: Die kleine Rache am Staat
In Dolgenbrodt brannte nicht nur ein Haus / Die Einwohner besiegten den Staat ■ Von Hermann-Josef Tenhagen und Michaela Schießl
Wilhelm Schulz kann partout nicht einsehen, daß seine Reichkriegsflagge vom Mast soll. „Ich hole die nicht runter, das müssen sie schon selber tun“, sagt der Dolgenbrodter trotzig. Das Ding erinnere ihn an den Weltkrieg und sei außerdem nicht verboten. So mußten die Polizisten ran, das Ärgernis aus der Optik der Kameras zu nehmen.
Offizieller Grund: Die Flagge störe die öffentliche Ordnung. Und die ist schließlich genügend gestört, seit ein schlimmer Verdacht auf den Bewohnern der 260-Seelen-Gemeinde lastet: Sie sollen Rechtsradikale für einen Brandanschlag auf das örtliche Asylbewerberheim gedungen haben. Prämie: 2.000 Mark.
Wilhelm Schulz ist das egal. Er trauert offen um das nette Geschenk Kreuzberger Freunde, das nun wirkungslos in der Schublade liegt. „Die hing schon lange da und hat vorher keinen Menschen gestört. Die ist in der Demokratie doch erlaubt. Die kann man in jedem Geschäft kaufen.“ „Das war doch bloß ein Jux“, sagt ein junger Mann.
Das Lachen ist den Dolgenbrodtern vergangen. Reporterscharen geistern durchs Dorf, auf der Suche nach potentiellen Geldsammlern, nach Listen, nach Zeugen. „Die ganze Geschichte ist doch schon zehn Monate her, wir dachten, das wäre längst alles erledigt. Wir haben uns keinen Kopf mehr gemacht“, klagt Rentnerin Else Aust über den Medienrummel an ihrer Dorfstraße. Die Reichskriegsflagge von Nachbar Schulz hat sie nie gestört, daß Hakenkreuz am Bootshaus gegenüber hat sie nie gesehen. Warum nur wird, fragt sie sich, jetzt, wo wieder Ruhe eingekehrt ist, wo alles wieder in Ordnung ist, die Geschichte aus der Kiste geholt? Hatten die Dolgenbrodter nicht genug zu leiden gehabt seit der Androhung, daß Asylbewerber kommen sollten? Warum kümmern sich Medien und Polizei nicht um die wuchernde Kriminalität in Brandenburg, statt 260 Dolgenbrodter vorzuführen, nur weil sie Angst hatten?
Die Angst vor dem Fremden, die Sorge um ihre vermeintliche Sicherheit war es, die die braven Bürger im vergangenen Herbst auf die Barrikaden trieb. Dorfbewohner Renger: „Von der Oder bis hierher wird in immer mehr Datschen eingebrochen. Uns fehlt der Schutz der Regierung.“ Er und seine Mitbürger sind enttäuscht, ein Gefühl der Verlassenheit habe sich breitgemacht.
Demokratie, Schutz, Verlassensein, Regierungsmacht. Politikerverantwortung sind Worte, die die Dolgenbrodter mögen. Und doch jubelten sie über die ganz und gar nicht legale Lösung ihres Problems.
„Die Menschen hier waren ein ruhiges, sachliches, anständiges kulturvolles Leben gewöhnt. Sie haben sich dagegen gewehrt, daß dieses Leben zerstört wird“, erklärt Hans-Jürgen Schwand, Mitglied im Hauptausschuß der Gemeinde. Allgemein erleichtert waren alle Leute, daß das Ding abgebrannt ist, weiß Heinz Voigt. In 30 Jahren hat es keinen Einbruch gegeben. Das soll auch so bleiben.
Leben und leben lassen bleibt auch nach den Fernsehbildern aus dem „Dorf der Brandstifter“ die Devise im Ort. Hier kann keiner ohne die anderen. Selbst die Hunderte Berliner Datschenbesitzer haben ihr Sommerhäuschen meist schon seit 20 bis 30 Jahren hier draußen. Alles Fremde, Neue stört das traditionelle Dorfgleichgewicht nur.
Unter den Bäumen am Dorfanger steht seit jeher in Stein das Kriegerdenkmal mit dem Kreuz der Wehrmacht. Die Reichskriegsflagge beim Fischer Schulz war zwar manchem unsympathisch, gehörte aber zum Ensemble. Die Asylbewerber nicht.
