, die vor allem auf Java stationiert waren, nach Niederländisch- Neuguinea gebracht zu werden. Um die zerbrechlichen Beziehungen zu Indonesien nicht zu gefährden, zog die niederländische Regierung es vor, die molukkischen Soldaten samt ihren Familien nach Europa zu bringen – als vorübergehende Lösung, wie alle Beteiligten damals dachten. Kaum einer dieser Molukker hat seitdem die Niederlande wieder verlassen; ihre Zahl wird inzwischen auf knapp 40.000 geschätzt. Die Molukken-Inseln sind seither unter indonesischer Herrschaft.
Ihren Willen zur Unabhängigkeit demonstrieren Tausende Molukker jedes Jahr am Gründungstag der RMS in Den Haag. Der neugewählte Präsident F. Tutuhatunewa machte bei den Feierlichkeiten dieses Jahres das Ziel der Exilregierung klar: Beendigung der indonesischen Militärdiktatur in seiner Heimat und Rückkehr seiner Leute. Nie hätte sich die erste Generation träumen lassen, daß sie in den Niederlanden bleiben müssen. Wenig vielversprechend war schon ihre Ankunft Anfang der fünfziger Jahre. Sie wurden in den Konzentrationslagern untergebracht, die die deutschen Nazis zurückgelassen hatten, dort kleidete man sie notdürftig europäisch ein und verpflegte sie in Großküchen. Sämtliche Soldaten wurden bei ihrer Ankunft in Den Haag aus der Armee entlassen. Arbeiten sollten sie auch nicht; für ihre Integration wurde nichts getan. Erst Jahre später dämmerte den Verantwortlichen, daß eine dauerhafte Lösung vonnöten ist. Die Lager wurden aufgelöst, und die Molukker erhielten Wohnungen. Heute leben die meisten von ihnen in knapp siebzig Molukkergemeinden – mit eigenen Schulen, Kirchen, Infrastruktur.
Diese wijks sind keine Notlösung – im Gegenteil. Sie wollen unter sich bleiben – in Gemeinschaft ihrer Landsleute. Viele der wijks werden von RMS-nahen Gruppen organisiert. „Ich bin kein Holländer und werde auch nie einer werden“, erklärt auch der Junge in Assen, der sich mittlerweile auf ein Gespräch mit mir eingelassen hat. „Eines Tages werde ich zurückfliegen und mir mein Land angucken.“ So denken viele seiner Freunde. Mit Holländern hätten sie alle wenig zu tun. Doch auch in der Gemeinschaft gebe es oft Spannungen. „Jetzt ist es gerade mal ruhiger. Aber es liegt immer was in der Luft. Wissen Sie, wir Molukker sind nicht einfach. Wir wollen kein Mitleid. Wir sind ziemlich stolz.“
Seit den siebziger Jahren macht sich auch die zweite Generation für eine unabhängige RMS stark. Mit der Exilregierung der alten Herren in Den Haag haben die meisten von ihnen wenig am Hut – sie haben andere Vorstellungen von Politik und bilden ihre eigenen Gruppen. In Wassenaar und Amsterdam wurden indonesische Botschaften besetzt, zwei Züge wurden entführt. Ein Aufschrei der Empörung ging durch das Land, als ein nie durchgeführter Plan, Königin Juliane zu entführen, an die Öffentlichkeit kam. Mit Demonstrationen und Aktionen reagierten die Molukker auf jeden Auftritt indonesischer Autoritäten in den Niederlanden. Präsident Soeharto sagte daraufhin einmal einen Besuch ab.
Mit verstärkten Integrationsbemühungen gelang es der niederländischen Regierung in den achtziger Jahren, den Konflikt mit einer ihrer größten Einwanderergemeinden zumindest ruhigzustellen. Inzwischen waren allerdings auch 30 Prozent der Jugendlichen arbeitslos und 10 Prozent drogenabhängig. „Das Leben zwischen zwei Welten und die ständige Diskriminierung hat viele kaputtgemacht“, berichtet Jo Anaputty von der Drogenhilfe „Tjandu“ in Utrecht – eine von zwanzig Organisationen in den Niederlanden, die sich ausschließlich um drogenabhängige Molukker kümmern. Auch Jo Anaputty sieht ihre Aufgabe letztlich woanders. „Es liegt immer noch in der Luft“, sagt auch sie, halb kämpferisch, halb versonnen, bei dem Gedanken an eine Republik der Süd-Molukken, die sie in ihrem Leben nur einmal besucht hat. „Ich fühle mich gut, wenn viele immer noch zurückwollen.“
Auch wenn die Eigenständigkeit der Molukker durch ein Gesetz 1986 in den Niederlanden gestärkt wurde und viele sich damit abgefunden haben, ihr Leben überwiegend hier zu verbringen, ist der Kampf um Selbstbestimmung nicht zu Ende. Mit dem Gesetz seien weder Isolation und Diskriminierung in den Niederlanden beendet noch das Bewußtsein von der Besetzung des eigenen Landes gelöscht, erklärt ein junger Molukker an der Amsterdamer Universität. Er liebt Amsterdam, hat hier Freunde, Job, Zuhause. Ihm geht es weniger um die Rückkehr in ein Land, das er nicht kennt, als um den Kampf gegen die Politik Indonesiens. „Hier in den Niederlanden bekommt doch kein Mensch mit, was in Ost-Timor und anderswo an Massakern angerichtet wird. Wir reden von einem Land, zu dem Westeuropa gute Beziehungen unterhält. Das ist Unterstützung einer Mörderbande.“
Spätestens 1990 wurde deutlich, daß der Kampf der Molukker weitergehen würde. Etwa 600 Jugendliche marschierten am 40. Jahrestag der RMS spontan auf die indonesische Botschaft in Den Haag los und lieferten sich eine Schlägerei mit der Polizei. Zehnjährige Kinder liefen durch die Straßen und schrieben „RMS Merdeka“ — „Befreit RMS“ — auf Bänke und Wände. Medien und Politiker begannen erneut, sich mit den Ursachen dieses Nationalismus zu beschäftigen.
Größere militante Übergriffe hat es seither nicht gegeben. Immer noch sind die Molukker damit beschäftigt, sich in den Niederlanden ein selbstbestimmtes Terrain zu erkämpfen. Inzwischen gibt es sogar ein Museum und eine Zeitschrift, Marinjo. „Wir können die Frage nach Integration nicht von den Konflikten trennen, die wir hier haben“, sagt Victor Joseph, Journalist bei Marinjo. „Wenn wir über die RMS reden, reden wir immer zugleich über einen Lebensstil.“ Auch er beteiligt sich seit Jahren an den Versuchen, in Europa Widerstand gegen die indonesische Regierung zu mobilisieren. „Das Gefühl, Molukker zu sein, läßt sich für mich nicht an Grenzen festmachen. Ich habe hier meine Aufgabe und werde den Kampf von hier aus weiterführen.“ Nach Aussage des Direktors des „Molukske Museums“ in Utrecht, Wim Manuhutu, konzentrieren sich immer mehr junge Menschen auf die Heimat ihrer Eltern im Pazifischen Ozean. „Wenn man von klein auf mitbekommt, daß Integration gleich Assimilation ist, hinterläßt das Spuren“, sagt er. Viele junge Molukker fühlten sich in den Niederlanden unterdrückt. „Und dann weiß man, es gibt da so etwas wie eine Heimat, in der man nicht leben kann, weil dort eine Militärdiktatur herrscht, die von dem Land, in dem man lebt, auch noch unterstützt wird.“
Aufgrund der Kolonialgeschichte werden die Niederlande seit einigen Jahren immer stärker zum Kulminationspunkt antiindonesischer Politik. In fast allen niederländischen Großstädten arbeiten Aktivisten auch für die Befreiung von Ost-Timor. Der Widerstand gegen Indonesien soll gebündelt werden, um unterdrückten Inselstaaten im Pazifik wieder zur Unabhängigkeit zu verhelfen. Auch die niederländische Regierung gerät wegen ihrer freundlichen Haltung zu Indonesien immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik. Die 1990 in Den Haag gegründete UNPO (Unrepresented Nations and Peoples Organization) richtet neuerdings verstärkt ihr Augenmerk auf den pazifischen Raum. Vertreter aus West-Papua, Atjeh Sumatra, Ost-Timor und den Süd-Molukken kamen kürzlich in Den Haag zusammen, um gemeinsame Strategien zu besprechen. Nächstes Jahr will die INPO eine Beobachterkommission in die vier Regionen entsenden. „Vor 1945 hat nie ein Staat oder ein Volk von Indonesiern bestanden“, erklärte Hassan Tengku de Tiro, Wortführer der Delegation aus Atjeh Sumatra. „Indonesien ist ein künstliches Produkt.“
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