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Nachwuchs vor Senatsgehege

Knapp vor der Hamburger Bürgerschaftswahl am Sonntag spricht einiges dafür, daß die WählerInnen der Elbmetropole ihre Furcht vorm rot-grünen Politmonster verloren haben. Die Grünen selbst drängen mit Macht in die Regierung.

Klaus Asche, einflußreicher Vorsitzender der Hamburger Handelskammer, griff rechtzeitig vor den Bürgerschaftswahlen am kommenden Sonntag zum Zaunpfahl: „Das produktive Miteinander von politischem und wirtschaftlichem Pragmatismus ist in Gefahr“, teilte der Cheflobbyist per Hauspostille mit, „wenn die Gedankenspiele derer Realität werden, die einer grün-alternativen Regierungsbeteiligung das Wort reden.“

Asches Warnung an die mit der Handelskammer traditionell eng verbundene Dauer-Regierungspartei SPD kommt nicht von ungefähr. Alles deutet darauf hin, daß die Hamburger WählerInnen die Furcht vorm rot-grünen Polit- Monster verloren haben. 51 Prozent (SPD 40, GAL 11) hat Infas zuletzt für rot-grün ermittelt. Also alles klar?

Für die Grünen schon. Bei der GAL erinnert inzwischen nur noch das Kürzel an die Zeiten der Tramperts und Ebermänner, in denen Hamburg als unerschütterliche fundamentalistische Bastion gegen die grüne Koalitionslust galt. Inzwischen, so drückt es Spitzenkandidatin Krista Sager gerne aus, versteht sich die GAL als „Vollwert- Partei“. Als solche hat sie dann auch erst mal sämtliche potentiellen Schadstoffe – von Blauhelm- Einsätzen über die Sozialpolitik bis hin zur reichlich mißglückten Wahlkampfkampagne – vom innerparteilichen Speiseplan gestrichen. Ziel der Streit-Diät: Regierungsbeteiligung, denn, so heißt es im Wahlprogramm pathetisch, „diese Stadt ist auf die Arbeit der GAL angewiesen“. – Stromlinienförmig auf den Einzug ins sogenannte Senatsgehege des Hamburger Rathauses ausgerichtet, haben die Grünen denn auch intern geklärt, wie sie nach den Wahlen jene Steine aus dem Weg räumen wollen, die ihnen Handelskammer und einige Rot-grün-Allergiker in den örtlichen Gewerkschaften, kräftig unterstützt vom Hamburger Vorzeigesozi und Alt- Bundeskanzler Helmut Schmidt, derzeit eifrig in den Weg schmeißen.

„Lösungen, Kompromisse, Formelkompromisse“, erläutert eine grüne Funktionärin, mit diesem Verhandlungs-Dreisatz werde man auch die dicksten Brocken packen:

1. Die Häuser an der Hafenstraße werden nicht geräumt. Am runden Tisch wird eine stadtteilgemäße Lösung erarbeitet. Grüne Favoritin: eine Genossenschaft, die die alten Häuser saniert und auf den Freiflächen neue baut.

2. Die von den Grünen bekämpfte vierte Elbtunnelröhre wird gebaut, statt Asphalt werden allerdings Schienen gelegt.

3. Über die umstrittene Hafenerweiterung in Altenwerder wird in einem Koalitionsvertrag nicht endgültig entschieden. Ist auch noch gar nicht nötig. Das Planfeststellungsverfahren läuft noch, die Einsprüche werden zunächst mal die Gerichte beschäftigen. In zwei, drei Jahren könnte man sich dann noch einmal zusammensetzen.

Für alle drei Lösungsvorschläge gibt es positive Signale aus den sozialdemokratischen Reihen. Und auch bei anderen Themen – Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, Verwaltungsreform, Atomkraft, Verkehrsberuhigung – werden die Differenzen in der SPD-Spitze nicht gerade für unüberwindbar gehalten. Also, alles klar?

Nicht ganz. Bar jeder Regierungsalternative, die ohne die SPD auskommt, buhlen die bürgerlichen Parteien an der Elbe eifrig darum, doch noch vor den Grünen ins Senatsgemach vorgelassen zu werden. So nominierte die FDP mit der Polit-Newcomerin Gisela Wild eine Spitzenkandidatin, deren liberales Image – Wahlspruch „Lieber Wild als angepaßt“ – so gar nicht zum eher angepaßten denn wilden Profil der Freidemokraten paßt. Problem der FDP: Wilds etwas ungelenke Wahlkampfauftritte ließen die in Hamburg ohnehin schmalbrüstigen Freidemokraten in den Umfragen auf vier Prozent abrutschen.

Denselben Stimmenanteil ermittelte Infas auch für die „Statt- Partei“ des einstigen CDU-Rebellen Markus Wegner (siehe Kasten). Der verspricht zwar hoch und heilig, daß sich seine „Bürgerbewegung“, in der sich vor allem politikverdrossene Mittelständler zusammengefunden haben, auf keinen Fall an einer Regierung beteiligen werde. Eine „Tolerierung“ eines SPD-Senats, in der sich von Statt-Partei nominierte unabhängige Mitglieder finden, kann sich Wegner aber allemal vorstellen, wenn der Einzug in die Bürgerschaft gelingen sollte.

„Glück, wenn wir nicht unter 30 sacken“

Zumindest letzteres wird der Hamburger CDU doch noch zugetraut. Aber sonst? Waren die Christdemokraten schon 1991 mit mageren 35 Prozent arg gebeutelt worden, dürfte es am Sonntag noch schlimmer kommen. 31 Prozent, sagt Infas. „Glück, wenn wir nicht unter 30 sacken“, unkt ein Unionsfunktionär. CDU-Spitzenkandidat Dirk Fischer, so beobachtete nicht nur der Spiegel, bemüht sich denn auch gar nicht erst darum, „den Eindruck zu erwecken, als glaube er ernsthaft daran, Voscherau ablösen zu können“. Fischer hofft darauf, daß der Bürgermeister den Zaunpfahl der Handelskammer nicht übersieht und statt rot-grün „einer Senatsbildung auf der Basis einer stabilen Bürgerschaftsmehrheit“ – übersetzt: eine Große Koalition – den Vorzug gibt. – So umworben, fällt es Voscherau nicht schwer, seine Lieblingsrolle als Senats-Diva („Ich bin mit mir und meiner Arbeit im reinen“) bis zum Wahlsonntag weiterzuspielen. Erstens, so wird der Bürgermeister nicht müde zu betonen, strebe die SPD erneut eine absolute Mehrheit an. Zweitens werde man für den Fall „einer Koalitionsnot“ mit CDU und GAL, falls im Parlament vertreten, auch mit der FDP Gespräche führen. Und viertens werde er zurücktreten. Dann nämlich, wenn die SPD von zuletzt 48 auf unter 40 Prozent rutscht und gleichzeitig eine rechtsextremistische Partei in die Bürgerschaft einzieht.

Zumindest letzteres ist so unwahrscheinlich nicht. Zwar sieht Infas „Republikaner“ (drei Prozent) und DVU (vier Prozent) noch unterhalb der Fünfprozenthürde. Aber gerade die geschickt mit einer Prozeßwelle gegen öffentliche und private Runfunkanstalten unterlegte propagandistische Materialschlacht der DVU läßt nicht nur führende Sozialdemokraten befürchten, „daß sich da noch was bewegt“. Uli Exner, Hamburg

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