Doch die Genugtuung über die Brandstiftung speist sich auch aus einer anderen Quelle. Die Leute im propperen Dorf sind sauer auf die neue Zeit, enttäuscht, desillusioniert. Seit die D-Mark Einzug gehalten hat im SED-Ferienidyll, fahren die Busse nicht mehr, die Post hat zugemacht, und zum Zeitpunkt des Brandanschlages war sogar der einzige Dorfladen dicht. Und dann kam der Landrat, ungefragt, mit den „Asylanten“. Datschenbesitzer Voigt faßt zusammen: „Die ganz Beglückung des Dorfes bestand im Asylbewerberheim“.
Die Politik ist schuld, da ist man sich einig in Dolgenbrodt. „Das mit dem Brand hat einzig und allein am Landrat gelegen“, so der alte Fischer Wilhelm Schulz. Der Landrat habe gegen den erklärten Willen der Einwohner das Asylbewerberheim einrichten wollen. Das gehe doch in der Demokratie nicht. Dagegen hätten die Dörfler sich aufgelehnt, verständlicherweise. „Das Ding sah, umgeben von Nato-Stacheldraht, schon vor dem Brand aus wie ein KZ.“
Nach vorne hin steht die Verteidigungslinie: Politiker sind schuld, die die Bürger überfahren hatten. Und: Keiner hat gesammelt, der Anschlag ist die Tat unbekannter Rechtsradikaler, die angelockt wurden von den Medien, nicht etwa vom Dorfskinhead Marko Schmidt.
Doch das Bollwerk des Schweigens bröckelt allmählich. Die meisten befragten Bürger wollen nicht mehr ausschließen, daß einige von ihnen an jenem Novemberabend zur Selbsthilfe gegriffen und für das Abfackeln der Asylbewerberunterkunft Geld bezahlt haben. „Die Masse hat sich sicher nicht beteiligt, doch für alle kann man sich nicht verbürgen“, so ein Dorfbewohner.
Es sei keiner mit dem Hut von Haus zu Haus gegangen und habe geklingelt, heißt es allenthalben. Oder noch präziser: „Es spricht nichts dafür, daß eine Liste darüber existiert.“ Heinz Voigt sagt nicht, das seine Mitbürger dazu nicht fähig wären: Dafür hätten die Dolgenbrodter nur einfach nicht genug Geld. Die meisten seien ja Rentner, die mit einem spärlichen Monatsentgeld auskommen müßten.
Doch nicht alle Dolgenbrodter sind mittellos. Hinter vorgehaltener Hand wird über Cliquen am Ort spekuliert, die die Brandstiftung eingefädelt haben könnten. Junge Leute mutmaßen, daß purer Eigennutz im Spiel gewesen sei. Es habe eine Reihe von Leuten gegeben, die Angst gehabt hätten vor der Wertminderung ihrer Grundstücke.
Andere wieder verdächtigen die größtenteils Berliner Datschenbesitzer, die doch hier auf dem Dorf nur ihre Ruhe haben wollen — und die wäre durch die 86 „angedrohten“ Asylbewerber nachhaltig gestört worden.
„Suchen Sie doch mal nach denen, die wirklich Interesse daran hatten, daß keine Asylanten hierherkommen, statt auf uns rumzuhacken. Alle, die hier fest wohnen, hätten sich ja schützen können“, sagt Gerd Graefen, Mitglied des Gemeindesrats. So wie er selbst: Sicherungsanlagen habe er installiert und sich einen Hund angeschafft. „Die Bürger haben wie ich vorsichtshalber ihre Häuser verrammelt“, sagt Graefen. Nur die Datschenbesitzer, die am Wochenende kommen, hätten wenig Möglichkeiten gehabt, sich gegen Einbrüche zu wehren.
