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Eilantrag gegen Wilhelm

■ Morgen wird die Otto-Grotewohl-Straße in Wilhelmstraße umbenannt / Klage eines Anwohners gegen Umbenennung der Straße wird erst im Oktober entschieden

Wenn morgen die MitarbeiterInnen des Tiefbauamtes Mitte die Klebestreifen am neumontierten Schild entfernen, ist der lang tobende Streit um die Straßenumbenennung der Otto-Grotewohl-Straße in Wilhelmstraße noch lange nicht beendet: Das Berliner Verwaltungsgericht wird im Oktober über den Eilantrag eines Anwohners der Otto-Grotewohl-Straße entscheiden, der gegen die Umbenennung geklagt hatte.

„Ich kann nicht beurteilen, ob der Kläger erfolgreich sein wird“, sagt der Sprecher des Verwaltungsgerichts, Thomas Lange. Das monatelange Hickhack um den Straßenzug von der Marschall- Spreebrücke im Norden bis zur Mehringbrücke im Süden könnte endgültig beendet sein, wenn die Erste Kammer des Verwaltungsgerichts den Eilantrag als erfolglos ablehnt. Tut sie das nicht, so Thomas Lange, kann es noch bis zu einem Jahr dauern, bis das Gericht ein endgültiges Urteil über die Straßenumbenennung fällen wird.

Nachdem ein Beschluß des Bezirks Mitte zur Änderung des Namens der Otto-Grotewohl-Straße in Toleranzstraße im Sommer 1991 gerichtlich angefochten und ausgesetzt war, beschloß der Bezirk im vergangenen Dezember, die Straße in Willy-Brandt-Straße umzubenennen. Aber auch das scheiterte: Eine Straße darf laut Straßengesetz erst fünf Jahre nach dem Tod einer Persönlichkeit nach dieser benannt werden. Im Konflikt um die Umbenennung setzte sich schließlich der Senat mit seinem Wunsch durch. So beschloß der Senat Anfang Juni dieses Jahres, der dem künftigen Parlaments- und Regierungsviertel nahegelegenen Straße ihren ursprünglichen Namen „Wilhelmstraße“ wiederzugeben. Das „öffentliche Interesse Berlins“ sei vorrangig, deshalb ordnete die Landesregierung einen „sofortigen Vollzug“ an.

Daß die Umbenennung im „öffentlichen Interesse“ liegt, bezweifelt Kläger G. Er möchte dem Senat mit seiner Klage einen Strich durch diese Rechnung machen und argumentiert, daß der Senat „auf die 40 Jahre der vergangenen DDR mit Verdrängung reagiere und jeder Erinnerung an diese mit Ausmerzung begegne“. Weiterhin fragt er sich in seiner Klage, ob es das Interesse Berlins sei, „statt über Otto Grotewohl an die DDR- Herrschaft über Wilhelm an die preußisch-monarchistischen-militaristischen Traditionen Deutschlands“ zu erinnern.

Natürlich hat seine Klage auch ganz praktische Gründe: Die AnwohnerInnen der nur eineinhalb Kilometer langen Straße müssen Visitenkarten, Führerscheine oder Leihkarten der Bibliothek auf Wilhelmstraße umstellen lassen. Für Kläger G. ein unnützer bürokratischer Aufwand. Hans-Andreas Schönfeldt, der seit fast zwei Jahren in der Otto-Grotewohl-Straße lebt, platzt jedenfalls bald der Kragen: „Meine Versicherung schrieb an die Grotewohlstraße, die Sparkasse dagegen an die Toleranzstraße, bald blickt niemand mehr durch.“ Er mußte bereits hundert Briefe an verschiedene Geschäftspartner und Bekannte senden, um über seiner Adresse aufzuklären. Eine endgültige Entscheidung müsse her, denn „das schadet sonst auf Dauer der ganzen Straße“. Julia Naumann

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