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■ Wir lassen lesen„Kampf um Freiheit“

Ein Platz in Salvador de Bahia, der afrikanischen Hauptstadt Brasiliens. Menschen haben einen Kreis gebildet. Der rhythmische Schlag auf dem Berimbau hat sie angezogen. Begleitet vom afrikanischen Saiteninstrument zeigen zwei Männer im Kreis aufeinander abgestimmte akrobatische Bewegungen, ohne sich zu berühren. Teils gleichen sie Kampfsport, teils einem Tanz. Es ist Capoeira, eine jahrhundertealte Kampftechnik, die von afrikanischen Sklaven nach Brasilien mitgenommen und weiterentwickelt wurde. Capoeira ist nicht nur, wie etwa die Samba, Bestandteil brasilianischen Lebensgefühls, sondern auch Spiegel einer ganzen Sklaven- und Unterdrückungsgeschichte, wie der Bielefelder Dirk Hegmanns in seinem Buch beschreibt.

In der Capoeira fanden über Jahrhunderte die in Brasilien Gedemütigten einen letzten Rest von Hoffnung oder Ausgleich zum schweren Alltag, wenn sie abends im schützenden, uneinsehbaren Kreis ihre Techniken übten. Dann galt es, die eigene Kraft für Aufstände zu stärken. Aber auch musikalische, tänzerische und spielerische Elemente wurden miteingebaut, um vor Herren und Sklavenhaltern die Kampfart zu kaschieren. So wurde aus der Capoeira eine „lebendige Lebensphilosophie“, eine „Kultur des Widerstandes“, die neben Kampf und Tanz auch Poesie und Geschichte mit in die begleitende Musik einbaute.

Doch trotz aller Verfolgung und Verbote überlebte die Kampfkultur nicht nur, sondern entwickelte sich gar zum wesentlichen Bestandteil im Alltag der Armen Brasiliens, gibt Selbstbewußtsein und schafft Verbindungen zu den afrikanischen Wurzeln. „Der Kampf um die Freiheit ist vor allem ein kultureller Akt“, prophezeite der afrikanische Befreiungskämpfer Amilcar Cabral einst. Die Capoeira ist ein wichtiger Schritt in diesem Akt.

Auch hierzulande schießen – neben eher aggressiven asiatischen Kampfsportarten – Capoeira-Gruppen aus dem Boden, lassen sich von der Vielseitigkeit des religiös und mystisch geprägten Tanzes fesseln. Geschichte, Übungen und Regeln in dem reich bebilderten und mit vielen Gedichten versehehen Band des Entwicklungssoziologen und Capoeira-Lehrers Hegmanns sind aber nicht nur für Eingeweihte gedacht; vielmehr richtet sich das eingängig geschriebene Buch an Dritte- Welt- und Literatur-Interessierte, Sportler und Musiker gleichermaßen. Uwe Pollmann

a Dirk Hegmanns: „Capoeira – Die Kultur des Widerstandes. Ein Lese- und Übungsbuch“. Schmetterling Verlag, Rotebühlstr. 90, 70 178 Stuttgart. 148 Seiten, 22.80 DM

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