Die seien es auch gewesen, die sich so vehement geäußert hätten bei den Einwohnerversammlungen, nicht er. Daß er nun als Sprecher und Initiatior der Bürgerinitiative dargestellt wird, findet Greafen ausgesprochen ungerecht. „Das war doch bloß ein Zufall, daß ich das Schreiben vorgelesen hab. Beim Lesen schon dachte ich: Das ist aber starker Tobak. Sie glauben nicht, wie oft ich das schon bereut habe, da mitgemacht zu haben.“
Seine Nachbarn sehen das anders. Graefen habe sich schon in der Vergangenheit mit ausländerfeindlichen Äußerungen und radikalen Sprüchen hervorgetan. Der Beschuldigte streitet das nicht ab. „Das war doch bloß, um die alten SEDler zu ärgern“, die ihn früher gegängelt haben, weil er nichts zu tun haben wollte mit der Partei. Außerdem liebt er die spitzzüngige Diskussion. Nun, da er für die CDU im Gemeinderat sitzt, wollen seine Gegner ihn mit den Vorwürfen, er habe den Widerstand gegen die Asylbewerber vorangetrieben, kaltstellen. „Das ist ein politisches Komplott“, glaubt Graefen. „Heuchler sind das, die nur von sich ablenken wollen. Denen muß man die Maske vom Gesicht reißen. Da werd' ich zum Schwein.“ Die Möglichkeit, daß eine Sammlung stattgefunden hat, bezeichnet Graefen als „regelrecht schockierend“. Aber für möglich hält auch er alles — nur er habe davon ganz bestimmt nichts gewußt. „Das ist nicht die Kultur, die ich mir vorgestellt habe.“
Auch den Vorwurf, er hätte Interesse gehabt an dem Brandanschlag, weil er Land verkaufen will, weist er zurück. „Ein Teil ist enteignet, den bekomme ich nicht wieder. Und das andere ist billiges Ackerland.“ Da gäbe es ganz andere, die mehr Interesse hätten. „Fragen sie mal die Berliner Datschenbesitzer.“
Tatsächlich hat sich Datschenbesitzer Heinz Voigt Gedanken gemacht um die Sicherheit seines Wochenendidylls. Nur einen Steinwurf von der verkohlten Ruine entfernt liegt sein Häuschen. Wenn in dem ehemaligen Ferienerholungsheim „Heinrich Rau“ 86 Asylbewerber untergebracht worden wären, hätte er im Winter doch nicht mehr ruhigen Gewissens in die Stadt fahren können. Und Tausende von Mark in Sicherungsanlagen für die Datsche zu stecken, lohne sich nicht.
Doch, es finden sich auch Zeugen, die Rechtsradikale im Ort gesehen haben. Der Chef der Yachtwerft Jacko, Hans-Jörg Jacobi und seine Frau haben am Brandabend damals im November drei gefährlich aussehende junge Leute in Militärhosen beobachtet. „Wir haben schnell das Tor geschlossen, aber die haben ganz freundlich guten Tag gesagt.“ Gedanken gemacht habe er sich erst später, als er von dem Brand gehört habe.
Die lokale Skinhead-Szene hat das Dorf längst nicht so sehr in Angst und Schrecken versetzt wie die „angedrohten“ Ausländer, die Fremden. Gut fanden es die Dolgenbrodter zwar nicht, daß am anderen Dahme-Ufer in Prieros kürzlich ein sogenanntes Geburtstagsfest mit 1.000 Rechtsextremen und Neonazis stattfand. „Die waren laut bis tief in die Nacht, haben Heil Hitler gegrölt und gräßliche Lieder gesungen“, erinnern sich der Chef der Dolgenbrodter Freiwilligen Feuerwehr, Klaus Walzer, und seine Frau Marianne. Doch die Polizei sei nicht eingeschritten. Im Ort sei man von dem Skinheadtreiben weitgehend verschont geblieben. „Die sind doch nur im Rudel stark“, glaubt Walzer. Gegen eingehende Drohanrufe wird eben die Schrotflinte fertiggemacht.
„Ich find' die Rechtsradikalen auch nicht gut. Aber die tun mir nichts und meinen Nachbarn auch nicht“, meint der 47jährige Ratsherr Lothar Hesse aus dem Nachbarort Blossin. Asylbewerber sind schlimmer: „Das geht nicht; wenn die sich benehmen würden wie Menschen, wär's ja wunderbar.“
Man muß das doch verstehen, schließlich „hatten wir doch seit 1946 keine Ausländer hier“, sagt die Rentnerin Else Aust. Die ausländischen Kinder, die im jetzt abgebrannten Ferienheim zu DDR- Zeiten Sommerwochen verbrachten, scheinen nicht zu zählen. Auch die Arbeiter aus Osteuropa und Schwarzafrika, die bis 1989 schon mal im Heinrich-Rau-Haus logierten, werden vergessen. Seit Ende 1989 ist Dolgenbrodt jedenfalls die meiste Zeit im Jahr ausländerfrei.
Nur ein kleiner Hinweis im Infokästchen der Gemeinde deutet darauf hin, daß es noch andere Menschen gibt außer Deutschen: Dort wirbt die Gleichstellungsbeauftragte des Kreises Königs- Wusterhausen für „Die Woche des ausländischen Mitbürgers“.
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