: Was heißt hier Krise?
Duisburg–Dortmund 2:2 oder: Psychologie langweilt nie ■ Von Christoph Biermann
Duisburg (taz) – Wann ist eine Fußballmannschaft eigentlich in der Krise? Wenn sie in drei aufeinanderfolgenden Heimspielen kein Tor erzielt? Wenn sie als Bundesligist dabei im Pokal gegen ein Team aus der zweiten Liga verliert, genau das gegen einen Abstiegskandidaten der eigenen Klasse wiederholt und schließlich eine unerfahrene Mannschaft vom Kaukasus in einem Europapokalspiel ebenfalls nicht besiegen kann? Wenn diese Mannschaft durch Multimillionen Mark teure Investitionen verstärkt worden ist, aber nach sieben Spieltagen nur sieben Punkte errungen hat und auf dem achten Tabellenplatz steht, kann man dann von einer Krise sprechen?
Nein, keine Krise! „Warum kann denn kein Sportjournalist dreimal schreiben, daß wir einfach Pech hatten?“ fragte Dr. Gerd Niebaum, Präsident von Borussia Dortmund, vor dem Spiel und begann seine grundsätzlichen Betrachtungen zum Wesen des Fußballs in Zeiten seiner unendlichen Reproduziertheit auf allen Fernsehkanälen. Das ist zur Zeit das Lieblingsthema der gesamten Branche. Kaum ein Wochenende vergeht, in dem nicht irgendwo ein Trainer, Manager oder Vereinspräsident gegen die Berichterstattung „der Medien“ aufbegehrt. „Da haben wir dreimal das Tor nicht getroffen, haben aber Dutzende bester Torchancen herausgearbeitet, und sofort setzt eine riesige Motivationsforschung ein“, klagt Dr. Niebaum. Diese Art von Populäranalysen seien für ihn ein Ausdruck der „Verkindschung“ des Fußballs, der dabei „einen Teil seiner Würde verliert“.
Ein genervter Ton bestimmt zur Zeit die Szene. Die meisten Aktiven nehmen die Berichterstattung über ihre Arbeit nicht ernst, müssen aber bereitwillig dafür zur Verfügung stehen und mit der Wirkung des Medienechos leben. Und weil Vulgärpsychologie in Deutschland auch im Fußball so beliebt ist, machen sich die Fußtruppen der Medienmacht auf, aller Konflikte in und um die Teams und Vereine habhaft zu werden, um sie zu sezieren. Als Borussen- Trainer Ottmar Hitzfeld beim Spiel in Duisburg kurz vor Spielende Matthias Sammer auswechselte, war dieser damit offensichtlich nicht einverstanden. Bei der Pressekonferenz war natürlich genau das Gegenstand. Man könnte schließlich einen Konflikt verpassen.
Zur „Verkindschung“ der Bundesliga tragen die Vereine teilweise aber selbst bei, wenn auch auf anderen Feldern. Der Stadionsprecher in Duisburg entblödete sich in seinem Ringen um einen Peinlichkeitspreis nicht, ein 13jähriges Mädchen, das Maskottchen des Spiels, als „süße Maus“ anzukündigen, um dann lautschreierisch die „MSV-Cheerleaders“ in den Vereinsfarben des Clubsponsors anzukündigen. Aber der Mann hatte den Fans schon beim ersten Saisonspiel das Blut in den Adern gefrieren lassen, weil er damals den „Zebratwist“, das MSV- Vereinslied, nicht gespielt und so mit einem jahrzehntealten Ritual gebrochen hatte.
Krise und Kulturverlust also allerorten? Auf dem Spielfeld konnte davon nur teilweise die Rede sein. Borussia startete gut, weil der MSV „in der ersten Viertelstunde neben der Kappe war“, wie ihr Trainer Ewald Lienen hinterher analysierte. Nach 13 Minuten schoß Chapuisat dann auch das Tor, auf das man in Dortmund so lange gewartet hatte, und Duisburg staunte immer noch. Spannend und richtig gut wurde das Spiel aber erst, als sich Duisburgs Uwe Weidemann nach einem Tritt von Ned Zelic verletzte. „Erst da haben wir angefangen, uns richtig zu wehren“, meinte Lienen. Schmidt und Közle sorgten sogar zwischenzeitlich für die Führung, ehe Sammer nach knapp einer Stunde ausglich. Danach erstarrte das Spiel zunehmend. Dortmund schob den Ball im Mittelfeld hin und her und wirkte eigentlich nicht wie eine Mannschaft, die unbedingt Deutscher Meister werden möchte. Sind sie im Kopf nicht frei? Lastet die Bürde der Ablösesummen auf den Spielern? Werden sie mit dem Druck des Siegenmüssens nicht fertig? Wann führt Psychologie heute eine Bundesligaanalyse ein? Ist das Verhältnis Hitzfeld– Sammer noch zu kitten? Sind Flaschenkinder schlechtere Stürmer?
Dortmund: Klos - Zelic - Bodo Schmidt, Schulz - Freund, Sammer (85. Karl), Zorc, Franck, Poschner - Riedle, Chapuisat (36. Sippel)
Zuschauer: 28.104
Tore: 0:1 Chapuisat (13.), 1:1 Ferenc Schmidt (40.), 2:1 Közle (47.), 2:2 Sammer (56.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen